Lebendige Seelsorge 1/2022. Verlag Echter
war, wurde ich anfangs immer wieder von einer lieben, ehrenamtlichen Kollegin in der Diözesanleitung darauf hingewiesen, dass es total wichtig sei, dass ich mit den Ehrenamtlichen immer freundlich und korrekt umgehe. (Ich hoffe und glaube, dass dies eine allgemeine Information war, weil es ihr wichtig war, dass ich von Anfang an richtig eingespurt werde. Aber vielleicht täuscht mich hier auch meine eigene Selbstwahrnehmung.)
Nachdem ich das von ihr dreimal gehört hatte, habe ich frech dagegengehalten und sie gefragt, was dies denn im Umkehrschluss dann heißt? Dass ihre wiederholte Aussage sowohl redundant und auch ziemlich einseitig sei. Ist es dann im Gegenzug egal, wie die Ehrenamtlichen mit mir als Hauptamtlicher umgehen? Entweder haben wir als Christ:innen eine grundlegende Art und Weise, wie wir miteinander umgehen oder eben nicht. Darüber hinaus sagte ich ihr dann auch, dass ich die Unterscheidung von Ehren- und Hauptamt in diesem Zusammenhang für grundsätzlich falsch halte.
Wir werden nie aus der Nummer herauskommen, dass wir aus verschiedensten Anstellungsverhältnissen oder Leitungspositionen heraus aufeinandertreffen und zusammenarbeiten. Dies wird immer vorgegeben sein und dabei ist es egal, ob wir Lehrer:innen in der Schule sind oder im Fußballverein spielen oder mit der Familie unterwegs sind oder uns ehrenamtlich im kirchlichen Binnenraum engagieren. Wir haben einfach unsere unterschiedlichen Rollen und Positionen.
Viele Menschen sind von ihren (leider oft schlechten) Erfahrungen geprägt und werden in ihren Begegnungen dadurch vorbelastet. Eine meiner Hauptfragen bleibt deshalb: Wie können wir es verhindern, dass unsere inneren Schubladen, die von diesen Erfahrungen angefüllt sind, unser Zusammentreffen und Zusammenarbeiten mit unterschiedlichsten Menschen von vornherein vergiften?
Für mich ist die erste Frage nicht die nach der Unterschiedlichkeit, ob Kleriker oder Lai:in, Mann oder Frau, ehrenamtlich oder hauptamtlich, oder sonst irgendetwas. Sondern es geht, denke ich, erst einmal darum, was uns allen gemein ist. Auf welcher Grundlage und mit welcher Grundhaltung begegnen wir einander? Ich glaube, das folgende Gedicht legt hierfür im jesuanischen Sinne eine Spur und zeigt zugleich schon in seiner Überschrift eine Stolperfalle auf.
Gehen die Worte nur Priester an? Ich denke nicht. So hatte ich sie zumindest nie intendiert. Wenn es ein gemeinsames Priestertum gibt, dann resultieren daraus nicht nur gemeinsame Rechte, sondern auch gemeinsame Grundsätze, wie ich den jeweils anderen, unabhängig von seiner Position und seinem Verhältnis zu mir, sehen und behandeln sollte.
Was wäre, wenn ich die andere nicht oft, nicht manchmal, sondern immer spüren lassen sollte, dass sie geliebt ist. Wenn schon nicht von mir, dann zumindest von Gott.
Das klingt jetzt nach einer hübschen pastoralen Floskel und nach einer einfachen und ein wenig billigen, frommen Antwort. Aber dies ist, wenn es ernst gemeint wird, alles andere als einfach und floskelhaft oder billig. Es klingt einfach, ist aber kompliziert. Aber es wäre, denke ich, ein guter erster Schritt gegen jegliche klare und unklare Form von Klerikalismus.
Ein Versuch wäre es wert, fände ich …
priesterlich
du bist der fels
um allen klar zumachen
auf sie einzureden
und sie erfahren zu lassen
dass sie
jenseits dessen
was sie getan oder gesagt haben
unabhängig
ihrer herkunft
sexualität oder hautfarbe
in allem
was sie sagen können
oder verschweigen müssen
trotz allem
was andere ihnen eingeredet haben
oder einreden werden
in allem
und durch alles hindurch
ohne jede einschränkung
felsenfest
geliebt sind
amen!
(aus: Wolfgang Metz, brannte uns nicht das herz? Gedichte, Würzburg 2020, 77)
Die zwei Seiten der ‚Klerikalismus-Medaille‘
Die Replik von Johanna Beck auf Wolfgang Metz
Lieber Wolfgang,
ich war sehr gespannt, was Du schreiben würdest! Wir haben uns ja im Vorfeld unseres ‚gemischten Doppels‘ (zum Glück ohne Kollar) kennengelernt und uns über tausend interessante Dinge ausgetauscht – aber eigentlich gar nicht über unser Auftragsthema.
Umso mehr freut es mich, dass wir zwar aus völlig unterschiedlichen Positionen, Rollen und Erfahrungen heraus schreiben, aber doch immer wieder auf ähnliche Punkte zu sprechen kommen. Darüber hinaus benennst Du weitere Aspekte, die ich in meinem Text nicht aufgeführt habe, aber eigentlich – gerade im Kontext der Missbrauchsproblematik – für sehr wichtig erachte und auf die ich nun in meiner Antwort noch etwas genauer eingehen möchte:
Du schilderst, wie der Klerikalismus von verschiedenen Gläubigen an Dich herangetragen, ja geradezu eingefordert wird. Dies verweist auf einen großen Problembereich, der bei der Aufarbeitung des Missbrauchsabgrundes nach wie vor viel zu wenig Beachtung findet und für den noch viel stärker sensibilisiert werden muss: der Co-Klerikalismus unter den Lai*innen.
Den inzwischen zahlreichen Studien zum Thema Missbrauch in der katholischen Kirche und den erschreckenden Zeugnissen Betroffener ist immer wieder zu entnehmen, dass die Täter zwar in der Regel Kleriker waren, es daneben aber auch zahlreiche stumme Kompliz*innen, Ermöglicher*innen und Vertuscher*innen unter den Nichtgeweihten gab: Eltern, die ihren Kindern nicht glauben konnten oder wollten, weil es doch der Pfarrer war, der da beschuldigt wurde. Erwachsene Bezugspersonen, die die Hilferufe der Kinder einfach ignorierten. Leiter*innen, die ihre Schützlinge für ihre Aussagen ohrfeigten. Kirchenverantwortliche, die sich ebenfalls an der Vertuschung der Taten beteiligten. Oder, um den Bostoner Betroffenenanwalt aus dem Film Spotlight zu zitieren: “If it takes a village to raise a child, it takes a village to abuse one.” Man muss also, was die Sensibilisierung und die dringend notwendigen Veränderungen angeht, an beiden Seiten der ‚Klerikalismus-Medaille‘ ansetzen: Bei den Klerikern selbst UND bei den Lai*innen. Natürlich müssen die priesterliche Macht beschränkt und kontrolliert, das Priesterbild entgiftet und die Kleriker dazu bewegt werden, ihr Amtsverständnis immer wieder zu reflektieren und den Versuchungen des Klerikalismus zu widerstehen. Aber darüber hinaus muss man auch die Lai*innen zu einer kritischen Reflexion animieren, das Priesterbild in den Köpfen mancher Nicht-Geweihten abwandeln, sie zu mehr Mündigkeit, Selbstbestimmtheit und Freiheit im Glaubensleben ermutigen und sie vor allem immer wieder an die heikle Rolle des Co-Klerikalismus im Missbrauchskontext erinnern.
Auch die von Dir beschriebene Tendenz der Lai*innen, die immer weniger werdenden Priester zu ‚pampern‘ halte ich für äußerst problemverstärkend. Umso notweniger ist es auch, dass es Priester – wie Dich – gibt, die auf solche Tendenzen mit Befremden reagieren und sich ihnen bewusst widersetzen (auch wenn sie manchmal geradezu in diese Richtung gedrängt werden, wie Du schreibst).
Aber es gibt noch einen weiteren Aspekt in Deinem Beitrag, auf den ich etwas intensiver eingehen möchte, denn wir kommen tatsächlich zu einer sehr ähnlichen Schlussfolgerung: Wenn es um Macht- und Umgangsformen (bzw. deren Reformen) in der katholischen Kirche geht, müssen wir radikal vom Evangelium her denken! Alle – egal welchen Titel sie tragen oder welches Amt sie innehaben – müssen ihre Macht der Botschaft des Evangeliums gemäß ausüben. Es geht, wie Du auch betonst, um eine Grundhaltung und ein Verhalten „im jesuanischen Sinne“, um eine Liebe zum Nächsten, die sich auch aus dem eigenen Geliebt- und Angenommensein durch Gott speist.
Aber ein bisschen Widerspruch muss natürlich auch sein: Wenn Maria 2.0-Vertreterinnen in der Öffentlichkeit selbstbewusst, klar und ruhig Forderungen stellen, dann empfinde ich das nicht als eine dem Klerikalismus