Mirgorod. Nikolai Gogol
die fröhlichen Bräuche des Lagers und seine knapp und bestimmt gefaßten Regeln und Gesetze, die sie für solch eine freie Republik manchmal beinah etwas streng dünkten: ließ sich ein Kosak auf Diebereien ein, stahl er auch nur eine wertlose Kleinigkeit, so galt das als Schmach für die ganze Kosakenschaft; er wurde als ehrloser Lump an den Schandpfahl gebunden, und neben ihm lag ein Knüppel, mit dem mußte ihm jeder, der des Weges kam, einen Hieb versetzen, bis er zu Tode geschlagen war. Wer eine Schuld nicht bezahlte, wurde in Ketten an eine Kanone geschmiedet und saß dort so lange, bis einer von den Kameraden sich bereit fand, ihn durch Bezahlung der Schuld zu befreien. Den tiefsten Eindruck aber gewann Andri von der furchtbaren Strafe, die den Totschläger traf. An dem Platz, wo man ihn griff, wurde alsbald eine Grube ausgehoben, man stieß den Mörder hinein, stellte den Sarg mit der Leiche seines Opfers auf ihn und schaufelte wieder zu. Lange Zeit ging Andri die Erinnerung an solch eine grausige Hinrichtung nach, lange noch schwebte ihm das Bild des mit dem Sarg zusammen lebendig Begrabenen vor Augen.
Die beiden jungen Kosaken waren bald wohlgelitten bei den Kameraden. Oft zogen sie mit andern aus ihrer Gemeinde, manchmal auch mit der ganzen Gemeinde oder mit den Nachbargemeinden vereint, in die Steppe hinaus und schossen dort Mengen von Steppenvögeln, Hirschen und Rehen, oder sie fischten mit Netz und Angel in den Seen, Flüssen und Bächen, die den einzelnen Gemeinden durch das Los zugeteilt waren, und brachten reichen Fang für das Lager heim. Wurde das auch nicht zu den edeln Künsten gerechnet, in denen sich der richtige Kosak erprobt, sie konnten sich hier doch vor andern jungen Leuten durch Mut hervortun und dadurch, wie gut ihnen alles von der Hand ging. Geschickt und sicher schossen sie nach der Scheibe, sie durchschwammen den Dnjepr gegen den Strom – eine Leistung, für die man den Neuling schon feierlich in den Kreis der Kosaken aufnahm.
Der alte Taras aber hatte andres mit ihnen im Sinn. Solch ein bummliges Leben war nicht nach seinem Geschmack – sie sollten richtig was lernen. Er ließ es sich durch den Kopf gehen: man müßte das Lager zu irgendeiner kecken Unternehmung aufstacheln, bei der seine Söhne sich tummeln könnten, wie sich’s für Ritter geziemt. Endlich ging er eines schönen Tages zum Hetman und sagte ihm gerade heraus:
»Na, Hetman, findest du nicht, daß es Zeit war für einen fröhlichen Krieg?«
Der Hetman nahm ruhig das Pfeifchen aus dem Mund und spuckte zur Seite.
»Ja, das kannst du leicht sagen. Und gegen wen denn?« erwiderte er.
»Dumme Frage! Gegen das Türkenpack oder das Tatarengesindel.««
»Türkenpack und Tatarengesindel – ganz ausgeschlossen«, sagte der Hetman und schob die Pfeife wieder mit Seelenruhe zwischen die Zähne.
»Was heißt denn: ausgeschlossen?«
»Das heißt . . . Wir haben dem Sultan nun einmal den Frieden beschworen.«
»Er ist doch ein Muselmann, Gott und die Heilige Schrift befehlen, gegen die Moslim zu kämpfen.«
»Wir haben das Recht nicht dazu. Wenn wir es ihm nicht bei unserm Glauben zugelobt hätten, dann könnte es vielleicht noch zur Not sein, daß es ginge. So aber nicht! Es geht nicht.«
»Was heißt: es geht nicht? Was redest du da: wir haben kein Recht? Und ich hab zwei Söhne, zwei junge Burschen. Ist noch keiner von ihnen ein einziges Mal im Krieg gewesen, und du sagst, wir haben kein Recht? Und du sagst, die Kosaken sollen nicht losgehen?«
»Weil es sich nicht gehört.«
»So? Aber gehört es sich denn, daß die Kosakenkraft einfach für nichts veraast wird, daß der Mensch verfault wie ein Hund, ohne richtig etwas zu tun, ohne der Heimat und der ganzen Christenheit den kleinsten Nutzen zu bringen? So? Wozu leben wir dann, möcht ich wissen, Hölle und Teufel, wozu denn? Erklär mir das mal! Bist ein gescheiter Kerl, nicht wahr, man weiß, weshalb du zum Hetman gewählt bist: erklär mir einmal, wozu wir dann leben?«
Der Hetman gab keine Antwort auf diese heftige Frage. Er war ein dickschädliger Kosak. Er blieb eine Weile stumm und sagte dann:
»Krieg gibt es drum doch nicht.«
»Krieg gibt es also nicht?« fragte Taras von neuem.
»Nein.«
»Also, gar nicht daran zu denken, was?«
»Gar nicht daran zu denken, nein.«
– Wart nur, du Teufelsbraten! dachte Bulba bei sich. – Du lernst mich noch kennen! – Und er beschloß, dem Hetman das einzutränken, je früher, je besser.
Er munkelte heimlich mit dem und jenem und gab dann seinen Getreuen ein tüchtiges Fest. Von dort zogen die berauschten Kosaken, ihrer wenige nur an Zahl, auf den Platz, wo an einer Säule die Kesselpauken hingen, deren Klang die Kosaken zur Ratsversammlung berief. Da sie die Schlegel nicht fanden, weil sie der Pauker in sicherem Gewahrsam hatte, griff jeder zu einem Holzscheit und ballerte munter drauf los. Auf den Lärm hin kam zuerst der Pauker gelaufen, ein langer Kerl mit nur einem Auge, das aber verschlafen aussah für zwei.
»Wer untersteht sich, die Pauken zu schlagen?« schrie er.
»Halts Maul! Nimm deine Schlegel und gib Alarm, wenn man’s dir befiehlt!« erwiderten die trunknen Ältesten.
Der Pauker zog ungesäumt die Schlegel hervor, die er gleich mitgebracht hatte, weil er wohl wußte, was für ein Ende solche Geschichten zu nehmen pflegten. Die Pauken dröhnten, und alsbald wimmelten die Kosaken in dunkeln Scharen wie Hummeln über den Platz. Sie bildeten einen Ring, und nach dem dritten Wirbel erschien endlich die höchste Behörde: der Hetman, als Zeichen der Herrschaft den Stab in der Hand, der Richter mit dem Heeressiegel, der Schreiber mit dem Tintenfass, der Oberstleutnant mit dem Stock. Der Hetman und die Beamten zogen die Mützen und verneigten sich nach allen Seiten vor den Kosaken, die spreizbeinig standen, die Fäuste in die Hüften gestemmt.
»Was bedeutet diese Versammlung? Was wünscht ihr Herren?« sagte der Hetman.
Wüstes Geschimpf und Geschrei unterbrach ihn. »Leg den Stab hin! Legst du wohl gleich den Stab hin, Satansbraten! Wir wollen dich nicht mehr!« schrieen ein paar Kosaken aus der Menge.
Einige nüchtern Gebliebene schienen sich widersetzen zu wollen; und es entspann sich ein wildes Gerauf zwischen Nüchternen und Betrunknen. Der Spektakel griff um sich.
Der Hetman wollte anfangs noch einmal das Wort erbitten, aber er wußte, daß die hitzige Versammlung imstande war, ihn als Antwort darauf zu Tode zu prügeln. Das pflegte bei solchen Gelegenheiten häufig das Ende zu sein. Darum verneigte er sich respektvoll, legte den Stab hin und tauchte schnell in der Menge unter.
»Ihr Herren, befehlt ihr, daß auch wir die Amtszeichen niederlegen?« sagten der Richter, der Schreiber und der Oberstleutnant und waren schon drauf und dran, Tintenfass, Heeressiegel und Stock von sich zu tun.
»Nein, ihr bleibt!« schrie es aus der Menge. »Wir wollten nur den Hetman forthaben – er ist ein altes Weib, wir brauchen ein Mannsbild als Hetman.«
»Wen wählt ihr denn nun zum Hetman?« fragten die Beamten.
»Kukubenko wollen wir!« schrieen einige.
»Nichts Kukubenko!« schrieen andere. »Ist zu jung, hat ja noch einen Milchbart!«
»Schilo soll Hetman sein!« schrieen wieder andre. »Wir wollen Schilo zum Hetman!«
»Steckt ihn euch in den Hintern, den Schilo!« ereiferte sich wütend die Menge. »Ist das auch ein Kosak? Das Diebsgesicht! Der Hundsfott stiehlt wie ein Tatar! Zum Teufel in die Hölle mit euerm Schilo, dem Süffel!«
»Borodaty! Borodaty wird Hetman!«
»Wir wollen keinen Borodaty! Des Teufels Großmutter soll ihn versohlen!«
»Schreit: Kirdjäga!« flüsterte Taras Bulba einigen zu.
»Kirdjäga! Kirdjäga!« schrie die Menge. »Borodaty! Borodaty! Kirdjäga, Kirdjäga! Schilo! Zum Teufel mit Schilo! Kirdjäga!«
Alle die Kandidaten drückten sich, sobald sie ihren Namen rufen hörten, schleunigst aus dem Ring, daß ja