Einführung in die systemische Sandspieltherapie. Wiltrud Brächter

Einführung in die systemische Sandspieltherapie - Wiltrud Brächter


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2007, S. 138 f.; Brächter 2010, S. 57 ff.). Wichtig ist mir, mit meinen Fragen keine Position gegen einzelne Bildelemente zu beziehen, da sie möglicherweise Teile seines »inneren Teams« repräsentieren. So kann ein hungriger Hai, der sich Menschen in einem Boot nähert, eine von außen erlebte Bedrohung widerspiegeln; er kann aber auch als Wunsch eines bisher eher ängstlichen Jungen verstanden werden, eigenen Bedürfnissen endlich Raum zu geben und für sie einzutreten. Hinweise zu einer Einordnung geben die Erzählungen und Körpersignale des Kindes. Erzählt es angeregt-freudig und interessiert, oder gibt es Anzeichen für traumatisches Erleben?4 Ich reflektiere, welche Ich-Zustände des Kindes möglicherweise im Sandbild sichtbar werden und wie sie in einen Ausgleich gebracht werden könnten (Brächter 2014a und c).

      In meine Hypothesenbildung beziehe ich auch die räumliche Gestaltung des Sandbilds ein. Dabei orientiere ich mich an raumsymbolischen Deutungsmustern aus der Sandspieltheorie, die unter anderem von einer Entwicklungsrichtung aus der Vergangenheit (links) in die Zukunft (rechts) ausgehen. Diese Zukunftsrichtung kann im Sandbild blockiert sein, etwa durch Mauern oder ein Gebirge. Figuren können auch im Spannungsfeld von Polen stehen, die in entgegengesetzten Ecken des Sandbilds angeordnet sind. Für die Weiterarbeit mit dem Sandbild stellt sich dann oft die Frage, wie die Hindernisse überwunden werden können und welcher Weg aus dem Konfliktfeld hinausführt (Brächter 2010, S. 57 ff.).

      Im Anhang findet sich eine Übersicht zur Orientierung in Sandbildern. Ich empfehle, sie heranzuziehen und Sandbilder im Anschluss an Therapiestunden entsprechend auszuwerten, um mit der Zeit einen schnelleren Zugang zu ihnen gewinnen zu können.

      Zeigt sich im Sandbild eine Problemsituation, versuche ich die vom Kind gewünschte Lösungsrichtung zu erfassen und Suchprozesse anzuregen. Außer für die Handlungsebene interessiere ich mich dabei für Gefühle und Bedürfnisse der Figuren: »Was würdest du den Figuren wünschen? Wer könnte zur Hilfe kommen?«

      Hypnotherapeutisch betrachtet, versetzt das intensive Eintauchen ins Sandspiel Kinder in einen Trancezustand, in dem sie für hypothetische, zukunftsorientierte Fragen besonders offen sind.

      Statt selbst Lösungswege vorzugeben, mache ich auf Ressourcen im Sandbild aufmerksam, die das Kind vielleicht noch nicht bemerkt hat. Perspektiven lassen sich erweitern, indem (Rand-)Figuren aus dem Sandbild einbezogen und nach ihren Ideen befragt werden. Hierbei hole ich gerne Vorschläge der Kinder ein: »Was, glaubst du, könnte der Fuchs denken, der vom Wald aus zuschaut?« Hypnotherapeutisch orientierte Umformulierungen (»noch nicht« statt »nie«, Prior 2009) tragen dazu bei, starre Wahrnehmungsmuster aufzulösen und eine Suche nach »Öffnungen« in der Problemsicht vorzubereiten.

       Vom Bild in eine Geschichte finden

      Für Lowenfeld liegt eine »außerordentliche Kraft« der Sandspieltherapie darin, dass man nach dem Bau eines Sandbilds noch stark mit der gerade geschaffenen Szene verbunden ist, die man gleichzeitig von außen betrachten kann. Diesen besonderen Moment nutze ich zur Anregung einer Sandbildgeschichte: »Wenn das ein Moment aus einer Geschichte wäre, wie würde sie weitergehen?«

      In den meisten Fällen greifen Kinder die Idee gerne auf, ihr Sandbild in Bewegung zu versetzen. Verstehen sie es als veränderbar, löst sich oft augenblicklich die Problemtrance auf, mit der zuvor auf das Bild geblickt wurde; es entstehen neue Ideen und Handlungsimpulse. Anschließend wird die Geschichte vom Kind selbsttätig weitergespielt und wirkungsvoll geankert. Durch Kommentare zum Spielgeschehen kann die Inszenierung noch verdichtet werden; selbstwertstärkende Botschaften können an Figuren gerichtet werden, mit denen sich das Kind identifiziert.

      Bei der Begleitung der Sandbildgeschichten beziehe ich mich auf narrative Konzepte: Narrative Therapie versucht, Problemerzählungen zu dekonstruieren, die Menschen über sich erzählen (White 2010; White u. Epston 1993). Reframings führen neue Perspektiven ein, generalisierende Problemzuschreibungen werden durch eine Re-Kontextualisierung aufgelöst. Alternative Erfahrungen und Momente, die in den bisher dominierenden Erzählungen ausgeblendet wurden, werden hervorgehoben und erhalten besondere Aufmerksamkeit.

      Im Sandspiel bauen Kinder ihre »Problemerzählungen« in den Sand. Werden Sandbilder in Bewegung gebracht, öffnen sich ihre Geschichten. Bei der Umsetzung von Lösungsideen entstehen Erfahrungen von Erstmaligkeit, »unique events«, die oft in eindrucksvollen Szenen haften bleiben. Parallel zum Probehandeln im Sand gelingt es vielen Kindern, Blockaden aufzulösen und in ihrer Entwicklung wieder voranzukommen.

       Abschluss und Veröffentlichung der Sandbilder

      Ist im Sand ein gutes Ende entstanden, bietet es sich an, in die Szene hineinzusprechen und das Geschehen für das Kind noch einmal zusammenzufassen. In einer kleinen Trance kann bekräftigt werden, wie gut die Geschichte ausgegangen ist. Dies kann aus der Sicht einer beteiligten Figur geschehen oder auch aus der Außenperspektive eines Vogels, der vielleicht von einem Baum aus zuschaut.

      »… und das kleine Einhorn im Sand schaut zu dem Schwan … und es freut sich, dass endlich jemand merkt, dass sein Flügel wieder heil ist … wie wohl er sich fühlt und kräftig … lebendig und stark …

      Es schaut zu, wie der Schwan sich bewegt und seine Flügel aufspannt … und auf einmal losschwebt, schwerelos … sich tragen lässt … spürt, wie die Sonne seine Flügel wärmt … und es genießt umherzufliegen … ganz leicht und frei … und auch das Einhorn spürt die Wärme der Sonne und streckt sich und steht auf …«

      Ist die Handlung beendet, wird das Abschlussbild fotografiert und die Geschichte für das Kind festgehalten. Viele Kinder formulieren ihre Geschichten gern selbst und geben ihnen einen Titel. Häufig gewählte Einleitungen wie »Es war einmal« tragen dazu bei, belastende Erlebnisse in der Vergangenheit zu verorten und von der Gegenwart abzugrenzen.

      Die Öffnung des Settings kann viel dazu beitragen, Eltern einen emotionalen Zugang zum Erleben des Kindes zu ermöglichen. Oft entsteht eine vertiefte Kommunikation in der Familie.

      MARIE möchte ihre Sandbilder am Ende der Stunden ihrer Mutter zeigen. Die Eltern sind überrascht, dass die Fehlgeburt für sie noch so wichtig zu sein scheint. Gespräche hierüber werden angeregt. Gleichzeitig teilt Marie auf Symbolebene mit, dass die Zeit der Sorgen um sie vorbei ist: Die Sperren, die um den Schwan aufgestellt sind, können wieder entfernt werden. Die Kinder gehen dabei voran.

       Übersicht: Bilder in Bewegung bringen

       • Das Sandspiel erklären: »bauen« statt »spielen«.

       • Kontakt zum Sand ermöglichen, Tranceprozessen Raum geben.

       • Das fertige Sandbild auf einem Foto festhalten.

       • Es gemeinsam betrachten und beschreiben lassen.

       • Wünsche und Bedürfnisse erkunden; Suchprozesse in Richtung einer gewünschten Lösung anregen.

       • Das Sandbild als Momentaufnahme kennzeichnen: »Wie könnte die Geschichte weitergehen?«

       • »Über Bande spielen«: Wertschätzende Kommentare zu Spielfiguren richten sich indirekt an das Kind.

       • Abschlussfoto; Geschichte notieren.

       Sandbilder als Brücke in die Familientherapie


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