Marattha König Zweier Welten Teil 3. Peter Urban
vielleicht sogar des Premiers. Mornington wurde von brennendem Ehrgeiz angetrieben und scheute nicht davor zurück, seinen Bruder Arthur erbarmungslos auszunutzen. Eine der Grundlagen für die britischen Vorbereitungen der Gespräche von Bassein war Arthurs genaue und tiefgründige Analyse des Herzstücks Indiens gewesen, die von dem jungen Offizier vor knapp einem Jahr mit dem Gedanken verfasst worden war, Fort William zu einer weniger aggressiven Politik zu bewegen. Sir Edwin nahm sich vor, unter vier Augen ein paar ernste Worte mit Arthur zu wechseln.
Lakshmi hatte ein langes, erfrischendes Bad genommen. Nun saß sie bequem auf einem weichen Kissen, während eines ihrer Mädchen geschickt ihr rabenschwarzes Haar bürstete und ölte. Lakshmi war nach der Aburteilung von Saxon, Mandeville und Macintire und nach Dodds spektakulärer Flucht über die Grenze des Maharastra heilfroh gewesen, dass ihr schmieriger Geschäftspartner John Shee sich nicht mehr in ihrem feinen Hurenhaus blicken ließ.
Genauso wie General Wellesley, der Gouverneur von Mysore, überall Augen und Ohren hatte, verfügte auch Lakshmi über Zuträger. Einer ihrer treuesten einheimischen Kunden, ein reicher und ausgesprochen fetter, parfümierter Tamile, der mit Seidenstoffen handelte und die britischen Truppen ab und zu mit Tuch oder Leinen versorgte, hatte ihr anvertraut, dass im »Dowluth Baugh« so laut über sie gesprochen wurde, dass es sogar durch die Wände drang. Wellesley-Sahib schien Nachforschungen über ihre Person angestellt zu haben, und entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten posaunte er es überall laut herum. Lakshmi war nicht dumm. Sie verstand diesen diskreten Wink des britischen Offiziers: Ich habe nichts gegen dich in der Hand, aber ich weiß über dich Bescheid! Beim nächsten falschen Schritt bezahlst du für deine Taten...
Was sie dabei verwirrte und zutiefst beunruhigte war die Tatsache, dass er ihr feines Hurenhaus weiterhin in Seringapatam duldete und seinen britischen und indischen Offizieren Besuche bei ihren Mädchen nicht untersagte. Hatte er Spitzel unter ihre Kunden gemischt? Wusste er weniger, als er vorgab? Versuchte er ihr eine Falle zu stellen, oder war sie ihm gleichgültig?
Lakshmis langes Haar wurde zu einem straffen Knoten im Nacken gelegt. Man parfümierte ihren Körper mit Patschuli-Öl. Eine Bedienstete trat mit einem Armvoll Kleidungsstücken ein. Lakshmis schwarze Augen glitten nachdenklich über die Auswahl kurzer Seiden-»cholis«. Sie wählte ein edles Stück mit großen, ineinander verschlungenen feuerroten Blumen. Warum befreite sie sich eigentlich nicht von Shee und schloss auf diesem Weg Waffenstillstand mit der Regierung von Mysore? Sie hatte viel Geld mit dem Diebesgut aus dem Arsenal gemacht, ihre Geschäfte in Seringapatam liefen prächtig ... Während Lakshmi einen dunkelgrünen, schweren Sari mit einer zart gestickten Bordüre aus Blumen und Kolibris auswählte, beschloss sie, ihrem fetten Stoffhändler Damodar Ratha für seinen nächsten Ausflug in den »Dowluth Baugh« einen Brief anzuvertrauen.
Der Raum war verqualmt und dämmrig. Nur über dem Tisch in der Ecke brannte noch eine Lampe. Halb verborgen hinter einem großen Bierfass saß ein einsamer Gast. Vor ihm standen eine leere und eine halbvolle Brandyflasche.
Major John Shee hatte den ganzen Tag keinen Bissen heruntergebracht. Seit Wellesley ihm das 33. Regiment weggenommen hatte, verbrachte er seine Zeit damit, unter dem verächtlichen Blick des Generals administrativen Kleinkram zu erledigen, den jeder des Schreibens kundige gemeine Soldat auch abarbeiten konnte. Doch Wellesley, der irische Buchhalter, hatte Shees elender Beschäftigung einen klangvollen Namen gegeben und damit pro forma die Spielregeln eingehalten, die es erlaubten, dass Gore das Regiment übernahm. Draußen in Brindavan gab es keinen ranghöheren Offizier mehr. Obwohl Wellesley bis zum Hals mit Arbeit zugeschüttet war, schien es ihm nicht an der Zeit zu fehlen, Shee hingebungsvoll zu tyrannisieren. Immer wieder provozierte der General Augenblicke trauter Zweisamkeit, weitab von den anderen. Immer wieder behandelte er den Major mit einer solchen Arroganz, dass jeder normale Offizier – Vorgesetzter hin, Vorgesetzter her – bereits zur Waffe gegriffen hätte, um Genugtuung zu fordern. Shee konnte nachvollziehen, dass der junge General ihn zu demütigen versuchte, doch er fraß alles voller Hass in sich hinein. Er spürte instinktiv, dass Wellesley darauf wartete, dass er den Degen zog. Seit Wellesley aus Gores und Elphinstones Mund detailliert das Ausmaß von Shees Schreckensherrschaft über das 33. Regiment vernommen hatte, war klar, dass er ihn endgültig loswerden wollte.
Doch der Anstand ließ es nicht zu, dass ein Ranghöherer den Untergebenen forderte. Wellesley war viel zu sehr auf seine Ehre bedacht, um diese Grenze zu überschreiten und ihm an irgendeinem verschwiegenen Ort im Schutze der Nacht die Kehle durchzuschneiden, um dann zu behaupten, Shee hätte ihn angegriffen ...
Vor wenigen Jahren noch hatte er Wellesley gar nicht ernstgenommen und sich einen feuchten Kehricht um ihn geschert, doch seit er gesehen hatte, zu welch kaltblütigem Handeln der Kleine fähig war und wie ungerührt er Männer hinrichten ließ – oder sie selbst tötete –, hatte John Shee geradezu panische Angst vor seinem Vorgesetzten. Als Shee die erste Flasche geleert hatte, war sein Entschluss gefasst: Er würde es Dodd gleichtun und die Grenze zum Maharastra überschreiten. Mit der zweiten Flasche trank er sich den Mut an, seinen Entschluss in die Tat umzusetzen. Doch bevor er verschwinden konnte, musste er ein letztes Mal Lakshmi besuchen und seinen Anteil des Gewinnes aus ihren gemeinsamen Geschäften abkassieren.
Mary Seward schnaufte energisch und laut, um sich General Wellesleys Aufmerksamkeit zu verschaffen. Es war fast schon Mitternacht, und der kleine Salabuth gehörte ins Bett, nicht in eine fröhliche Männerrunde, die um eine große Flasche Whisky versammelt saß.
Arthur stellte seine Kaffeetasse auf den Tisch und musterte Mary Seward mit einem schiefen Lächeln. Charlotte hatte die Kleine gern gehabt. Er hatte sie aus Gewohnheit bei sich behalten, obwohl er eigentlich niemanden brauchte und Vingetty völlig ausreichte, um die paar Hemden und die drei Uniformjacken sauber zu halten, die er besaß. »General, der Junge muss ins Bett!« sagte Mary. Seit sie ihre Angst vor Wellesley verloren hatte, herrschte zwischen den beiden ein liebevoll-rauer Umgangston.
Arthur seufzte ergeben und schlug die Augen nieder. »Miss Seward hat gesprochen, mein kleiner Salabuth! Also bleibt uns allen nichts anderes übrig, als ihr brav zu gehorchen. Du und Jack, ihr verschwindet jetzt!« Er gab dem Jungen einen Kuss auf die Stirn und knuddelte das Hündchen, das vergnügt mit dem Schwanz wedelte.
Hilfesuchend richtete Salabuth seinen Blick auf Barrak und Lutuf Ullah. Der Paschtune war gerade dabei gewesen, eine alte Geschichte zum Besten zu geben, und der Junge hatte hingebungsvoll zugehört. Doch weder Barrak noch Lutuf ergriffen Partei für ihn, und Arthur sah auch nicht wie ein rettender Engel aus. Also nahm der Junge das Hündchen und trottete mit hängendem Kopf zu Mary. »Morgen musst du mir aber das Ende erzählen«, rief er Lutuf auf Persisch zu. »General, ich hätte es beinahe vergessen.« Mary Seward trat noch einmal zu Wellesley. »Ein Händler hat John diesen Brief für Sie übergeben. Zuerst wollte John ihn nicht annehmen, denn der Tamile hätte ja direkt um einen Gesprächstermin bei Ihnen bitten können, aber dann hat er sich gedacht« – ihre grünen Augen streiften kurz Barrak und Montstuart – »dass es vielleicht einer der Korrespondenten von Mister Ullah oder Mister Elphinstone sein könnte.«
Arthur nahm der jungen Frau das Schriftstück ab. »Hat der Tamile irgendwas gesagt?«
»Nur dass man ihn gebeten habe, den Brief bis in den »Dowluth Baugh« mitzunehmen, wenn er sein Tuch für die Regimenter abliefert.« Mary machte einen Knicks vor den Anwesenden; dann nahm sie Salabuth an der Hand und verschwand von der Terrasse.
Wellesley erbrach das Siegel und überflog den Text. Er war in einem grauenvollen Englisch verfasst, aber durchaus verständlich. Seine Miene verfinsterte sich.
»Schlechte Nachrichten?« Sir Edwin Hall schenkte sich Whisky nach. Elphinstone und Barrak ben Ullah beobachteten Wellesley ohne ein Zeichen der Ungeduld. Lutuf kratzte sich zufrieden den roten Bart. Stoffhändler waren geschwätzig und immer gut dafür, Gerüchte in Umlauf zu setzen oder Unruhe zu stiften. Der fette, parfümierte Damodar Ratha machte da keine Ausnahme.
»Endlich!« seufzte Arthur und reichte Lakshmis Schreiben an Elphinstone weiter.
»Klär mich bitte auf, mein Junge.« Sir Edwin hasste es, einer Unterhaltung nicht folgen zu können. Jedes Mal, wenn Barrak, Montstuart und Arthur miteinander tuschelten, hatte er das Gefühl, den undurchsichtigen Ritualen einer Geheimgesellschaft