Blut für Gold. Billy Remie
fühlte sich an, als ob sich der Eintopf in Lava verwandelt hätte und sich einen Weg durch seinen Leib nach draußen freibrannte. Er kam genauso flüssig heraus, wie Darcar ihn geschluckt hatte. Übelkeit stellte sich wieder ein, er saß dort eine gefühlte Ewigkeit, und glaubte, zu sterben.
Als er endlich fertig war, torkelte er auf schwachen Beinen durch das halbdunkle Gewölbe wieder zurück zu seinem Lager. Er war hundemüde, aber bereits vor den Magenkrämpfen hatte er nicht schlafen können. Wann immer er die Augen schloss, hörte er das Schreien und sah die Bilder der Hinrichtung erneut vor sich. Er konnte das nicht mehr.
Veland gab ein süßes Wimmern von sich, als Darcar sich an ihn unter die Decke kuschelte. Unverzüglich drehte V sich zu ihm um und schlang einen Arm um seine Taille, drückte sanft die Wange an Darcars Brust.
»Darc?«, flüsterte er in die Stille, seine Stimme zeugte davon, dass er nicht eben erst aufgewacht war.
»Schlaf weiter«, raunte Darcar ihm zu, kämmte ihm mit einer Hand durchs Haar und hauchte sacht seine Lippen auf den Scheitel. »Ich bin da.«
»Geht es dir nicht gut?«
»Doch«, flunkerte Darcar und strich Veland beruhigend über das Haar, wobei es mehr ihn als seinen Bruder beruhigte. Es war keine richtige Lüge, er fühlte sich schon etwas besser, nur noch einen Hauch flau im Magen. »Alles bestens.«
Veland hob den Kopf, ihre Gesichter so nah, dass sie fast schielten. Seine großen, wässrigen Augen schimmerten wie der edelste Whisky. Irgendwann, da war Darcar sich sicher, würden diese Augen viele Mädchenherzen brechen. »Ich weiß immer, wenn du lügst«, flüsterte Veland besorgt.
Darcar rang sich ein müdes Lächeln ab. »Ich werde mich noch an das Essen gewöhnen.«
»Nein.« Veland schüttelte den Kopf und forschte mit einem viel zu erwachsenen Blick in Darcars braunen Augen. »Es ist etwas anderes. Ich bekomme mit, dass du nicht schläfst. Und wenn du schläfst, dann zuckst und wimmerst du wie ein Welpe.«
Dass sein Bruder das mitbekommen hatte, behagte ihm überhaupt nicht. Er wollte, so gut er eben konnte, Veland etwas vorspielen. Er wollte nicht, dass er sich sorgte, niemals.
»Ich vermisse einfach mein weiches Bett«, log er deshalb mit einem schiefen Schmunzeln.
Veland wirkte nicht so, als ob er ihm glauben würde. »Was haben die mit dir gemacht?«, flüsterte er dann befürchtend.
Dieser traurige Blick brach Darcars Herz, er hob eine Hand und legte sie an Velands Wange, strich sacht mit dem Daumen über die samtweiche Haut. »Nichts, V. Ich habe mich nur ein wenig mit ihnen geprügelt.«
Ein leichtes Runzeln trat auf Velands schmale Stirn, als müsste er über etwas nachdenken. »Vater mochte es nie, wenn du dich geprügelt hast.«
Das brachte Darcar zum Schmunzeln, gleichzeitig verspürte er ein sehnsüchtiges Ziehen in der Brust. »Ich werde daran denken, tut mir leid.«
Veland zupfte verlegen an Darcars Hemd, starrte einen Augenblick auf seine Brust. Als er wieder die Augen hob, wirkte er sehr ernst. »Glaubst du…«, er schluckte, »glaubst du… er ist noch am Leben?«
Bilder der Hinrichtung drängten sich ihm auf, er schloss gequält die Augen, drängte sie mit aller Willenskraft zurück. Schließlich blickte er Veland wieder ins Gesicht und schüttelte den Kopf.
Mehr wollte und konnte er nicht erwidern.
Velands Augen wurden leer. »Glaube ich auch nicht«, hauchte er und presste die Lippen aufeinander.
Einen Moment lagen sie so da, Nase an Nase, Darcar streichelte Vs Wange, und V fummelte nachdenklich am ersten Knopf seines Hemdes herum. Darcar wartete auf mehr, auf eine Träne, ein Zittern. Doch Veland brauchte immer eine gewisse Zeit, um über Ereignisse zu weinen, als ob sein kindlicher Verstand schlicht versuchte, es zu verdrängen. Oder einfach länger benötigte, um sich der Konsequenzen bewusst zu werden. Als ihre Mutter gestorben war, hatte Veland die Nachricht ganz kühl mit einem Nicken hingenommen und dann erst einmal lange Zeit kein Wort mehr gesagt, als müsste er intensiv über diese Tatsache nachdenken. Erst nach der Beerdigung waren bei ihm alle Dämme gebrochen. Vielleicht, weil ihr Vater nicht gewollt hatte, dass Veland den Leichnam noch einmal sah. Und vielleicht war es nun ja ähnlich. Dass er, wenn er ihren Vater niemals tot sah – und auch nicht auf eine Beerdigung ging – er nicht um ihn weinen konnte, weil er es schlicht nicht begriff.
»Es tut mir leid«, raunte Darcar aufrichtig, müde von der Situation. »Aber wir haben immer noch uns, V. Immer noch uns.«
Veland sah ihm wieder in die Augen. »Nur, wenn du vorsichtiger bist!«
Darcar lächelte sacht über ihn. »Versprochen!«, wisperte er ihm zu.
Vorsichtig legte V seine zarten Fingerspitzen auf Darcars Lippen, betastete sie prüfend. »Du bist ganz warm. Ich habe solche Angst um dich, wenn du Fieber hast.«
»Ich werde gesund«, versicherte Darcar und küsste ihn brüderlich auf den Mund, »versprochen, V!«
Veland blinzelte, blickte ihn noch einen Augenblick lang forschend an, dann schien er zufrieden mit dem, was er in Darcars Gesicht las.
»Du darfst mich nicht allein lassen«, flüsterte er mehr befehlend als flehend, und kuschelte sich wieder gemütlich bei Darcar ein.
Darcar lächelte darüber, nahm ihn zurück in den Arm, um ihn in den Schlaf zu wiegen. »Das werde ich nicht tun. Niemals.«
Im Dunkeln leuchtete das Weiß eines Augenpaares regelrecht heraus. Darcar blickte direkt in Elmers Gesicht, der sie die ganze Zeit beobachtet hatte. Sein Blick war unergründlich, als er sich ohne ein Wort umdrehte und die Lider schloss.
Darcar runzelte die Stirn, zog V enger an sich und vergrub das Gesicht in seinem Haar.
*~*~*
Es war am Morgen, als Darcar davon wach wurde, dass es kalt im Gewölbe und auf dem Lager war. Stimmen drangen zu ihm durch, heiteres Lachen. Und für einen Moment glaubte er, wieder zu Hause zu sein und seine Brüder mit seinem Vater zu hören. Er erwartete bereits Magdas tadelnde Stimme, dass im Haus nicht gerauft werden dürfte, und Vaters ruhige Entgegnung, dass Jungs eben auch ein wenig wild sein dürften. Er hatte immer gerne mit ihnen gerauft, sie hatten ihm immer auf den Schoß und auf den Rücken springen dürfen. Und obwohl er so viel größer und stärker gewesen war, konnte Darcar sich nicht erinnern, jemals gegen ihn verloren zu haben. Ihr Vater hatte ihnen immer das Gefühl gegeben, die Größten zu sein.
Doch als er die Augen aufschlug, sah er nur Vorratskisten und eine dicke Spinne, die über seinem Gesicht in aller Ruhe ihr Netz spannte, das er am Abend zuvor zerstört hatte. Sie ließ sich einfach nicht vertreiben.
Seufzend rollte Darcar auf den Rücken, brauchte einen langen Moment, um wach zu werden und sich wie jeden Tag aufs Neue mit den derzeitigen Gegebenheiten abzufinden.
»Ich werde dir einen Namen geben müssen«, sagte er zu der Spinne, halb im Scherz, halb ernst. Er hatte ihr Netz so oft zerstört, und sie baute es immer wieder tapfer auf, dass sie sich ihr Recht, bleiben zu dürfen, eindeutig verdient hatte.
Darcar stand auf, langsam. Er fühlte sich steif vom vielen rumliegen, und obwohl ihm noch immer schwindelig im Kopf war und er erst einmal husten musste, wurden sein Leib und sein Verstand allmählich unruhig. Er wollte sich bewegen. Nachdem er sich gestreckt und erleichtert hatte, entdeckte er seinen Mantel, der an einem Haken neben der Tür hing. Er griff danach, zog ihn über und nahm den dampfenden Becher Kräutertee mit nach oben, den Elmer oder Veland ihm bereitgestellt hatte.
Der Kellerraum war kleiner als das Gewölbe darunter, dort lagerten nur ein paar Kisten, als ob Elmer damit versuchte, den Rattenkönig und andere Eindringlinge zu täuschen. Vermutlich war Elmer, dieser gerissene Fuchs, der reichste Mann im Rattenloch. Was ihn zum eigentlichen König machte.
Davon hatte er aber nichts hören wollen, als Darcar es ansprach, ein bescheidenes Abwinken war die einzige Erwiderung gewesen. Später sagte er nur noch: »Ich versuche nur, zu überleben.«