Das Leben nach Adolf Hitler. Karl-Hinrich Schlüter

Das Leben nach Adolf Hitler - Karl-Hinrich Schlüter


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- in Deutschland - nicht mehr, die waren den Zirkuswagen ähnlich. Mit dem Pferdegespann war die Familie Wieseler unterwegs, ein Ehepaar mit fünf Kindern. Felix Wieseler war das Familienoberhaupt. Er stammte aus dem Rheinland und war gelernter Former. Nach einem Zwist mit seinem Vater verschlug es ihn nach Löningen, wo er seine Frau kennen lernte, die aus Elberfeld bei Wuppertal stammte. Von da an gehörten sie zum fahrenden Volk. Heute würde man sie als Kleinunternehmer bezeichnen. Sie waren Tagelöhner bei den Bauern, denen auch Körbe und Holzschuhe verkauft wurden. Die fertigte er im Winter. Nicht nur im nahen Holland gab es Klumpen, die waren auch hier sehr verbreitet. Manche Kinder mussten für den sonntäglichen Kirchgang ihre Klumpen putzen wie Schuhe, schwarz und auf Hochglanz. Bei den Bauern wurden die nach und nach – leider – von Gummistiefeln verdrängt. Das Gehen mit den starren Holzklumpen - die es im Handel immer noch gibt - ist nicht gerade sehr bequem, aber wenn Klumpen immer noch in Gebrauch wären, hätten sehr viele Leute weniger Rückenbeschwerden und wärmere Füße.

      Die Frau von Felix und Mutter der Kinder hieß Rosa. Sie war später meine Oma. Ihr ältestes Kind, das Hedwig hieß, wurde meine Mutter. Sie starb 2018 im Alter von 98 Jahren.

      Hedwig war von einem anderen Mann, der Norbert Becker hieß. Rosa und Norbert Becker wollten zusammen nach Amerika auswandern. Doch Rosa kam in andere Umstände und wollte die Reise nicht schwanger antreten. Sie hatten vereinbart, dass Rosa mit dem Kind nachkommen würde, nach San Antonio. Aus dieser geplanten Familienzusammenführung wurde nichts. Katholisch zu sein und ein uneheliches Kind zu haben, die kleine Hedwig; welche Schande zu der Zeit, 1919! Die nahm Rosa auf sich.

       Felix ist der Vater von Maria, Rosi, Gertrud und dem Jungen, der Felix heißt wie sein Vater. Er ist von den Geschwistern der letzte, der noch lebt.

      Auf halber Strecke, so etwa bei Neermoor, kam ihnen ein Gespann entgegen und man tauschte sich aus. Da hörten sie schon, daß in Emden ihre Reise enden würde. Hitlers Leute gäben derartige Anweisungen. So kam es dann auch. Sie hatten „die Wahl“, festes Quartier zu beziehen oder in ein Lager deportiert zu werden. Es war ihre Endstation wider Willen. Heimat? Ein Begriff ohne Bedeutung, nur gut für die Propaganda. Sie wurden nicht gefragt. Dabei spielte es keine Rolle, daß sie weder Sinti noch Roma waren, denn das fahrende Volk sollte von der Straße.

      Das Kommando hatte der eiserne Besen. Sie verstanden die Zigeunersprache und standen oft auf den gleichen Plätzen, die Kinder spielten trotz elterlichen Verbots miteinander. Weil sie wirtschaftlich schwach waren, wurde ihnen ein Barackenplatz in der Emder Feldmark bei Borßum zugewiesen. Nun hatten sie ein behördlich angeordnetes festes Heim. Sie fügten sich und Ostfriesland wurde ihre Heimat.

      Als Kleinkind war Hedwig in der Obhut der Großeltern gewesen. Aber dann wurde sie gebraucht, damit Rosa in den bäuerlichen Haushalten helfen konnte und auch etwas verdienen, Geld oder Deputate. Deswegen wurde sie oft vom Schulbesuch ferngehalten. Einen Schulabschluss hat sie nicht. Bei gelegentlichen Kontrollen – „Sind hier schulpflichtige Kinder?“ – kam Hedwig in die Truhenbank, auf der Rosa saß und mit Nein antwortete. Jetzt war Hedwig 14 Jahre alt und sie nahm in einer der Emder Heringsfischereien Arbeit als Viswief auf, schwere Akkordarbeit. Die Hände waren oft vom Salz zerfressen.

      Viswief: Fischweib

      1937, Spanien, Guernica

       11. März 1938: Ein Österreicher marschiert mit deutschen Soldaten in Österreich ein...

      Später tat sie das, was solche Leute eben tun: Hedwig flüchtete. Sie flüchtete sich in die Ehe mit einem gut aussehenden Soldaten. Peter Schweitzer aus Kassel war in Emden stationiert. Nein, der wurde nicht mein Vater. Hitler war wieder im Spiel. Der von ihm – natürlich nur „in bester Absicht!“ – begonnene Krieg zog die Männer fort. Also wurden die jungen Frauen „kriegsdienstverpflichtet“, das betraf auch Hedwig. Es war eine Sonderform der Leibeigenschaft, ähnlich der Wehrpflicht. (Siehe dort, Kapitel "Polizei!"). Sie musste zur Reichsbahn und fuhr als Schaffnerin. In Rheine geriet sie 1941 unter den Zug und verlor ein Bein. Als sie nach einem Jahr aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war sie Witwe. Peter hatte sich erhängt.

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       Hedwig

      Aber Hedwig zerbrach nicht. Die Natur hatte sie mit einem starken Lebenswillen, gutem Aussehen und Resilienz ausgestattet, sie wollte sich immer beweisen. Ein Holzbein, na und? Nach der Trauerzeit und noch einigen Operationen ging sie mit ihren Freundinnen tanzen, wenn die Gelegenheit sich bot. Das hatte sie schon vor dem Unfall gerne gemacht und so ihren ersten Mann kennen gelernt. Und so lernte sie auch ihren zweiten Mann kennen, einen Marinesoldaten aus Schleswig-Holstein.

      KLV

      Einige der ganz Alten dürften bei diesem Kürzel noch glänzende Augen bekommen, es bedeutet Kinder-Land-Verschickung. Hört sich doch gut an! War aber ein Teil von Zuckerbrot und Peitsche. In Emden sollten 1942 die Abiturienten per KLV nach Bad Wildungen geschickt werden und dort auch gleich die Prüfungen ablegen. Die jungen Männer rochen Lunte und wussten, dass es ein Vorwand war. Die Wehrmacht würde sie direkt danach kassieren. Sie verabredeten sich zu einer Protestaktion in der Innenstadt. Im Gänsemarsch liefen sie die Bordsteine entlang, einen Fuß immer auf der Fahrbahn. So äfften sie den hinkenden Goebbels nach. Welche Folgen das hatte, sei den Ratsprotokollen zu entnehmen. Quelle: Ostfriesen-Zeitung. Nachfragen im Stadtarchiv ergaben, dass es in der Zeit keine Ratsprotokolle mehr gab. Durch die Gleichschaltung hatten die Bürgermeister Polizeigewalt, es gab nur noch Gestapo-Protokolle.

      Das dürfte der Grund dafür sein, dass noch Jahrzehnte nach Kriegsende bei Verfehlungen die Redensart zu hören war: „Das hätte es bei Adolf nicht gegeben“.

      Die Schicksalswende kam 1942 mit Stalingrad. Der Angriff hatte die Bezeichnung Unternehmen Barbarossa. Die 6. Armee von Paulus wurde eingekesselt und aufgerieben. Die militärischen Gründe sind hinreichend bekannt, die Ursachen unterbelichtet. Der unbeugsame Größenwahn der Nazis lenkte Deutschland in den Abgrund.

      Brief meines Großonkels J. C. Schlüter (1942)

       Lieber Hans! Rensing, den 14. Februar 1942

       Das Paket ist unversehrt angekommen, weil Ihr es mit Sorgfalt gepackt und vortrefflich verschnürt hattet. Sein Inhalt war ganz frisch geblieben. Wir danken Euch verbindlichst für die reiche Spende, zu der wir uns sehr gefreut haben. Auch frühere Schülerinnen hatten bei ihrem Schlachtfest an uns gedacht, und so sind wir in der Lage, unseren Speisetisch dann und wann vorübergehend etwas reichlicher zu decken. Im Übrigen haben wir uns an die zugeteilten knappen Rationen gewöhnt und empfinden daher die Entbehrungen nicht so unangenehm mehr. ( …) Der heurige lang anhaltende Winter mit seinem Eis und Schnee ähnelt dem Kosakenwinter 1814, der auch am 6. Januar begann, auch große Schneeverwehungen brachte und ebenfalls bis Ende Februar andauerte. Die Kälte fesselt mich ans Zimmer. Der Aufenthalt in der Stube bekommt mir nicht gut und ich sehne mich daher nach wärmerer Witterung. Der Krieg hat sich ja nun wieder über die ganze Welt ausgebreitet. Hochmut und Dünkel der Plutokraten in London und New York kannten auch Japan gegenüber keine Grenzen mehr. Jetzt bereiten die großartigen Erfolge der Japaner ihnen ganz unerwartet die schwersten Sorgen. Wie dringend notwendig auch die Zusammenfassung der europäischen Staatenwelt unter Führung der Achsenmächte gewesen ist, bewies die hochaufgetürmte Gefahr im Osten vor der Europa nur durch das entschlossene Zuschlagen unserer Wehrmacht gerade noch im letzten Augenblick gerettet worden ist. Kein Zweifel, die Kultur Europas wäre dem bolschewistischen Mord bloß zum Opfer gefallen. Zahlreich sind leider die Verluste an Toten und Kranken die die Kämpfe bei der außergewöhnlich harten Kälte unseren Armeen im Osten verursacht haben, aber die Stellung ist gehalten und die bolschewistischen Divisionen sind zermürbt worden. In seiner letzten großen Rede hat der Führer hervorgehoben, dass der Höhepunkt des Kampfes bereits überschritten ist. Wir dürfen auf ein siegreiches Ende des Riesenkampfes hoffen. Die vielen blutigen Opfer sind alsdann


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