Das faulige Herz. Johanna Vedral
dem es nach Fett und Rauch riecht, aber sie sieht Tony nicht. Blechern tönt ein alter Melissa Etheridge-Song aus den Boxen, „Bring me some water“… „Sonja?“, hört sie eine Frauenstimme von hinten. „Bist du das?“
Christine sieht noch besser aus als auf den Society-Fotos aus den Klatschillustrierten. Sie trägt ein teures Kleid, das ihre Topfigur umschmeichelt, natürlich eine schlichte Perlenkette, die sicher mehr kostet als ein Pferd, und ihre Frisur war sicher auch nicht billig. Sie lächelt und dabei zeigt sie, dass sie auch ohne Botox unglaublich attraktiv ist und mindestens zehn Jahre jünger aussieht. Wie kann Tony diese wunderbare Frau als kontrollsüchtigen Drachen titulieren?
„Frau Weininger?“, fragt Sonja und fühlt sich wie eine Studentin. Christine kommt auf sie zu und streckt ihr die Hand entgegen. Ein feiner Hauch von Chanel No.5, dezent und gleichzeitig sehr teuer, wie alles an Tonys Frau.
„Nenn mich Christine!“, verlangt sie mit ihrer wohlklingenden Stimme und dirigiert Sonja zum besten Tisch im Cafe Artner. Der Kellner ist sofort zur Stelle, serviert ungefragt ein kleines Büffet mit Kaffee, Tee, Obst und Kuchen und zieht sich sofort wieder dezent zurück.
Christine fixiert Sonja mit ihren natürlich raffiniert geschminkten grünen Augen. „Bist du gar nicht überrascht, dass ich hier bin?“, will sie wissen.
„Seit wann wissen Sie… weißt du, dass Tony und ich uns treffen wollten?“
„Seit wann ich eure kleinen Indiskretionen mitlese, Liebes, willst du wissen, nicht wahr?“ Christine lächelt. „Nun, Tony kann wirklich schwer lügen. Du darfst nicht vergessen, wir sind seit 25 Jahren verheiratet, da lernt man sich ziemlich gut kennen. Aber das dürftest du ja wissen, wie das so läuft in langen Ehen, dein Franz und du, ihr seid ja auch schon 13, 14 Jahre zusammen? Übrigens ein sehr fescher Mann, dein Franz, ich hab ihn erst letzten Sommer in Singapur getroffen.“
Sonjas Kehle ist wie zugeschnürt, wenn sie jetzt einen Schluck Kaffee nimmt, kommt der sofort wieder hoch. Sie hält sich am Häferl fest und holt tief Luft.
„Ach, Sonja, meine Liebe, Tony lässt sein Handy überall herumliegen und hat einen Platz in der Laube in unserem Garten, wo er sich mit den Hunden hinsetzt, um heimliche Telefonate zu führen. Er ist so durchschaubar wie ein kleines Kind, was er ja in gewisser Weise auch ist, wie alle Männer, nicht wahr?“ Ihr dezent geschminkter Mund hat nicht einmal die Andeutung von Runzeln, und der ist sicher auch nicht gebotoxt, wie macht sie das bloß?
„Meine Liebe, ja, Ich hab mir ein paar eurer amüsanten Gespräche angehört, ja. Die waren aber nichts Neues. Du bist ja nicht die einzige, mit der er über seine sexuellen Fantasien spricht…. Oh, du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass er sich seit Jahrzehnten nach dir verzehrt? Und dass zwischen ihm und mir nichts mehr läuft? Oder?“
„Wo ist Tony?“, will Sonja wissen. „Was hast du Tony gesagt?“
„Tony hat ein SMS bekommen, dass du leider nicht zu dem Rendezvous kommen kannst, weil Franz Verdacht geschöpft hat, Liebes. Er schmollt jetzt sicher und fährt eine Runde mit dem Boot, um seine Laune wieder zu verbessern. Und ja, er ist in Velden geblieben.“
„Was willst du? Warum bist du hier?“
„Welches Spiel wird hier gespielt, ja, Liebes, das möchtest du gerne wissen? Nun, zuallererst habe ich Franz eine Kopie eurer schmutzigen kleinen Korrespondenz zukommen lassen, damit er weiß, was sein liebes Frauchen hinter seinem Rücken so treibt…“ Christine lächelt, als würde ein Society-Reporter ein Titelbild von ihr schießen.
Sonja wird heiß, ihre Hände zittern. Franz ist ja immer und überall online, sei es in Singapur oder in Neunkirchen am Golfplatz. Er hat es vielleicht schon gewusst, als sie elend auf der schwankenden Bahntoilette saß… Das fühlt sich zuerst mal an wie ein Schlag in die Magengrube, und ihr bleibt kurz die Luft weg.
„Aber, es ist ja nichts passiert! Wir haben uns ja nicht einmal getroffen. Es waren doch nur Mails!“ Eigentlich sollte sie jetzt vor Entsetzen beben, doch in ihr macht sich nur eine große Erleichterung breit. Franz weiß alles. Dank Christine muss sie es ihm nicht mehr sagen.
„Und du meinst, das macht einen Unterschied, ob ihr nur heiße Chats genossen habt oder ob ihr eure Fantasien im Hotelzimmer umgesetzt habt? Hast du dir auch nur einen Moment überlegt, wie es Franz damit gehen wird, wenn er das erfährt? Wolltest du es ihm vielleicht im Nachhinein gestehen? Oder sollte es euer süßes kleines Geheimnis bleiben, von dem der dumme alte Kontrolldrachen Christine nie was erfahren wird?“, faucht Christine, und jetzt bilden sich doch ein paar Risse in ihrem teuren Make-up, viele feine Falten werden sichtbar, und ihre perfekt manikürten Hände wischen etwas von der glatten Schicht ab. „Aber, liebste Sonja, du solltest wissen, dass Tony noch nie fremdgegangen ist. Er schreibt zwar gerne Mails, und nicht nur an dich, falls du das geglaubt haben solltest. Aber er weiß, was er hat. Niemals würde er das Häuschen in Pula, sein Boot in Velden oder die Villa in Mödling aufgeben, nur für ein paar Treffen mit einer auch nicht mehr grade taufrischen kleinen Lehrerin wie dir. Glaubst du, er würde auf all das verzichten wollen? Was kannst du ihm schon geben?“
Sonja wird innerlich ganz kalt. Sie spürt ganz genau, wie recht Christine doch hat. Wie dumm von ihr, neue Seidenunterwäsche anzuziehen, sich die Beine extra schön zu rasieren und in den Zug zu steigen, um einen Tony zu treffen, den es gar nicht gibt. Wie dumm von ihr, einfach ihre Ehe, ihr ganzes Leben aufs Spiel zu setzen, nur um hier eine reiche alte Frau zu treffen, die es notwendig hat, sie mit Gift zu bespritzen, weil sie ihren Toy Boy zum Spielen ausborgen wollte.
Sonja hat keine Lust, Christine das letzte Wort zu lassen. Sie steht auf, schiebt die unberührte Kaffeetasse von sich und schlüpft in ihre Jacke. „Vielen Dank für das aufschlussreiche Kaffeekränzchen, Frau Weininger. Leben Sie wohl und lassen Sie mir Tony schön grüßen. Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut.“
Am Bahnhof kauft Sonja kurzerhand ein Ticket nach Grado und eine schicke neue Sonnenbrille. Als eine Sms von Franz reinkommt, „Wir müssen reden, Sonja!“, schreibt sie nur kurz zurück: „Ja, müssen wir. Wie wär`s am Montag, um 17:00 im Cafe Landtmann?“ Dann dreht sie das Handy ab, setzt die Sonnenbrille auf und beginnt ihr neues Leben.
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