Immer mutig. Paul Scheerbart
Kanten wie knorrige Eichen.
Es sieht anfänglich alles ganz friedlich aus – leider
darf man keinem Frieden trauen.
Die goldenen Sonnenraketen biegen sich vor und
zurück, als wenn der Sturmwind an ihnen rüttle. Und
bald wird mir's ganz klar: Die Raketen stehen sich
gegenseitig im Wege.
Ich hatte wohl vorher gedacht, dieses Schwanken,
Drängen, Schieben und Stucksen wäre nur eine
Äußerung der Zärtlichkeit. Mir fiel jedoch zur richtigen
Zeit ein, daß ordentlichen Feindschaften ein zärtliches
Vorspiel was ganz Natürliches ist.
Die Atmosphäre scheint mir recht heiß zu werden. Die
Schlangenrakete dehnt oft ganz beängstigend ihren
gierigen Sonnenleib. Und die Eichenrakete schwankt und
zittert wie ein wilder Trotzkopf, der gern seine Wutkrone
aufsetzt.
Die beiden Ungeheuer stehen sich im Wege – das ist
mir bald völlig klar.
Und ich nehme Partei für die goldene Eiche, die mir
der Schlange an Schlauheit unterlegen zu sein scheint.
Der Schlauheit mag ich stets an den Hals.
»Ich schütze die Dummheit!«
Also ruf' ich laut. Und ich erschrecke, da mir tausend
Echos – der Himmel mag wissen woher – antworten –
höhnend antworten.
Hei! Jetzt kommen die goldenen Sonnen ordentlich in
Bewegung! Das Gold glitzert und zuckt! Die Raketen
machen Ernst! Das ist keine Zärtlichkeit mehr! Ich recke
mich auch! Meine sehnigen Muskeln schwellen an wie
springende Wildbäche im Frühling!
Es zittern die Spitzen der weichen und der knorrigen
Äste so stark, daß ich mitzittern muß.
Und aus den Spitzen fliegen nun blaue, grüne und rote
Lichtblasen heraus – die brennen in dunklen Farben und
werden immer größer. Und aus den Lichtblasen schießen
in die Nacht gelbe und weiße Lichtkegel, die wie weite
Scheinwerfer blitzschnell den Himmel durchfliegen – von
einem Ende zum andern – wie rasend!
Eine Lichtschlacht!
Zwei goldene Milchstraßen liefern sich eine
Lichtschlacht – eine lautlose.
Ich muß mich sehr wundern.
»Himmel! Wetter!« ruf ich wieder ganz laut, »ist denn
da hinten auch alles so eng, daß nicht mal zwei
Sonnenbäumchen Platz haben? Sind denn ›sämtliche‹
Weltwinkel zu klein?«
Über mir hör ich ein heftiges Brummen, und seltsam
hüstelnd antwortet mir eine dunkle Baßstimme:
»Was weißt Du von Weltwinkeln? Tu doch nicht so,
als ob Du kosmische Größenverhältnisse besser
ausrechnen könntest als unsereins. Die Naseweisheit
steht Dir nicht gut. Verkrieche Dich in der alten
Weltpauke! Da ist noch Platz für dich.«
Ich ducke mich, obgleich ich Keinen sehe.
Die Raketen kämpfen weiter.
Es wird furchtbar lebhaft da hinten.
Ich möchte noch mehr sehen; das Loch in der
Himmelswand erscheint mir zu klein. Doch da kommt
auch schon die weiß schimmernde Riesenkralle wieder
höher und macht das Loch größer.
Jetzt kann ich bequemer dem Kampfspiele zuschauen.
Die weißen und gelben Lichtkegel flirren immer heftiger.
Die roten, grünen und blauen Gasblasen werden
mordsmäßig groß und platzen dann – wie Alles, was zu
groß wird. Dafür spritzen die Spitzen der weichen und
der knorrigen Äste immer wieder neue Blasen hervor, die
auch mit weißen und gelben Lichtkegeln herumflirren.
Die Schlangenrakete wird offenbar noch schlauer; sie
bedrängt die Eiche wie ein unheimliches Krötenweib.
Ich kann's kaum ansehen; die Schlange wird mit ihren
langen Schläuchen, die ihr immer dicker aus dem Leibe
herauswachsen und gar nicht mehr was Astartiges haben,
so aufgedunsen – so scheußlich groß.
Der Hintergrund, von dem sich die Raketen abheben,
ist so bunt wie eine riesige zitternde Opalfläche; die
roten, blauen und grünen Gaskugeln mit den gelben und
weißen Lichtkegeln flattern umher, als wenn sie ein
Weltföhn durchbrause.
Da kann ich mich nicht mehr halten.
Die Schlangenrakete wird von oben bis unten gemein.
Das ist die ewige Niedertracht!
Ich möchte der Schlange an den Hals.
»Eine Kralle möcht' ich haben!«
Das schrei' ich.
Und im selben Augenblick fühl ich, daß die wilde
Kralle, die unsern alten dösigen Dorfkirchenhimmel
aufriß, ›meine‹ wilde Kralle ist.
Und mit meiner weiß schimmernden Riesenkralle
pack' ich durchs Loch, mitten in den Schlangenleib rinn.
»Ich will nicht die Schlauheit siegen lassen!« brüll' ich
auf und drück' mit meiner wilden Kralle zu – den ganzen
Leib der Schlangenrakete entzwei.
Doch dabei muß ich »Au!« schreien.
Ich habe mich verbrannt.
Horngeruch – widerlicher – steigt mir betäubend in
die Nase.
Ich sehe nichts mehr.
Ich reiße die Hand mit der Kralle aus dem Loche raus,
um mich auf meiner Tanne festzuhalten.
Aber die Hand mit der Kralle tut mir zu weh, und ich
kann mich mit der Linken allein nicht halten.
Und ich falle mit der Kralle.
Mich ergriff eine namenlose Wut.
»Die Schlauheit siegt! Sie ist zu kaltblütig!« schrie ich
noch.
Dabei fiel ich immer tiefer.
Ich hielt den Atem an, indessen – ich fiel trotzdem.
Das Horn roch – brenzlich.
Es war mir auch so, als ob der Docht einer alten,
großen Wachskerze verglimmte – in einer Dorfkirche.
Ich fiel – der Teufel – mochte wissen – wohin.