Taras Bulba. Nikolai Gogol
störte die Reise. Nicht ein einziger Baum kam den Reitern zu Gesicht – nichts als die unendliche Steppe in freier Schönheit. Hier und da nur blauten am Horizont die Wipfel der fernen Waldungen, die die Ufer des Dnjeprs begleiten.
Einmal deutete Taras auf einen einzigen schwarzen Punkt weit drüben im Gras und sagte zu den Söhnen: »Seht, Burschen, da reitet ein Tatar.«
Ein kleiner schnurrbärtiger Kopf musterte sie aus der Ferne mit schiefen Äuglein, witterte wie ein Jagdhund und gab Fersengeld gleich einer Gemse, als er sah, daß die Kosaken selbdreizehnt waren.
»Los, Burschen, probiert einmal, ob ihr den Tataren nicht fangt! – Ach nein, probiert es erst gar nicht – unmöglich, daß ihr den kriegt: sein Gaul kann laufen wie nicht einmal mein Teufel.«
Bulba sah sich aber doch vor – man wußte ja nicht, ob nicht irgendeine Teufelei dahinterstecke. Sie schlugen sich zu einem Flüsschen hinüber, das die Tatarka heißt und in den Dnjepr mündet. Dort ging es ins Wasser; sie ritten eine ganze Weile im Flussbett, ihre Spuren zu verwischen. Erst dann wurde wieder das Ufer gewonnen und die Reise fortgesetzt.
Nach drei Tagen näherten sie sich ihrem Ziel. Die Luft wurde plötzlich kühler; die Nähe des Dnjeprs machte sich geltend. Und da blitzte es schon in der Ferne – Wasser und Himmel, geschieden durch den dunkeln Streifen des Horizontes. Der Strom wälzte kühle Wellen und kam näher und näher, bis er endlich den halben Gesichtskreis füllte. Es war die Stelle im Laufe des Dnjeprs, wo er, den Engen und Schnellen entronnen, die Freiheit findet und braust wie das fessellose Meer, wo die Inseln in seiner Strömung ihn noch weiter aus den Ufern drängen und seine Wogen das Land überfluten, ohne daß sich ihnen Klippen und Anhöhen in den Weg stellen.
Die Kosaken saßen ab, führten ihre Gäule auf den Prahm und landeten nach dreistündiger Fahrt am Strande der Insel Chortitza, wo das Lager, dessen Sitz häufig wechselte, zur Zeit seinen Platz hatte.
Ein Haufe Volkes stritt sich am Land mit den Fährleuten herum. Die Kosaken sattelten die Pferde. Taras warf sich in die Brust, zog seinen Gurt enger und strich sich martialisch den Schnauzbart. Seine Söhne hielten gleichfalls eine Nachmusterung über ihr Äußeres vom Kopf bis zu den Füßen, in einer wolkigen Mischung aus Neulingsfieber und Freude. Dann ritten sie in die Vorstadt ein, von der es noch eine halbe Werst zum Lager war. Betäubend dröhnten ihnen aus fünfundzwanzig unterirdischen, rasengedeckten Schmieden fünfzig Schmiedehämmer entgegen. Stämmige Gerber saßen unter den Vordächern der Häuser und walkten Rindshäute mit ihren starken Fäusten, Händler hielten in Zelten Stahl, Stein und Pulver feil, ein Armenier bot kostbare Tücher zum Kauf, ein Tatar briet Hammelschnitten in Teig am Spieß, ein Jude zapfte mit vorgerecktem Kopf Schnaps aus dem Faß. Der erste Mensch aber, auf den sie stießen, war ein Kosak, der mitten im Weg schlafend lag und alle viere von sich streckte. Taras Bulba konnte nicht anders: er mußte haltmachen und ihn beinah verliebt bewundern.
»Herrgott, wie protzig er daliegt! Kreuzteufel, was kostet die Welt!« sagte er und zügelte sein Pferd.
Es war in der Tat ein verwegnes Bild: der Kosak hatte sich wie ein Löwe auf die Straße gelümmelt, sein kühn zurückgeworfener Schopf lag eine halbe Elle lang am Boden, die Pluderhosen aus feinem rotem Tuch waren mit Teer beschmiert, zum Zeugnis dessen, daß er auf solche Dinge einfach pfiff.
Als Bulba sich an diesem Anblick genug ergötzt hatte, ging es weiter durch die enge Straße, wo einem noch dazu die Handwerker, die im Freien ihrer Arbeit nachgingen, überall im Weg herumstanden und Leute aus allen Nationen sich drängten – das Volk dieser Vorstadt, die einem Jahrmarkt glich und für Nahrung und Notdurft des Lagers sorgte, in dem nur geschlemmt und mit den Flinten geknallt wurde.
Endlich lag die Vorstadt hinter ihnen, und sie erblickten einige zerstreut liegende Wachhäuser, teils mit Rasen, teils nach tatarischem Brauch mit Filz gedeckt. Manche davon waren mit Kanonen bestückt. Nichts von einem Palisadenzaun oder jenen niedrigen, auf kurzen Holzsäulen stehenden Häuschen mit Schutzdächern, wie in der Vorstadt. Ein flacher Wall und ein Verhau ohne jede Bewachung zeugten von staunenswerter Sorglosigkeit. Ein paar stramme Kosaken, die, ihre Pfeifen zwischen den Zähnen, mitten im Weg herumlagen, blickten den Reisenden gleichgültig entgegen und rührten sich nicht vom Fleck.
Taras ritt mit seinen Söhnen vorsichtig zwischen ihnen hindurch und sagte: »Seid gegrüßt, ihr Herren!«
»Seid gleichfalls gegrüßt!« antworteten die Kosaken.
Wohin man blickte, wimmelte das Volk in bunten Haufen. Den sonnverbrannten Gesichtern sah man es an: dies waren kriegsharte Männer, erprobt in Not und Gefahren. Da war es nun, das Lager! Da war es, das Nest, aus dem sie sich zu weiten Flügen erhoben, die Löwenstarken, die Löwenkühnen! Dies war die Stätte, von der aus Freiheit und Kosakentum das ganze Grenzland beherrschten!
Die Reisenden kamen auf den freien Platz, wo die Ratsversammlung zu tagen pflegte. Auf einem umgestürzten Bottich saß ein Kosak ohne Hemd; er hielt es in der Hand und flickte gemächlich die Löcher darin.
Aufs neue wurde ihnen der Weg verstellt durch eine Schar Musikanten, in deren Kreis ein junger Bursch tanzte, die Mütze keck auf einem Ohr, wild mit den Armen fuchtelnd. Er schrie nur immer: »Spielt schneller, faule Bande! Foma, alter Geizkragen, schenk Schnaps ein für die rechtgläubigen Christen!«
Und Foma, ein Kerl mit einem blaugeschlagenen Auge, goss jedem, der herzutrat, ohne Bezahlung das Schoppenglas voll. Um den jungen Kosaken herum tänzelten vier alte mit kleinen Schritten, sprangen dann wie ein Wirbelwind zur Seite, beinah den Musikanten auf die Köpfe, hüpften plötzlich in der tiefen Kniebeuge umher und stampften rasend schnell und kräftig mit den silbernen Hufeisen unter ihren Hacken den hart getrampelten Boden. Die Erde dröhnte, weithin in die Luft erklangen die Schläge und Wirbel der silberbeschlagnen Hacken. Einer von ihnen aber schrie und tanzte noch wilder als die andern. Sein Haarschopf flatterte im Wind, splitternackt war die kräftige Brust; er hatte seinen dicken Winterpelz an, und der Schweiß strömte von ihm herunter, wie aus der Kanne gegossen.
»Ja, zieh doch, in Gottes Namen, erst deinen Pelz aus!« sagte Taras endlich. »Ja, seht doch bloß, wie er dampft!«
»Ausgeschlossen!« schrie der Kosak.
»Warum denn?«
»Ausgeschlossen! Das kenn ich nun einmal nicht anders: was ich vom Leib zieh, ist schon versoffen.«
Eine Mütze hatte er längst nicht mehr, der lustige Kamerad, auch keinen Gurt um den Rock und kein gesticktes Tuch – es war alles den Weg zum Juden gegangen.
Die Menge wuchs, neue Tänzer kamen hinzu: man konnte nicht ohne freudiges Herzklopfen sehen, wie alles mitgerissen wurde in den freiesten, wildesten Tanz, den die Welt kennt, und der nach den Männern, aus deren strotzender Kraft er geboren wurde, der Kosakentanz heißt.
»Ach, hätt ich nur den Gaul nicht da!« schrie Taras. »Mittanzen würd ich; gleich auf der Stelle tanzte ich mit, bei Gott!«
Inzwischen aber kamen auch gesetztere Leute heran, die für ihre Taten vom ganzen Lager geehrt wurden, alte Grauköpfe, die mehr als einmal zum Ältesten gewählt worden waren. Taras sah eine Menge bekannte Gesichter. Ostap und Andri lauschten auf die Begrüßungen: »Bist du das, Petscheritza?« – »Grüß dich Gott, Kosolup!« – »Wo karrt dich der Teufel her, Taras?« – »Woher kommst du, Doloto?« – »Sei mir gegrüßt, Kirdjäga!« – »Sei gegrüßt, Gusty!« – »Daß ich dich noch einmal seh, Remjon!« Die Recken, die aus den wilden Weiten von ganz Russland zusammengeströmt waren, küßten sich, und nun hob ein Fragen an: »Was macht Kassian?« – »Und Borodawka?« – »Und Kolopjer?« – »Und Pidßyschok?« Taras Bulba mußte hören, Borodawka wäre in Tolopan gehenkt worden, Kolopjer hätten sie in Kisikirmen bei lebendigem Leib geschunden, Pidßyschoks Kopf hinwiederum sei gut eingesalzen in einem Faß nach Stambul gereist. Da ließ der alte Bulba den Kopf hangen und sagte, ins Gedenken verloren: »Waren brave Kosaken!«
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