Outback Todesriff. Manuela Martini
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Manuela Martini
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Tag der Veröffentlichung: 11.11.2011
Cover unter Verwendung eines Fotos von depositphoto
Prolog
Die Erde ist rot und heiß. Stachelgrasbüsche sprießen hin und wieder aus dem Boden, den die Sonne seit Jahrtausenden mürbe macht, dass er einreißt wie alte Haut. Risse wie nie genähte Narben, gezackt und tief und rot. Wind streift darüber, treibt luftige Ballons aus Dornen vor sich her. Solange, bis sie hängen bleiben an toten Eukalyptusästen. Hinten durch die Ebene rinnt ein Bach – und in der Hitze flimmert eine staubige Straße.
Dort, wo Bach und Straße unvermeidlich aufeinander treffen, hat man eine dürftige Holzbrücke gebaut, gleich hinter der Brücke am Straßenrand parkt ein grüner Lieferwagen, Fahrertür geöffnet, Motor brummt.
Ein Mann lehnt an der Kühlerhaube und hält sich die Ohren zu, weiter unten aus dem Gebüsch am Bach gellt ein spitzer Schrei, der sofort erstickt. Dann folgt stoßartiges Keuchen. Hinter dem dürren Eukalyptusstrauch hat ein stämmiger Mann ein Mädchen unter sich. Auf ihrem dünnen Kleidchen sind bunte Blumen gedruckt, bunt wie eine Sommerwiese.
Seine weiße Hand ist so groß wie ihr schwarzes Gesicht, quetscht ihre Kiefer zusammen, presst ihre Nase, als solle sie zerbrechen, krallt die Finger in ihre Augen und Ohren wie in eine reife Frucht. Stößt zu, rasend wie wildgewordenes Vieh, reißt plötzlich die glasigen Augen auf, und brüllt, wird steif wie ein Brett. Nur das Plätschern des Bachs und krächzende Laute der Vögel.
Er nimmt seine schlaff gewordene Hand von ihrem Gesicht, steht auf, zieht die speckige Hose wieder über seine weißen Schenkel und schnallt den Gürtel zu. Mit dem staubigen Stiefel tritt er dem Mädchen in die Seite, wie er es bei verendenden Tieren macht, um zu prüfen, ob sie noch leben. Das Mädchen krümmt sich, und er wischt mit dem Ärmel über sein verschwitztes Gesicht, schlendert zum Wagen zurück. Der Mann, der an der Kühlerhaube lehnte, ist schon eingestiegen, sieht dem anderen nicht mehr in die Augen. Der klettert hinters Steuer, schlägt die Tür zu, löst die Handbremse, legt den ersten Gang ein und gibt Gas. Der Lieferwagen wird kleiner.
Das Mädchen kriecht in den Bach über die glitschigen Stein, streckt die Hand aus und bekommt eine Scherbe des Wasserkruges zu fassen. Das Kleid mit der bunten Blumenwiese ist jetzt zerrissen. In der roten Ebene ist es wieder still.
Kapitel 1
Keith Duff
Noch immer war es Keith Duff kotzübel. Er saß an der Theke des Pub Coocooloora und bestellte seine vierte Rum-Coke. Was für ein verdammter Tag!
Wie jeden Morgen hatte um 6.40 Uhr seine Armbanduhr gepiepst. Er war aus dem oberen Etagenbett des Wohnwagens gekrochen, den er mit John Flunders schon seit drei Wochen teilte, die Zeit, die sie als Roadworker im Outback arbeiteten.
Am Vortag waren sie nach Coocooloora gekommen, in einen Ort mit zweihundert Einwohnern, einem Pub, einer Tankstelle, einem Videoshop, einem Motel, und einem Lebensmittelladen. Noch einen Monat lief sein Vertrag, dann wollte er sehen, ob er weitermachen oder sich endlich um sein Leben mit Cindy kümmern würde. Vor einem halben Jahr hatte er ihr schon die Hochzeit versprochen. Er fuhr sich durchs Haar, spritzte sich Wasser ins Gesicht und zog seine Arbeitskleider an, dunkelgrüne Shorts, Hemd, dicke Socken und staubige Boots. Bevor er die Tür öffnete, stülpte er seinen abgegriffenen Hut über.
„Wieder so ein verdammter Tag!“, sagte er zu John, schaute in den wolkenlosen Himmel, und lachte. Sie tranken Kaffee und brieten ein paar Eier mit Speck. Um sieben Uhr zwanzig schaltete Keith Duff den Presslufthammer an und begann entlang einer mit Kreide auf die Teerfläche eines Parkplatzes gezeichneten Linie ein sechs Meter langes und einen Meter breites Rechteck aufzubrechen. Nachdem er mit dieser Arbeit fertig war, kletterte John Flunders in den Bagger und hob die Grube aus.
Keith Duff sah ihm zu – bis er etwas Seltsames, Bräunliches, Ledriges bemerkte. Er machte John Flunders ein Zeichen, für einen Moment aufzuhören und bückte sich. Scheiße ... wenn ihn nicht alles täuschte, war dieses bräunliche, lederartige Ding eine verdammte menschliche Hand.
Shane
Detective Sergeant Shane O’Connor starrte auf die zwischen ihm und dem Gerichtsmediziner liegende Masse aus bleichen Knochen, an denen stellenweise Reste von Fleisch klebten, faserig und trocken wie das einer zu lang gegrillten Ente. Der Gestank von verwesendem Fleisch und Chemikalien würgte ihn. Ihm saß noch die letzte Nacht in den Knochen. Als er am Morgen aufgewacht war, das Hirn von zu viel Whisky benebelt, hatte er gehofft, geträumt zu haben, doch seine aufgeplatzte Lippe bewies ihm, dass er sich tatsächlich geprügelt hatte.
Er warf einen Blick auf den Schädel, den Howard auf den Nebentisch gelegt hatte. Anstelle der Augen gähnten schwarze Höhlen, Nase und Wangenknochen waren seltsam deformiert, Maden hatten Löcher in die pergamentene Haut gefressen. Die üppigen, lockigen Haare um ihr winziges Gesicht sahen verstaubt aus. Aber die Zähne waren weiß und vollständig wie das Modell beim Zahnarzt.
Shane schluckte gegen die Übelkeit an, blickte auf, sah in Dr. Howards kleine Brillengläser, und konnte in seinen Augen weder Trauer noch Ekel noch Grauen erkennen.
„Sauber abgetrennt vom Rumpf.“ Howard deutete auf die scharfen Schnittkanten der Sehnen, die wie ausgedörrte Lederriemen vom hinteren Teil des Schädels herabhingen. Shane spürte, wie ihm das Blut aus dem Kopf sackte.
„Wir können froh sein, dass er sie diesmal vergraben hat, sonst wäre nicht so viel übrig. Wieder enthauptet, mit Axt oder Beil, soweit ich das in dem Zustand noch erkennen kann. Möglicherweise vor der Enthauptung auch gefesselt, wegen der Stellung der Beine. Der Stich im Bauch ebenfalls wie immer“, sagte Howard und sah auf. „Und was die 64.000 Dollar-Frage angeht: Die kann ich im Moment nicht beantworten, aber ich nehme an, dass wie in den übrigen Fällen kein Verkehr stattgefunden hat.“ Howard zog sein Latexhandschuhe aus. „Strengt euch bloß an, dass ihr den Kerl endlich fasst!“
Shane atmete auf als er durch die Tür des John Tonge-Centers auf die Straße trat. Es war Punkt acht und schon heiß. Bei der nächsten Obduktion wäre Jack mal wieder dran. Immer drückte er sich! Von wegen empfindlicher Magen! Aber Cola und Bier konnte er literweise in sich reinschütten! Shane hatte schlechte Laune. Da draußen lief ein Verrückter rum und hielt sie zum Narren. Und das nahm er persönlich.
Das war jetzt bereits die vierte derartig zugerichtete Leiche, die innerhalb von sechs Jahren in einem Gebiet von fast 6000 Quadratkilometern in Queensland gefunden worden war.
Die Opfer waren Frauen, die jüngste achtunddreißig, die älteste achtundvierzig. Der Mörder zwang sie offensichtlich, sich auszuziehen, dann fesselte er sie, knebelte sie mit einem Kleidungsstück, ließ sie niederknien und den Kopf auf einen Baumstumpf legen und enthauptete sie dann mit einer Axt oder einem Beil. Dann nahm er ihnen Hand- und Fußfesseln wieder ab, stieß ihnen ein Messer in den Bauch und schleifte den Körper hinter ein Gebüsch oder warf ihn in eine Grube oder Schlucht, irgendwo in einem abgelegenen Gebiet. Den Kopf und die Kleider stopfte er in eine Plastiktüte und vergrub sie zwanzig bis fünfzig Meter entfernt.
Nachdem seit einem halben Jahr keine Leiche mehr aufgefunden worden war, hatte die Homicide Squad vor zwei Tagen von Detective Greg Sutton aus Roma am Warrego Highway, vierhundert Kilometer westlich von Brisbane, einen Anruf erhalten: Dingofallensteller hatten unter dem steilen Abbruch eines Creekufers einen nackten toten Körper ohne Kopf gefunden. Unerwarteter Regen musste den vergrabenen Körper freigespült haben. Während die örtliche Polizei sofort den Fundort absperrte, machten sich noch am selben Tag die Detectives Flinders und Ross aus Brisbane auf den Weg, das Auto beladen mit Computern und Equipment, das sie für ihre Ermittlungen brauchen würden. Sie quartierten