Scarlett Taylor - Wendy. Stefanie Purle
wiederhole ich und wackle vielsagend mit den Augenbrauen.
Ein Grinsen breitet sich auf ihrem Gesicht aus. Sie zieht die Schultern hoch und kommt mir plötzlich viel jünger vor. „Ja, gearbeitet und… solche Sachen eben.“
„Und ihn hast du bezahlt, damit unsere Polizeiakten leerbleiben?“
Jetzt erröten ihre Wangen erneut und ihr Blick gleitet ab. „Nun ja, bezahlt habe ich ihn. Mehrmals. Allerdings nicht mit Geld.“
Ich bin fassungslos. „Er hat dich gezwungen mit ihm zu schlafen, um dir Immunität zu verschaffen?“
Sie nimmt eine Haarsträhne und zwirbelt sie um ihren Zeigefinger. „Er musste mich nicht zwingen.“
Oh mein Gott.
Elvira und Günther hatten eine Affäre!
Ich stelle mir diesen großen, dicken Mann mit seiner speckigen Halbglatze und den buschig grauen Augenbrauen zusammen mit meiner zierlichen, kleinen Tante vor und muss bei dieser Vorstellung fast würgen.
Elvira hat nie von ihm gesprochen. Sie hat generell nie einen Freund oder Mann in ihrem Leben erwähnt. Wie naiv von mir anzunehmen, dass sie nie eine Beziehung hatte. Offenbar war sie kein Kind von Traurigkeit und hatte ihren Spaß, bloß ohne es an die große Glocke zu hängen.
„Es war ein Abkommen, niemand wurde zu irgendwas gezwungen, Scarlett. Wir sind uns ein paar Mal an verschiedenen Tatorten zwangsläufig begegnet. Und irgendwann kamen wir ins Gespräch. Wir haben uns auf ein Bier getroffen, dann wurden es zwei, dann drei Bier, und schließlich gingen wir in ein Motel, und dann…“
„Stopp!“, sage ich und hebe die Hand. „Das reicht, den Rest kann ich mir denken. Danke für das bildhafte Szenario, das sich gerade in meinem Kopf abspielt.“
Elvira kichert und ihr Blick wirkt verträumt. „Er war damals ein gutaussehender Mann, musst du wissen. Er hatte diese breiten Schultern und genau die richtige Menge Brustbehaarung.“
„Oh Gott, Elvira, bitte hör auf!“ Ihre Fingerspitzen zucken in der Luft, als spiele sie gerade mit den imaginären Brusthaaren ihres Verflossenen. „Bitte, keine weiteren Details mehr.“
Jetzt lacht sie. „Ich wusste gar nicht, dass du so prüde bist! Dabei habe ich dir noch gar nicht von seinem besten Stück vorgeschwärmt. Du musst wissen, es war…“
„Nein“, rufe ich, als sie mit ihren Händen eine Größe andeutet. „Ich will das nicht hören!“
„Puh, der Mann war nicht von schlechten Eltern“, sagt sie lachend und macht eine Handbewegung, als wische sie sich Schweiß von der Stirn.
Noch nie hat sie so offen mit mir über ihr Privatleben gesprochen. Ich frage mich, was der Grund dafür ist. Liegt es daran, dass ich das Thema nie angesprochen habe?
„Warum hast du nie von ihm erzählt?“, frage ich schließlich, schüttle die inneren Bilder ab und lege die Hände auf den Tisch.
Elvira legt den Kopf schief und blickt nachdenklich an mir vorbei. „Keine Ahnung. Wir hatten ja keine feste Beziehung, oder sowas. Ich schätze, ich hielt es einfach nicht für wichtig, ihn zu erwähnen.“
„Mhm“, murmele ich und nicke. „Und was weiß dein ehemaliger Lover alles von uns? Weiß er, was wir tun?“
Sie schüttelt mit dem Kopf. „Erstens, ich würde ihn nicht als ehemaligen Lover bezeichnen. Es ist eher so eine saisonale Geschichte. Und zweitens, er weiß, dass ich mich um Fälle gekümmert habe, bei denen die normale Polizei an ihre Grenzen stieß. Manche Fälle habe ich auch erst übernommen, weil er mich darauf aufmerksam gemacht hat. Er weiß nicht, dass es Dämonen und Geister wirklich gibt, dass es Werwölfe, Vampire und das alles gibt. Aber er weiß, dass die Polizei und das BKA bei manchen Kriminellen nicht die Mittel und Wege haben, die mir offenstanden.“
„Weiß er, dass ich deine Nachfolge angetreten habe?“
„Ja, das weiß er. Deswegen hält er deine Akte auch sauber. Er wollte nie wissen, womit genau wir es zu tun hatten. Es reichte ihm, wenn das Morden danach aufhörte.“
Ich lehne mich erstaunt zurück. „Also habt ihr wirklich zusammengearbeitet? “
Elvira nickt. „Ja, viele Jahre lang. Meistens wusste er, dass das BKA es mit keinem menschlichen Monster zu tun hat, sobald einer von uns den Tatort betrat.“
„Er kennt auch andere von uns?“
„Ja. Berny, Jo, Naomi, Fletcher. Er weiß, dass sie ähnlich arbeiten wie ich früher.“
Gedanklich gehe ich das Gespräch mit Günther Schlegel erneut durch. Was meinen Beruf anging, war es offensichtlich, dass er mir nicht glaubte. Und wenn ich jetzt so darüber nachdenke, hätte er mich bei meinen vagen Antworten ganz schön in die Ecke treiben können. Aber das hat er nicht getan. Und nach Elvira hat er erst gefragt, als sein Kollege schon draußen war.
„Er ist also einer von den Guten“, fasse ich abschließend zusammen.
„Oh ja“, antwortet Elvira und nickt mit großen Augen. „Einer von den ganz Guten.“ Und wieder deutet sie mit beiden Händen eine Größe an.
Ich mache ein angewidertes Geräusch und wende den Kopf ab, was Elvira in schallendes Gelächter verfallen lässt.
Den Tee habe ich ausfallen lassen. Nun, da ich weiß, dass Günter Schlegel auf unserer Seite ist, bereue ich es doch, ihm nicht davon erzählt zu haben, dass die Jugendlichen sich wahrscheinlich unten am See hinter unserem Haus getroffen haben. Ich war kurz davor ihn anzurufen, entschied mich dann aber dafür, noch einmal selbst zum See zu gehen. Vielleicht entdecke ich ja noch mehr Interessantes, von dem ich ihm dann ebenfalls berichten kann.
Ich parke auf der Einfahrt und sehe an der offenstehenden, leeren Garage, dass Chris bereits wieder unterwegs ist. Wahrscheinlich ist er im Booh um zu gucken, ob er jemandem bei einem Fall helfen kann. Als ich aus dem Auto steige, empfängt mich die feuchte Mittagshitze. Die Sonne steht hoch am wolkenklaren Himmel und brennt unbarmherzig auf mich herab. Zum Glück trage ich nur ein dünnes schwarzes Shirt mit kurzen Ärmeln, eine Dreivierteljeans und Ballerinas. Ich ziehe die Schuhe aus, stelle sie neben meinen Wagen und flechte mir schnell die Haare, bevor ich mich auf den Weg zum See mache.
Barfuß jogge ich den kleinen Pfad neben dem Haus entlang, der hinunter zum See führt. Schneller wäre ich unten, würde ich durch den Wald rennen, doch heute entscheide ich mich für diesen Weg. Er ist mit dem Auto befahrbar, Chris nutzt ihn, um sein Boot auf dem Anhänger nach unten zu transportieren. Die Reifenspuren haben sich tief in den Boden gegraben, doch mittig wächst das Gras kniehoch. Alle fünfzig Meter bleibe ich stehen und lausche. Je näher ich dem See komme, umso stiller wird es. Ich kann immer weniger Tiere und magische Waldwesen wahrnehmen, selbst die Mückenschwärme werden weniger.
Als ich endlich unten bin, bleibe ich dicht am matschigen Ufer stehen. Meine Zehenspitzen berühren das Wasser, das heute noch grauer wirkt als gestern. Wieder spiegelt sich der blaue Himmel nicht auf der Oberfläche, stattdessen sieht es aus, als nahe ein Gewitter.
Ich hocke mich hin und berühre das Wasser mit meinen Händen, dann horche ich in mich hinein und verbinde mich mit dem See. Es dauert ein bisschen länger als ich es gewohnt bin, doch dann bin ich verbunden und höre wieder dieses weinende Geräusch. Es ist kein menschliches Weinen. Es hört sich beinahe so an, als würde ein Streichinstrument traurige Töne spielen. Die Wasserwesen sprechen nicht zu mir, und ich kann sie auch nicht zwingen, da ich nicht mehr ihre Königin bin. Normalerweise zeigen sie sich sofort, wenn ich mich mit dem Wasser des Sees verbinde, doch dieses Mal fühle ich nur, dass sie da sind, mehr aber nicht. Verwundert löse ich die Verbindung und stehe wieder auf. Sowas habe ich noch nie erlebt.
Ich gehe weiter am Ufer entlang. An den meisten Stellen wächst das Schilf und die gelbe Sumpfdotterblume so hoch, dass ich ein paar Meter vom Ufer entfernt laufen muss, um auf festem Boden zu bleiben. Meine Augen suchen währenddessen den Boden nach Spuren weiterer Treffen menschlicher Individuen ab. Ich erkenne, dass vor nicht allzu langer Zeit jemand den