Der lange Weg nach Däne-Mark. Sonja Reineke
dann lass uns fahren.“
Marly stand auf, und jetzt konnte ich erst so richtig sehen, wie Bluse und Hose an ihr schlotterten. Es sah fürchterlich aus. Aber nicht so schlimm wie ihr verstörtes Gesicht.
Sie sah noch kurz bei Marcel rein, schnappte sich ihre Handtasche und wir schlichen uns aus der Wohnung. Ich beneidete sie damals heftig. Mark hatte Wunderbares geleistet und seiner Familie ein schönes Nest gebaut, gemütlich eingerichtet, und Marly hatte alles liebevoll dekoriert. Die beiden waren schon ewig zusammen und würden es auch bleiben. Immer hatte ich mir so eine harmonische Beziehung gewünscht. Ich wusste ja damals nicht, dass es zwischen den beiden nicht mehr stimmte. Es ist eben nicht alles Gold, was glänzt, hatte schon meine Oma immer gesagt.
Wir fuhren zu meiner Wohnung. Mein Onkel erwartete uns schon mit vier Muskelprotzen, die Rainer mit dem kleinen Finger in seine Bestandteile zerlegen hätten können. Der ließ sich aber nicht blicken. Die Vier schleppten nur zwanzig Minuten, dann war alles erledigt.
„Morgen Nachmittag kommen wir zu deiner neuen Wohnung und bringen die Möbel aus der Lagerhalle mit.“ Der liebe Onkel brüllte es quer durch den nächtlich stillen Hausflur. Ich nickte nur lächelnd, um die senkrecht im Bett stehenden Nachbarn nicht noch mehr zu erschrecken, und stieg mit in den Lkw. Zwei der Muskelprotze fuhren im Privatwagen nach Hause. Sie wurden nicht mehr gebraucht. Auch Marly, die ziemlich müde aussah, kam noch mit. Sie half mir, das Bett zu beziehen und meine Koffer in die Räume zu stellen. Meine neue Wohnung war ein Schmuckstück mit vier Zimmern und einer großen Einbauküche. Kisten und Möbel standen wild durcheinander gewürfelt herum, einzig das Bett stand an seinem Platz, damit ich noch ein paar Stunden schlafen konnte.
„Willst du nicht hier bleiben? Du kannst ja auf der Couch schlafen“, schlug ich vor. Aber Marly schüttelte den Kopf und knöpfte den Kissenbezug zu.
„Nein, ich muss doch da sein, wenn Marcel aufsteht.“
„Wieso? Der ist doch kein Baby mehr!“
„Ich mache ihm aber immer Frühstück.“
„Der kann doch Cornflakes essen? Wie soll das erst werden, wenn wir wegfahren?“ Dass ich von der Couch gefallen war, wusste ich nicht mehr, aber an Tristø konnte ich mich noch erinnern.
„Er weiß aber nicht, dass ich nicht da bin. Bevor ich wegfahre, rede ich ja noch mit ihm.“
Ich zuckte mit den Schultern und behielt meine Meinung für mich. Marly rieb sich zu sehr auf, räumte hinter Marcel und Mark her, kochte, wusch und bemutterte alle beide. Vor allem las sie Mark jeden Wunsch von den Augen ab. Das, fand ich, konnte nicht ewig gut gehen.
Ich konnte damals ja nicht wissen, dass es schon lange nicht mehr gut ging. Aber Marly hatte es ja auch gerade erst bemerkt. Dass ihr Märchen vom Leben mit dem Traumprinzen schon lange aus war.
Es war einmal ein Schauspiellehrer, der die Frauen liebte. Er liebte sie so sehr, dass er sich nicht auf eine festlegen konnte und daher beschloss, sie alle haben zu wollen.
Da das schöne Geschlecht aber nicht willig war, sich harmonisch in seinen Harem einzufügen, musste er sie notgedrungen belügen. So machte er jeder Frau weis, sie sei die Einzige, die sein Herz erobert habe, und bewies es mit blumigen Gedichten und schwärmerischen Geschichten und vielen, vielen E-Mails und Anrufen.
Wenn die Frau nun betört war, und seiner stürmischen Werbung und seinen Versicherungen, dass sie beide ein wundervolles gemeinsames Leben haben würden, nicht mehr standhalten konnte, fuhr er viele Kilometer zu ihr, beschenkte sie mit Blumen und überschüttete sie mit Komplimenten. Dann vögelte er ihr das zu Mus gewordene Hirn heraus, und ließ sich nie mehr blicken.
Die verstörte Frau stellte dann meistens Nachforschungen an und bekam heraus, dass dieser Schauspiellehrer eine feste Freundin hatte, die bei ihm lebte. Er konnte sich anscheinend doch auf eine Frau festlegen, musste aber noch andere flachlegen, damit keine Langeweile aufkam im gemeinschaftlichen Bett. Feste Freundin und kurzfristige Gespielin wussten nichts voneinander und mussten voneinander ferngehalten werden. So hielt sich der Endfünfziger fit, und sein Leben gewann an Spannung.
Dass er dabei reihenweise Herzen brach, kümmerte ihn nicht weiter. Nur wenn eine der Frauen von ihm nichts wissen wollte, verletzte das den Schauspiellehrer tief und er beschwerte sich darüber, sogar anonym in den Gästebüchern dieser schrecklichen Weiber, die ihn nicht hatten haben wollen und nicht wussten, wie knapp sie diesem Schürzenjäger durch die gierigen, Titten grapschenden Finger geschlüpft und somit der Lächerlichkeit entgangen waren.
Leider gehörte ich nicht in diese glückliche Kategorie. Ich war Mick auf den Leim gegangen.
Meine Nachfolgerin hatte ihm nach ihrer gemeinsamen Nacht einen schwärmerischen Kommentar auf seinem Viareddel Profil hinterlassen. Für mich war das Auffinden dieses Eintrags ein Befreiungsschlag ins Gesicht.
Auch das sollte ich erst später erfahren.
Als Svenja mich anrief und nach Dänemark einlud, saß ich wieder einmal brütend vor meinem Laptop und starrte auf das Viareddel Profil von Mick. Dort hatte er mich auch gefunden. Einen meiner Blogeinträge, eine Kurzgeschichte über eine schwierige Mutter-Tochterbeziehung, fand er angeblich gut, und wollte ein Bühnenstück daraus machen. Da ich damals dringend Geld brauchte und er mir versicherte, dass wir beide viel davon verdienen konnten, wenn wir das Stück gemeinsam schrieben, ließ ich mich auf die Sache ein. Es konnte ja nichts schaden, ein Stück zu schreiben, fand ich. Wenn es keiner haben wollte, dann hatte ich zumindest eine interessante Erfahrung gemacht.
Eine Erfahrung machte ich dann auch, aber ich würde sie nicht als interessant bezeichnen.
Zuerst beschränkte sich Mick auf rein auf das geplante Stück bezogene E-Mails. Aber er rief mich an, als ich ihm meine Handynummer gegeben hatte („die bräuchte ich schon, telefonieren geht doch schneller, wenn man mal eine Frage hat. Du musst dir auch keine Sorgen machen, dass ich deine Nummer weitergebe. Schau, ich gebe dir meine zuerst“), und seine Stimme traf mich wie ein Blitz. Es ließ sich nur schwer beschreiben, aber es fühlte sich an, als würde ich ihn schon ewig kennen.
Er troff vor Charme, der Mick. Lange telefonierten wir, und es gab keine Gesprächspausen. Ich saß da mit roten Bäckchen auf dem kalten Fußboden, weil mein Akku fast leer und das Ladekabel nicht lang genug war, und strahlte über das ganze Gesicht. Schon bald hatte er meine Festnetznummer und rief mich täglich an. Manchmal auch dreimal am Tag.
Bat mich auch darum, ihn anzurufen, wenn ich unterwegs gewesen war und wieder nach Hause kam („es gibt jetzt jemanden, der um dich bangt“) und schickte mir per Post CDs mit seiner Lieblingsmusik. Einmal rief er mich an, und als ich abhob, erklang Klaviermusik aus dem Hörer. „Into my Arms“ von Nick Cave. So romantische kleine Gesten legten schließlich meine Antennen lahm, die in puncto Internetliebschaften sehr geschärft waren. Zwar hatte ich noch keine gehabt, aber viel Schlimmes darüber gehört.
Ich legte also mein Misstrauen ab, und mein Hirn gleich mit dazu. Es gab schon Anhaltspunkte, dass die Beziehung mit seiner Freundin, die angeblich kurz vor dem Aus stand, nicht ganz so aus war. Aber ich sah diese Anhaltspunkte nicht mehr, fand Erklärungen und Entschuldigungen, die Marly und Svenja später die Haare zu Berge stehen lassen sollten. Zum Beispiel rief er mich nie abends an, der Mick. Angeblich arbeitete seine Freundin nicht, aber vormittags ging nur er ans Telefon. Man hörte auch nichts im Hintergrund, wenn wir telefonierten.
Nachdem alles vorbei war, war ich mir ganz sicher, dass die gute Frau tagsüber arbeiten ging, und einen nicht unwesentlichen Teil der Brötchen verdiente, während ihr Partner den Tag – carpe diem! – dazu nutzte, andere Frauen anzubaggern, lange E-Mails zu schreiben, mit den CDs für die jeweilige „Liebste“ zum Postamt zu fahren, und ins Telefon zu säuseln.
Als ich schließlich völlig davon überzeugt war, dass Mick in mich verliebt war und eine feste Beziehung mit mir wollte, kam er mich besuchen.
Er