Mann meiner Träume. Nicole Knoblauch
erhob sich, klopfte den Staub von den Hosen und streifte dem Jungen durchs Haar. Der zog geräuschvoll die Nase hoch und rannte ins Haus.
„Was ist passiert?“
Napoleone setzte sich wieder. „Ein Streit unter Kindern.“ Sein Blick huschte zu der Gruppe auf der anderen Seite.
„Das war nicht einfach ein Streit!“, ließ sich Paoletta vernehmen. „Giralomo hat Eure Ehre verteidigt, Madame!“
Überrascht blickte ich zu Napolone. Der seufzte und verdrehte die Augen. „Paoletta“, setzte er an, doch sie unterbrach ihn.
„Die haben gesagt, dass Ihr eine ... ein gefallenes Mädchen seid! Weil Ihr heute Morgen mit Napoleone am Strand wart und er nur Hemd und Hose trug. Nicht einmal Schuhe hatte er an!“
„Paoletta!“ Napoleone sagte etwas in seiner Muttersprache. Es klang nicht sehr freundlich. Seine Schwester ließ sich nicht beirren.
„Du hast gesagt, ich soll vor ihr Französisch reden. Und du sagst immer, dass man nicht lügen darf! Ich sage nur die Wahrheit!“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und rannte ebenfalls ins Haus.
Napoleone begrub sein Gesicht in den Händen und murmelte: „Ich wollte nicht, dass du das erfährst.“
Er hob den Kopf und seine Augen funkelten dunkel. „Mama hatte erwähnt, dass man uns gesehen hat. Deshalb war sie so aufgebracht. Ich habe versucht, sie zu beruhigen, aber es scheint schlimmer zu sein, als ich annahm. Ich dachte, wenn wir hier in der Öffentlichkeit sitzen, verschwinden diese Gerüchte.“
Ich stöhnte innerlich. Natürlich, wie hatte ich das vergessen können? Wir waren 1790 auf Korsika. Nicht unbedingt der Ort und die Zeit, in der man öffentlich seine Gefühle zeigte.
„Es tut mir leid Napoleone, ich wollte nicht ...“
„Du musst dich für gar nichts entschuldigen! Hätte ich nicht in diesen unmöglichen Aufzug die Kirche geschwänzt oder würden die Leute ihre Nasen nicht in Angelegenheiten stecken, die sie nichts angehen, wäre alles in Ordnung!“ Er rieb sich die Augen und lächelte mich kopfschüttelnd an. „Ich wollte es anders machen.“ Er stand auf, kniete sich vor mir in den Staub und ergriff meine Hand.
Mein Herz drohte aus meiner Brust zu springen. Sollte er ...?
„Marie! Würdest du mir die Ehre erweisen, dein Leben mit mir zu teilen, und meine Frau werden?“
Unwillkürlich fuhr meine freie Hand zum Hals und ich schluckte. Napoléon Bonaparte machte mir einen Heiratsantrag! Wie reagierte man auf so etwas? Was sollte ich sagen? Unter halb geschlossenen Lidern sah ich ihn an. Er kniete nach wie vor, sein Gesicht wie gemeißelt und angespannt, sein Blick voller Hoffnung.
Marie, du solltest jetzt irgendetwas Intelligentes sagen!, fuhr es mir durch den Kopf. Stattdessen krächzte ich: „Was?“
„Nicht ganz die Antwort, die ich erwartet habe.“ Er lächelte gequält. „Ich habe dich gefragt, ob du bereit bist, meine Frau zu werden.“
Ja, natürlich, genau.
„Ich ... Ja!“ Oh Gott, Marie! „Ich meine ... Nein, ich kann nicht. Du ... Das ist nicht mein Leben. Du musst eine andere heiraten, andere Frauen lieben - oder auch nicht. Ich ... ich kann dich nicht heiraten.“
Abweisend zog er seine Hand zurück und stand auf. „Vergiss doch einfach mal alles, was du zu wissen glaubst! Würdest du mich heiraten, wenn du keine Ahnung von meiner Zukunft hättest?“
Würde ich? Zu meiner Überraschung kam eine Antwort über meine Lippen: „Jederzeit!“ Ich hatte nicht einen Moment gezögert. Ich wollte tatsächlich Napoléon heiraten! Naja, nicht unbedingt Napoléon. Ich wollte Napoleone heiraten, den Mann, den ich die letzten Tage kennengelernt hatte. Er hatte nicht viel gemein mit dem rücksichtslosen, kriegstreiberischen Kaiser der Franzosen. Er war einfühlsam, rücksichtsvoll, ein liebender Bruder und ihm schien viel an mir zu liegen. Und mir an ihm.
„Dann handle danach, verdammt!“ Seine rechte Faust schlug in die linke Hand. „Jeder ist für sein Leben verantwortlich. Ich glaube nicht daran, dass die Zukunft unveränderlich ist. Du und ich - wir können uns unsere eigene Zukunft schaffen.“ Seine Finger schlossen sich wieder um meine und er hauchte einen Kuss auf die Innenseite meines Handgelenkes. Kleine Schauer jagten durch meinen Körper.
„Das geht nicht!“ Musste er mich quälen? „Du kennst mich kaum. Ich könnte nicht öfter als bisher kommen. Oder gar nicht mehr, oder ...“ Ich verstummte, da ein Blick in seine Augen mein Herz überlaufen ließ.
Lächelnd strich er mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und legte einen Finger auf meine Lippen. „Psst, Marie. Ich brauch dich nicht näher zu kennen, um zu wissen, dass du die Richtige bist. Das weiß ich seit Jahren. Es macht nichts, wenn ich dich nicht immer bei mir haben kann. Deine Abwesenheit hat mich nur sicherer werden lassen. Wer weiß, vielleicht ist es sogar gut. Das tötet die Liebe nicht, sondern lässt sie stark werden.“ Er senkte die Hand. „Verstehst du nicht? Du bist die Frau, nach der ich gesucht habe. Eine Gefährtin an meiner Seite, die mich versteht und vorbehaltlos unterstützt.“
Hatte er recht? Sollte ich mir nicht endlich eingestehen, dass ich seit Jahren für ihn schwärmte und mir gewünscht hatte, ihn tatsächlich zu treffen und ein Leben an seiner Seite zu führen? Wollten meine Träume mir das zeigen? Ein Eingeständnis, dass ich in Napoléon Bonaparte verliebt war? Mir schwirrte der Kopf.
„Was ist, wenn du die anderen triffst? Désirée Clary zum Beispiel. Du musst dich mit ihr verloben! Nicht auszudenken, was passiert, wenn sie Bernadotte nicht kennenlernt und niemals Königin von Schweden wird.“
„Das wird ja immer schöner. Ich verlobe mich mit der Königin von Schweden?“
„Natürlich nicht!“, antwortete ich geistesabwesend. „Wenn du sie kennenlernst, ist sie eine einfache Seidenhändlertochter.“ Ich fuhr mir mit der Hand über das Gesicht. „Vergiss das einfach. Wichtig ist die Verlobung mit ihr und später die Hochzeit mit Joséphine de ... Mit Rose de Beauhernaise. Joséphine wird sie erst durch dich.“
„Was immer du sagst.“ Er lächelte ein so glückliches Lächeln, dass mir ganz warm wurde. „Marie, ich weiß, dass du fest überzeugt bist, die Zukunft zu kennen. Und ich gebe zu, dass du einige Dinge korrekt vorausgesagt hast – aber über mein Leben bestimme ich, und ich bin nicht bereit, mein Glück irgendwelchen Prophezeiungen zu unterwerfen.“ Er machte eine kurze Pause, bevor er ernst sagte: „Ich mache dir einen Vorschlag! Du bleibst einige Tage hier bei mir auf Korsika. Wir lernen uns besser kennen und ich frage dich dann noch einmal. Ist das annehmbar?“
Ich schloss kurz die Augen und überlegte. Warum eigentlich nicht? Ich blieb nie mehr als ein paar Stunden in dieser Traumwelt. Das hieß, ich würde bald aufwachen. Warum sollte ich die Stunden hier nicht damit verbringen, ihn besser kennenzulernen? Das würde mit Klarheit über meine Gefühle bringen.
„Das ist annehmbar.“
„Gut!“ Er klatschte in die Hände. „Was willst du wissen?“
Da saß ich und hatte die einmalige Gelegenheit, Napoléon I. eine Frage zu stellen – und mein Kopf war leer. Es gab so viel, was ich nicht wusste oder nicht verstand. Aber er war noch jung und würde die meisten meiner Fragen nicht beantworten können.
„Die Artillerie“, fiel mir schließlich ein. „Du scheinst eine Schwäche dafür zu haben. Warum?“
Ein Lächeln zog über sein Gesicht. „Die Artillerie. Das ist“, er suchte nach den richtigen Worten. „Das ist Logik in ihrer höchsten Form, reine Mathematik. Wenn man weiß, wo man die Kanonen aufstellen muss, kann man jede Schlacht gewinnen. Es ist alles eine Frage der richtigen Position, verstehst du?“ Ich nickte, obwohl ich davon keinen blassen Schimmer hatte.
„Stell dir folgende Situation vor.“ Er kniete sich hin und begann mit Zweigen, Blättern und Steinen eine Miniatur von Ajaccio aufzubauen. „Das hier ist die Festung mit den Franzosen.“ Ein dicker Ast zu seiner Linken. „Wenn ich sie erobern wollte,