Fürstin des Nordens. Juryk Barelhaven
hüstelte verlegen. „Gute Leute, kann mir jemand sagen, wo ich den Stadtvogt treffen kann?“
„Bist du… seid Ihr wirklich die Fürstin?“ wollte der Schmied wissen. Er schien sich ein wenig zu entspannen. „Wir haben den Baron seit Wochen nicht mehr gesehen. Er wohnt dort in der Burg. Seht ihr?“ Er wies auf das graue Gebäude mit der Mauer und den Türmen, an die sich Claudile fast anlehnen konnte. „Dieser Hurensohn… ich meine, dieser Kerl kommt nicht vor der Tür! Verzeiht, Mylady, ich bin es nicht gewohnt mit Euresgleichen zu reden.“ Er wirkte jetzt weitaus weniger besorgt als am Anfang.
„Ja, das fällt auf.“ Claudile wandte sich um, zuckte mit den Schultern und erkannte ein Schild in der Nähe, dass einen Hammer und einen Gartenzaun präsentierte. Das musste die Stadtwache sein.
Vor der Wache am LangenBrunnenPlatz hatte sich eine kleine Menschenmenge eingefunden, als Hauptmann Gaver sich zum Mittagsschläfchen auf seinen Stuhl setzte. Bis dahin war es ein netter, sonniger Morgen gewesen. Er blieb sonnig, wurde aber weniger nett. „Das sind Fremde, weil sie nicht von hier sind“, stellte er ungerührt fest und stocherte mit seinem kleinen Finger in seine Nase. „Die sollten sehen, das sie weiterkommen, nja. Das ist meine Meinung.“
Gaver war ein breiter Mann, nicht besonders muskulös und schwitzte stark beim Gehen, so dass er seinen Dienst am Liebsten auf seinen Platz draußen an der Tür tat. Seine einzelnen Barthaare neben den Leberflecken zitterten, während er versuchte sich herumzudrehen, um über die Menschenmenge zu sehen. Neben ihm trat Korporal Axel mit zwei Bechern Wein aus der Tür und lehnte sich an die Tür. Wenn man Gaver und Axel nebeneinander patrouillieren sah, wirkten sie wie der Rosenkohl und die Rose. Axel war schlank, hatte zarte Hände und schien die meiste Zeit nur Beobachter zu sein, was Gaver sehr gefiel. Er stupste seinen Freund und Kollegen an und deutete mit dem popelverschmierten Finger nach vorne. „Da ist doch eine Kutsche vorgefahren mit einem komischen Kerl, der lange Haare trägt. Schneid sie ab, sage ich, nja! Das sind Störenfriede. Nicht so schlimm wie die Zwerge früher, aber wir sollten schon mal die Knüppel holen, sage ich. Oder was meinst du, Korporal?“
Axel schirmte seine Augen vor der Sonne ab und blinzelte. „Da ist ein Wappen auf der Kutsche.“
„Kann nicht wichtig sein, sage ich! Vielleicht haben sie die Kutsche nur gestohlen, nja. Können nicht wissen, was ihnen blüht. Nun, wir werden mal schauen, was es da zu schauen gibt.“ Gavers schweinsgleiche Augen verrenkten sich fast, während er angestrengt nachdachte. „Könnten Banditen sein, nja.“
Axel stöhnte genervt auf, stellte seinen Becher ab und nahm Haltung an. Die braven Bürger von Blagrhiken hatten sich schon lange darauf geeinigt, dass ihre Ortschaft eine Stadtwache brauchte. Und da niemand sonst die Arbeit machen wollte, erschien Gaver als die perfekte Person um das Tor zu bewachen. Gaver war nicht etwa böse – er war einfach nur Gaver.
Axel salutierte knapp, als Claudile näherkam. „Entschuldigt bitte“, sagte Claudile und versuchte, ihre Nackenhaare daran zu hindern, sich aufzurichten. „Ich bin Fürstin Claudile Alemont und suche den Stadtvogt. Bitte zeigt mir den Weg.“
„Fürstin Alemont“, sagte Axel mit tiefer Stimme. Dabei vermied er es ihre Kleidung anzusehen. „Ihr wurdet schon vor zwei Tagen erwartet. Wir hoffen, Ihr hattet eine angenehme Reise.“
Claudile nickte höflich ihm zu, während sich Gaver umständlich aufzusetzen versuchte.
Als Werwolf nahm sie eine ganze Reihe von Gerüchen wahr: sie sah die Spur des Bäckers, wie er jeden Morgen zum Brunnen ging und erschnupperte den Geruch von Mehl, der noch zart in der Luft hing. Die Esse brodelte vor dunkler Energie und knisterndes Feuer versprühte ein dunkles Ambiente, während die feine Seifennote des Wachmanns vor ihr sich wie ein Blumenbouqette über allen legte. Naja, fast, denn die ungewaschenen Socken des dickeren Wachmanns sprachen eine ganz andere Sprache.
Claudile verzog das leicht das Gesicht und schnupperte erneut. Dort war noch etwas anderes…
„Ist der Baron öfters hier gewesen?“ wollte sie wissen.
Beide Männer warfen sich erstaunte Blicke zu.
„Können Sie sich ausweisen, nja?“ schnarrte Gaver wichtigtuerisch, während er umständlich sich die Hose hochzog.
Axel schüttelte nur den Kopf, trat vor und verbeugte sich leicht. „Sehr oft, sogar“, bestätigte er und führte sie kurz weg von seinem Kameraden. „Nehmt es ihm nicht übel, Eure Lordschaft. Mit der Zeit werdet ihr verstehen, wie Gaver denkt. Er ist harmlos.“ Er deutete auf die Burg vor ihnen. „Es stimmt, was Ihr sagt. Der Herr kam gelegentlich zu einem Kartenspiel. Aber ich fürchte, dass der Hohe Herr nicht zugegen ist. Wir haben ihn seit Tagen nicht gesehen.“ Er rang sich ein Lächeln ab. „Es ist uns eine Freude, euch willkommen zu heißen.“
Claudile nickte zufrieden. „Danke. Wie ist Euer Name?“
„Axel, Maam. Zu Euren Diensten.“
„Angenehm.“
Er wies auf die Burgtore, die sich langsam der anrollenden Kutsche näherten. „Ihr seid ein Werwolf, oder?“ In seinem Blick lag eher Neugier als Furcht. Das empfand sie als beruhigend. „Ganz recht.“
„Die Leute haben Angst. Vor euch. Wir haben… Erfahrungen gemacht. Mehr sage ich nicht dazu.“
Sie nickte zur Bestätigung.
„Wir sind dazu angehalten, euch durch die Stadt zu führen und euch alles zu zeigen. Aber bestimmt wollt Ihr euch vorher frisch machen.“
„Danke, Axel. Ich komme darauf zurück.“ Etwas verlegen strich sie sich über die Kleidung.
Er salutierte knapp und wandte sich ab.
Sie schnupperte nochmal, schloss die Augen und spielte mit den Dufttönen. Unter dem Seifengeruch verbarg sich etwas anderes. Als es ihr einfiel, errötete sie leicht und ging fort.
Die Burg war in keinem guten Zustand. Claudile wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht und sah moosbefallene Steine, roch fauliges Stroh und witterte Wasserschaden am Dach. Zum ersten Mal bedachte sie den Ort um sich mit Argwohn, als wäre ihr jetzt erst aufgefallen, dass Blagrhiken wirklich hoch im Norden lag.
Mit einem Tuch bekleidet stieg Francesco aus. „Das ist also Euer neues Zuhause“, stellte er ungerührt fest. „Was denkt Ihr?“
„Der Ort stinkt vor Furcht. Alte Klamotten, alte Gewohnheiten und viel Hunger.“ Sie nickte ernst und starrte auf den Boden. Die frische Luft im Hof konnte nicht verbergen, dass der Ort krankte. Es lag Misstrauen in der Luft- sprichwörtlich.
Er nickte knapp. Die Nase eines Werwolfes lag selten falsch. „Es gibt viel zu erledigen.“
„Meinst du… oh, ich verstehe.“
„Ja, genau. Ich werde mich mit dem Haushalter auseinandersetzen.“
Beide starrten zur großen Tür, die knarrend aufging.
„Der Hohe Herr ist nicht zugegen.“ Auf dem Hof eilte eine kleine Gestalt auf sie zu, die mit einer dicken Brille und einem Stock sich den Weg ebnete. Ein alter, sehr alter Mann mit Halbglatze und schlotterweißem Haar, dessen dünne Gelenke vor Arthritis quietschten. „Oh, Ihr seid es! Welche Freude, euch hier anzutreffen.“ Er blickte verwirrt zu Francesco, aber vermied es direkte Fragen zu stellen. „Ihr müsst Lady Claudile sein, die ehrwürdige Tochter des großen Khans, unserem Herrn und Meister.“ Er holte Luft. „Fürstin Claudile Salacia Aminata Urnie von Alemont. Ich heiße Fritz. Euer Haushalter.“
„Danke, Fritz“, sagte Claudile. „Du kennst dich gut aus.“ Claudile nahm den trockenen Grabesgeruch von Büchern wahr.
„Warum gehen wir nicht rein“, fragte Fritz leise und bedeutete ihm zu folgen. „Der Herr ist seit Tagen verschwunden. Ich befürchte das Schlimmste, Herrin. Jedoch wollen wir bei einem Plausch mit Gewürzkuchen, Fleischpastete und Wein von etwas anderem reden.“ Kurz darauf erreichten sie einen Saal, dessen Dunkelheit und Stille einen starken Kontrast zum Licht und Lärm auf dem Hof bildeten. Als sich ihre Augen an