Herzerwachen - Herzlichen Glückwunsch, Sie haben gewonnen!. Stefan Grau

Herzerwachen - Herzlichen Glückwunsch, Sie haben gewonnen! - Stefan Grau


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dann sah ich ihn, 1,90 Meter pures Kampfgewicht, scheiße, Kickbox-Yasin. Vielleicht muss man an dieser Stelle erwähnen, dass dieser Kerl eine halbe Legende ist.

      Dass so ein winzig kleines Dorf einen, in seiner Gewichtsklasse, hohen Ranglisten-Kickboxer hervorgebracht hatte, war einfach nur … scheiße. Zumindest für mich, in meiner Situation.

      »Du hast mich angespuckt!«, führte er die Konversation weiter.

      »Eh, eh, ja, das war ein Versehen und außerdem hast du mir da an dem einen Tag ein Bein gestellt«, brachte ich deutlich unzuversichtlicher hervor, als ich vor einer Minute noch gewesen war.

      Klatsch.

      »Das war ein Fehler, mein Freundchen!«

      Wut kam auf. Stefan, sei nicht irrsinnig, es war eine Backpfeife! Wenn du jetzt konterst, kloppt dich die zweite Abwehrreihe der Allstars windelweich. Bedenke Torwart Kickbox-Yasin.

      Mein Furcht-Ich hatte recht. Man lässt sich lieber von einem Inline-Skater umfahren, als diesen mit einem Roundhouse-Kick umzunieten, das Gleichgewicht zu verlieren und auf der Straße liegend von einem Lkw überfahren zu werden. Oder eine Flosse von einem, im Boot herumspringenden Fisch abzubekommen, anstatt einer mutierten Seeschlange in den Rachen zu gucken. Wahrscheinlich tut seine Hand mehr weh, als mein Gesicht, dachte ich mir. Hehe, Karpador hat sich selbst verletzt.

      ***

       Okeeee, was hat das alles jetzt mit …

      Bin gleich fertig!, unterbrach ich hastig meinen imaginären Interviewer.

      ***

      Ich stand da und wartete auf den Schlusspfiff. Die Liberos freuten sich über die Gerechtigkeit, die zu Tage gelegt wurde.

      »Mach das nicht noch mal!«, tadelte mich der Angreifer und bezog sich auf die ungewollte Spuckattacke.

      »Nee nee, ich hab es verstanden, kann ich gehen?«, fragte ich nun mit vollkommener Ruhe.

      Da anscheinend alles ausgesprochen wurde, was ausgesprochen werden sollte, machte ich mich fix vom Acker. Im Nachhinein hätte ich niemanden verklagen können, da ich keine Hilfe angefordert hatte. Allerdings hätte ein wenig Rückendeckung bestimmt nicht weh getan.

      Zu Hause angekommen bat ich meine Eltern, mir eine Hantelbank zum nächsten Geburtstag zu schenken und die bekam …

      ***

      Ich glaube, das läuft hier alles ein wenig aus dem Ruder. Diese Geschichte zeigt nur auf, dass Sie sich durch Ihre eigene Geschicklichkeit immer aufs Neue in Gefahr begeben, wies mich der Interviewer zurecht.

       Vielleicht war die Geschichte nicht ganz passend, aber das beste Argument kommt ja angeblich immer zum Schluss.

      ***

      Es war Freitagabend. Die Jugend weiß nicht, wohin mit sich selbst. Im Allgemeinen will man sich sowieso nur besaufen. Man ist jung und will seine Grenzen kennenlernen und unter anderem Spaß haben. Eltern haben dafür ein zu großes Gespür. Sie wissen, worauf es hinauslaufen kann, und wollen deshalb ihre Kinder von jeglicher eigenen, schlimmen Erfahrung entbehren.

      »Aus Fehlern lernt man« oder »lieber Praxis als Theorie« enthalten sie ihren Allerheiligsten lieber vor. Dabei ist es genau das, was einen von Zurückgebliebenen unterscheidet. Die Erfahrung. Selbstfindungsprozess nenne ich das. Umso schneller man weiß, woran man ist, desto schneller wird man erwachsen.

      Ich kann nur aus meiner Sicht sprechen. Ich weiß, dass Väter sich mehr um Töchter sorgen als um Söhne.

      »Ein Stefan kommt immer nach Hause!«, erklärte ich damals meinen Eltern mit geschwollener Brust. Bisher war es auch so, eher komatös als nüchtern, aber ich kam zu Hause an.

      Bei Töchtern, gerade im Entwicklungsalter, in dem Alter, in dem sie noch keine Wortgewandtheit aufweisen. In dem Alter, in dem sie sich nicht belanglos gegen Fremdeinwirkungen mit Elektroschockern wehren können, wäre ich auch vorsichtiger.

      Ich denke häufig daran: meine Tochter in der zarten pubertierenden Phase.

      »Du willst raus? Mit wem?« Das Vater-Ich.

      »Ich hab jemanden kennengelernt, der mich heute ausführen will« Imaginäre Tochter.

      »Ausführen? Der will dich doch nur besoffen machen!«

      »Dad, sei nicht immer so fies!« Tochter.

      »So lange der sich nicht vorgestellt hat, bewegt sich hier keiner aus dem Haus … Außer es gibt ein Erdbeben Stärke 7!« Mein Super-Vater-Ich. Tochter läuft mit einem Wasserfall-Ausscheidungs-Syndrom ins Bad.

      Genau in diesem Moment gibt es wieder Geschrei, Mutter und Tochter halten zusammen. Auf den Satz der Ehefrau: »Guck, was du wieder angestellt hast!«, kann man auch gerne verzichten und man widmet sich lieber seinem Bier.

      Auf jeden Fall hatten wir einen guten Aufenthaltsort für unser Unterfangen gefunden. Der Aldi-Parkplatz neben der Halde. Dominik, Nikolaj und diverse andere Saufkumpanen waren mit reichlich Alkohol angerückt, um den Parkplatz zu besetzen.

      Nikolaj war mein 1,90 Meter großer, glatzköpfige Nachbar, der einer der lustigsten Menschen war, die ich bis dahin in meinem Leben getroffen hatte. Zu viele Zeichentrick- und Comedy-Sendungen hatten im Wesentlichen zu dieser Charakterstärke beigetragen. Um eins klarzustellen: Er war keineswegs ausländerfeindlich. Obwohl jeder Fremde ihn vermutlich als Reinkarnation eines SS-Offiziers angesehen hatte.

      Der Abend verging, der Alkohol lief in Strömen und es sammelte sich eine weitere Jugendgruppe, circa vierzig Meter von uns entfernt, an. Es dauerte nicht lange, bis mein Name von einer fremden Stimme fiel.

      »Jo, Stefan, komm mal rüber zu uns, wir wollen dich was fragen!«

      Erstens, woher kennt der meinen Namen? Zweitens, irgendwoher kennst du das doch noch mit dem »eben rüber kommen« … Schlangen … Schlangengrube … Ah, was auch immer! Besoffen-Ich hatte jegliche Kontrolle über Erinnerungen verloren. So folgte ich dem Fremden zu der nahe gelegenen Truppe.

      Dort angekommen stellte sich schnell heraus, um welche Frage es sich handelte.

      »Du hast doch dieses goldene Handy, oder? Kannst du das mal zeigen?«, fragte mich der Macker, der mich rüberbeordert hatte.

      Mh, denken die ehrlich, dass das aus Gold ist? Sind die so blöd? Das Moped ist gelb-glänzend, kam ich ins Grübeln. Es handelte sich um das S500i! Da kann sich jeder seine eigene Meinung bilden, aber meiner Ansicht nach sieht Gold anders aus.

      »Jops, selbstverständlich!«, antwortete ich und holte mein Handy aus meiner Hosentasche.

      »Zeig mal!«, wiederholte er und streckte seine Hand dabei aus.

      »Nehe, da hab ich diverse schlechte Erfahrungen mit gemacht, also mein Handy anderen Leuten zu geben. Kannst du dir aus sicherer Entfernung ansehen.«

      Derweil er argumentierte, ich könnte ihm mein Handy ohne Bedenken anvertrauen, sah ich aus dem Augenwinkel jemanden hinter meinen Rücken schleichen.

      Bei jedem normalen Menschen würden die Alarmglocken mit hundertzwanzig Dezibel anschlagen und zur Unterstützung eine fünfhundert Schuss Feuerwerk-Batterie losgehen. Bei mir hingegen war es eher ein China-Cracker, der nach dem Abbrennen der Lunte ein leises »Pffff« von sich gab und nicht explodierte.

      Grober Fehler.

      Den nächsten Moment nahm ich folgendermaßen wahr:

      Ein stumpfer Schlag auf meinen Hinterkopf brachte meine Augen dazu, mir vorzugaukeln, dass ich gerade mit Warpgeschwindigkeit durch das Universum fliegen würde. Dies allerdings nur für ein Zehntel einer Sekunde.

      Danach flatterten grob geschätzt 589.254.231 kleine Sternchen vor meinen Augen auf und ab. Entweder hatte sich gerade eine NASA-Rakete auf meinen Kopf verirrt oder ich hatte eine Flasche abbekommen. Letzteres war wahrscheinlicher.

      Es lief kein Blut über mein Gesicht, also hatte


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