Johannas Gerechtigkeit (Rache einer Vergewaltigten). Martin Wischmann

Johannas Gerechtigkeit (Rache einer Vergewaltigten) - Martin Wischmann


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Küche, um ihn auf der gepolsterten Eckbank wieder abzusetzen. Der lächelnde Junge sah sich suchend im Raum um, während er „Mama... Mama“ sagte. „Die Mama kommt später“, sagte Karl dem leicht unruhigen Kleinkind, während er Milch in eine hellblaue Tasse goss und anschließend mit dem großen Brotmesser eine Scheibe von dem säuerlich riechenden Brotlaib abschnitt, um sie sogleich mit Butter und Erdbeermarmelade zu bestreichen. „Weißt du, kleiner Mann“, fuhr der Opa fort, während er dem Jungen die Milch und das Brot servierte, „die Mama kommt später. Sie bringt ein neues Baby mit, …mit dem kannst du dann fein spielen. Es heißt Johanna, …Joohaannaa, Johanna und Dietrich, verstehst du?“ Der kleine Blondschopf mit dem wild zerzausten Haar, sah Karl ungläubig an, während er mit beiden Händen eifrig damit beschäftigt war, das klebrige Marmeladenbrot zu verspeisen. Bald war das halbe Gesicht des Kindes erdbeerrot verschmiert. Karl, der sich unterdessen mit seiner zweiten Tasse Kaffee neben das Kind gesetzt hatte, schaute milde lächelnd dem kleinen Dietrich, -dem Dreikäsehoch, wie er ihn auch hin und wieder nannte, beim Essen zu. „Nachher hilfst du mir auf dem Hof, mein Kleiner, in Ordnung? Damit du Schritt für Schritt daran gewöhnt wirst, wozu des Menschen Hände gebraucht werden und du echte harte Männerhände bekommst“, stellte der Senior oberlehrerhaft mit erhobenem Zeigefinger in den Raum, obwohl er es ja nicht ganz ernst damit meinte. Es ging Karl vielmehr darum, den Jungen zu beschäftigen und ihn dennoch auf dem weitflächigen Hofgelände nicht aus den Augen zu verlieren. Dietrich, der sich nach dem Frühstück nur widerstrebend von seinem Opa frischmachen und umziehen ließ, folgte diesem anschließend hinaus auf den im strahlenden Sonnenschein liegenden Hof. Das Kind sah lustig aus, mit seinen blauen Gummistiefeln, der mit Hosenträgern gehaltenen Jeanshose, dem roten Wollpulli und der ebenso roten Wollmütze. Die Zwei liefen zielstrebig auf den Hühnerstall zu, aus dessen Innerem es bereits lautstark gackerte. Bei dem Stall handelte es sich um ein komplett aus Holz errichtetes Gebäude, in dem die etwa fünfzig Hühner und vier Hähne die Nächte verbrachten. Die Fensteröffnungen des Stalles waren zum Teil mit schmutzigen Scheiben, durch welche man nicht mehr schauen konnte, bestückt, zum Teil aber auch mit engmaschigem Drahtzaun versehen. Die Zaunmaschen waren so eng, dass kaum ein Finger von Karl hinein passte. Das wichtigste war, das der Hühnerstall bei Nacht dicht abgeschlossen war, es durfte nicht der geringste Spalt nach Außen vorhanden sein. Zu groß wäre das Risiko gewesen, das ein Fuchs oder ein Marder ein Huhn gerissen, also getötet hätte, um es zu verspeisen. Die Lautstärke der Hühner wurde noch mehr, als Karl mit lautem Gepolter die quietschende, schwergängige Holztür des Stalles öffnete und in den kleinen, vom Hauptstall mit einer Holzwand getrennten Raum trat, in dem sich die Futtervorräte der Tiere befanden. Während Karl auf die drei Säcke, die auf einer Holzpalette auf dem Boden standen und jeweils so hoch wie der kleine Dietrich waren, zuging, sagte er zu seinem Enkel: „So Dietrich, nimm dein kleines, rotes Eimerchen dort aus der Ecke und komme zu mir.“ Der Junge sprang vor Freude mehrmals auf der Stelle nach oben, was ein lautes Poltern auf dem Bretterboden und ein schreckhaftes Herumflattern des Federviehs im Hauptstall zur Folge hatte. „Pariere, du Balsch! Erschrecke nicht die Hühner mit deinem Getrampel“, wies der Mann seinen Enkel mit ernster Stimme an, wobei der Ausdruck Balsch, -die hessische Variante des Wortes Balg für ein ungezogenes Kind, -von Karl in keinster Weise böse gemeint war. Dietrich nahm also seinen kleinen, roten Eimer vom Boden und ging zu seinem Großvater, der vor den Futtersäcken stehend, inzwischen eine gelbe Plastikschaufel in die rechte Hand genommen hatte. „Halte den Eimer schön hoch“, wies der Mann, das immer noch leicht hopsende Kind an, 2und halte endlich still!“ Als der Kleine schließlich seinen Eimer ruhig vor sich hielt, entnahm Karl mit der Schaufel aus jedem der drei Futtersäcke eine geringe Menge der jeweiligen Futtermischung, die hauptsächlich aus Getreide und Saatgut bestand und füllte damit das kleine Eimerchen fast bis zum Rand. Einen etwas größeren und verbeulten Blecheimer füllte er ebenfalls fast randvoll auf, legte danach die Schaufel beiseite, nahm den Eimer in die linke Hand und rief mit erhöhter Lautstärke, um das laute Gackern der Hühner und Hähne zu übertönen seinem Enkel zu: „Komm Dietrich, nimm dein Eimerchen und folge mir. Komm, mach schon, wann wollen wir denn fertig werden?“ Karl ging mit dem großen Eimer voran aus dem Hühnerstall heraus, dicht gefolgt von Dietrich. Beide gingen um den Holzbau herum, bis zur Rückseite, wo sich eine Schiebetüre, die an beiden Seiten mit jeweils einer Holzschiene fixiert war, befand. Karl schüttete einige Meter von der geschlossenen Türe entfernt, den Inhalt seines Eimers in einem weiten Halbkreis auf den graslosen, von den Hühnern kahlgefressenen Erdboden. Unaufgefordert tat der kleine Dietrich das gleiche wie sein Opa. Kaum war das kleine Eimerchen leer, stellte das Kind ihn zur Seite und las verschiedene Futterkörner vom Boden wieder auf. Am meisten schienen ihn die sonnengelben Maiskörner zu interessieren, denn im Nu hatte er wieder zwölf bis vierzehn eingesammelt und in seinen nahe stehenden Eimer zurück geworfen. „Geh zur Seite, Dietrich, … geh weg vom Futter“, rief ihm der Großvater entgegen, „ich lasse jetzt die Hühner raus. Gib acht.“ Der Junge reagierte allerdings nicht, so dass er, als Karl mit einer ruckartigen Bewegung, die etwa ein mal ein Meter große Schiebetüre nach oben riss, immer noch mitten in den Futterkörnern stand. Mit ohrenbetäubendem Geschrei versuchten alle Hühner gleichzeitig nach außen zum begehrten Futter zu gelangen. Alle rannten, sprangen oder flogen sogar ein paar Meter weit aus dem plötzlich offen stehenden Käfig hinaus in die allmorgendlich neugewonnene Freiheit. Tag für Tag schienen sie die gleiche Freude zu empfinden, wenn Karl oder seine Tochter Marianne die Türe öffnete. Dietrich ließ sich von dem Gewimmel aus Hühnern, krähenden und miteinander raufenden Hähnen, umherfliegenden Federn und dem Lärm des Federviehs nicht stören. Scheinbar unbeeindruckt von der Menge der Tiere, inmitten derer er sich befand, stolzierte er mit dem Plastikeimer umher. Zeitgleich betrat Karl die gegenüberliegende Haupttür des Hühnerstalles, um durch eine Zwischentür, die sich neben den drei Futtersäcken befand, in den Ruhebereich der Hühner zu gelangen. Dieser im Halbdunkel nur spärlich von zwei dick eingestaubten Glühbirnen beleuchtete Raum war mittels einiger, etwa eineinhalb Meter hohen hölzernen Zwischenwände in vier kleinere Räumlichkeiten unterteilt. Der Boden war durchgehend mit Stroh, meist steinhart festgetreten, bedeckt. Je eine Hälfte der abgeteilten Räume war mit kinderunterarmdicken, waagerecht von Zwischenwand zu Wand angebrachten Holzstangen versehen, die in einer Höhe von einem knappen Meter den Hühnern als Sitz – und Ruheplatz dienten. An den Längsseiten der Räume standen mit Heu gefüllte hölzerne, ehemalige Gemüsekisten, die zum Teil mit frisch gelegten weißen oder hellbraunen Eiern bestückt waren. Diese Eier waren Karls Ziel beim Betreten des Hühnerstalles. Ei für Ei legte er behutsam in den flachen Weidekorb, der an einer Wandseite an einem Haken hing. Karl kontrollierte mehrmals am Tag die Kisten nach frisch gelegten Eiern. Zudem erneuerte er alle zwei bis drei Tage die Strohschicht auf dem Boden und das Heu in den Legekisten. Die drei flachen Wasserschalen in der Stallung musste er an manchen Tagen sogar zweimal auffüllen, zum einen weil die Hühner, -vor allem im heißen Sommer viel Durst hatten und tranken, zum anderen weil oftmals Stroh vom Boden in die Schalen gelangte und das Trinkwasser aufsog. Beim Blick aus dem Stall, stellte Karl mit Schrecken fest, das sein Enkel mitsamt dem roten Eimer zurück ins Wohnhaus ging und etwa zehn Hühner dem Jungen folgten, denn ein Eimer ließ das Geflügel stets Essbares vermuten. Karl lief mit ungelenken, für ihn flotten Schritten hinterher, bis in die Küche, wo der kleine Dietrich bereits den Eimerinhalt, -die aufgesammelten Maiskörner, komplett ausgeschüttet hatte und sich die Hühner freudig darüber her machten. Karl klatschte mit ernstem Blick laut in die Hände und rief dabei: „Raus aus der Küche. Haut ab, ihr Mistviehcher!“ Voller Aufregung rannten fast alle zielstrebig durch den Hausflur nach draußen. Eines aber huschte unter die Eckbank, rannte aber schließlich doch davon, als Karl mit der flachen Hand zweimal auf die Sitzfläche der alten Eckbank schlug. Dietrich hatte von dem ganzen Durcheinander einen derartigen Schrecken bekommen, das er heulend in der Mitte der Küche stand. Sein Großvater trat gemessenen Schrittes auf ihn zu und überlegte einen kurzen Moment, ob er den Kleinen übers Knie legen sollte, um ihm den Hosenboden zu versohlen, so wie es Karls Vater vor etwa einem halben Jahrhundert fast tagtäglich mit dem kleinen Karlchen tat. Als er dem kleinen Kind jedoch in die verweinten, roten Augen blickte, ließ er mit den Worten, „Mein Vater oder mein Großvater hätten mir den Hintern grün und blau versohlt, wenn ich die Hinkel, …die Hühner ins Haus gelockt hätte. Na ja, ich bin Jahrgang 1910. Und du, du bist Jahrgang 1966, …andere Zeiten, andere Sitten“, von dem Gedanken ab. „Komm Dietrich“, sagte stattdessen der Mann zu dem Kind, „wir gehen wieder rüber in den Stall, der Korb mit den Eiern
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