Kritische Anmerkungen zu spirituellen Denkern. Anton Weiß
vorzulegen, was aber das Lesen sehr erschweren würde. Daher bin ich diesen Weg gegangen.
Das konkrete Leben wird zu wenig gewürdigt
Wenn man sich in diese Autoren – Sri Nisargadatta Maharaj, Ramesh S. Balsekar, U. G. Krishnamurti - hineinvertieft, dann schält sich als Gemeinsamkeit heraus, dass dieses konkrete Dasein nur marginale Bedeutung hat. Das kann man an vielen Äußerungen aufzeigen. Mir scheint das der Wirklichkeit nicht gerecht zu werden, es erscheint mir zu abgehoben. Die Welt wird nur als Illusion gesehen, die Dramatik des Lebens, Liebe und Tod, Beziehung zu anderen Menschen erscheinen als unbedeutend gegenüber der Einheitserfahrung allen Seins. Es ist eine Entwertung dieses konkreten Daseins. Folgerichtig stehen diese Weisen relativ beziehungslos und unbeteiligt im Leben. Ganz deutlich äußert sich U. G. Krishnamurti in dieser Richtung: „Ich habe keine emotionalen Verbindungen zu ihnen [seinen Kindern] oder zu sonst jemandem, was das anbelangt. Nicht einmal zu Valentine, der alten Schweizer Dame, mit der ich die letzten zwanzig Jahre zusammen gewesen bin. Ich glaube, dass ich zu niemandem eine emotionale Bindung habe“ (MM 159) (zitiert U. G. Krishnamurti, Mythos Mind, Seite 159).
Die Frage nach der Realität dieser Welt
Es scheint, als ob sowohl Nisargadatta als auch Balsekar dieser Welt die Realität absprechen wollten. Ganz deutlich wird das in einem Gespräch zwischen Balsekar und einem Sucher namens Yoganand: Balsekar: „Selbstverwirklichung ist die Auslöschung von Yoganand als Täter. Wenn das geschieht, spielt alles andere keine Rolle mehr.“ Darauf Yoganand: „Ich sehe einen Hund vor mir, der seinem eigenen Schwanz nachrennt. Wenn ich verstanden habe, hört das auf. Der Hund hört auf damit.“ Darauf Ramesh: „Nein, der Hund existiert gar nicht erst! Der Hund verschwindet, weil er von Anfang an nur ein Gebilde des Verstandes war. Es ist ein vom Denken hervorgebrachtes Bild, das wieder verschwindet“ (Wo Nichts 209) (zitiert R. S. Balsekar, Wo Nichts ist, kann auch nichts fehlen, Seite 209).
Auch Nisargadatta spricht dieser Welt die Realität ab. Er hält nur das für Realität, was jenseits der Welt und allen Seins ist. Das halte ich für unangemessen. Es geht nicht darum, der Welt die Realität abzusprechen, sondern folgendes klarzumachen: Jedes Ich hat seine eigene Welt und diese Welt ist nicht real, sie besteht aus dem Denken, den Vorstellungen und Wünschen eines Ichs und ist damit ganz anders als die Welt eines anderen Ichs. Dieser Welt eines Ichs kann man die Realität sehr wohl absprechen. Aber dennoch leben wir alle in der gleichen objektiv vorhandenen Welt, nur ist deren Wahrnehmung bei den meisten durch ihr Ich getrübt.
Gerade die objektive Welt ist es, die das Ich zwingt, anzuerkennen, dass es noch etwas anderes gibt als seine Eigenmächtigkeit. Und diese objektive Welt tritt einem am deutlichsten im anderen Menschen gegenüber, der auch Ich ist. Und wenn zwei Ichs aufeinanderprallen, dann werden beide gezwungen, zu begreifen, dass es noch etwas anderes gibt als nur sich. Das ist der erste Schritt zur Erkenntnis der eigenen Relativität.
Während Nisargadatta nur eine einzige Realität anerkennt – das universale Sein – gibt es für U. G. Krishnamurti sehr wohl die Realität einer Welt, „die von der Natur so mühevoll erschaffen wurde“ (MM 28) und die der Mensch heute so gedankenlos zerstört, weil er sich und sein Profitdenken über alles stellt.
Aber auch bei Nisargadatta gibt es Ausdrucksweisen, die zeigen, dass er eine Welt als gegeben voraussetzt, wenn das Ich bin-Sein das Universum erschaffen hat (Jens 73) (zitiert Sri Nisargadatta Maharaj „Jenseits von Freiheit“, Seite 73).
. Und wenn „das Universum verschleiert“ werden kann, dann muss es das auch in unverschleiertem Zustand geben.
„Ihr Körper bleibt selbstverständlich in der Welt und ein Teil davon, doch sie kann Sie nicht mehr irreführen“ (II/213) (zitiert Sri Nisargadatta Maharaj „Ich bin, Teil II, Seite 213). Hier geht Nisargadatta doch wieder davon aus, dass es eine Welt gibt und einen Körper, der in dieser Welt existiert. Wenn aber doch die Welt nur das Produkt meines Verstandes ist, dann gibt es keine Welt unabhängig von mir. Richtig ist, dass mich die Welt „nicht mehr irreführen“ kann, wenn das Ich transzendiert ist. Aber um das zu gewährleisten, brauche ich Welt und Körper nicht als Illusion und Produkt meines Verstandes zu qualifizieren, es setzt sie voraus! Das muss man einfach auseinander halten.
Wenn gesagt wird: „Meine Welt ist real, ihre ist im Verstand“ (II/81), dann kann das doch nur heißen, dass es eine objektive Welt gibt, die allerdings in der Regel durch ein Ich gebrochen erlebt wird, so wie das Licht durch ein Prisma gebrochen wird. Das wird auch bestätigt durch die Aussage: „Dinge zu sehen, wie sie tatsächlich sind, bedeutet errettet zu werden“ (II/84). Also gibt es Dinge, gibt es Welt, und es geht darum, sie zu sehen wie sie sind und nicht darum, sie als nicht existierend hinzustellen. Wenn es aber II/89 heißt: „Doch ich beziehe meinen Standpunkt dort, wo es keine Dinge gibt und auch keinen Verstand, der sie erschafft“, dann wird da doch der Eindruck erweckt, dass der Verstand die Dinge erschafft! Das ist aber so einfach nicht richtig und widerspricht dem oben Gesagten. Die Dinge sind, wie sie sind, unabhängig von meinem Verstand. Durch den Verstand eines Ichs werden die Dinge gefärbt, wird ihnen ein Schleier übergeworfen oder wie immer man das bezeichnen will. Durch das Ich wird die Wirklichkeit verzerrt; insofern werden die Dinge nicht so gesehen, wie sie sind, sondern im Licht eines Ichs. Darum geht es ja in der ganzen Spiritualität: Die Dinge so zu sehen, wie sie sind, unmittelbar und ungetrübt durch die Verstellungen eines Ichs.
„Ihre Welt ist Ihr eigenes Werk“ (II/205) könnte zwar in diesem Sinn – also getrübt durch die Verstellungen eines Ichs - aufgefasst werden, wenn es nicht durch Aussagen dahingehend verstanden werden muss, dass Nisargadatta doch die Welt als Produkt des Menschen sieht: „Warum nicht mit der Theorie arbeiten, dass Sie sich selbst geschaffen haben und Ihr eigener Schöpfer sind?“ (II/182); „Der Verstand erschafft Raum und Zeit und deklariert seine eigene Schöpfung als Realität“ (II/210); „Wenn Sie einmal ohne Zweifel erkannt haben, dass die Welt in Ihnen ist und nicht Sie in der Welt, dann sind Sie frei von ihr“ (II/213). Wenn die Welt in mir ist, wie kann dann der Körper Teil der Welt bleiben, wie es an anderer Stelle gesagt wird? Es werden hier einfach zwei Begriffe von Welt durcheinander gebracht, die man mühelos auseinander halten könnte: Die Welt, die ein Ich hat und die objektiv gegebene Welt. Zwar ist es richtig, dass die Welt immer eine ist, die der Mensch in seinem Bewusstsein hat und die damit immer den Bedingungen des Bewusstseins unterworfen ist – das hat schon I. Kant gesagt -, dennoch ist sie nicht durch das Bewusstsein erschaffen, sondern nur durch es wahrgenommen. Sonst bin ich selber Gott, was Nisargadatta auch konsequenterweise behauptet (II/182). Ich sehe drei Möglichkeiten von Welt: Erstens die Welt, die ein Ich hat, zweitens die Welt, die entsprechend der Struktur unseres Bewusstseins wahrgenommen wird, d. h. die Welt, die der Mensch als Individuum, also als transzendiertes Ich hat, die ich als objektive Welt bezeichne, und drittens die Welt, wie sie an sich ist, als solche aber für uns nicht zugänglich, da wir die Welt nur in Abhängigkeit von unseren Sinneswahrnehmungen und unserer Bewusstseinsstruktur wahrnehmen können. Die Welt an sich ist uns nicht zugänglich.
Worum es geht ist, den Standpunkt des Ichs zu transzendieren und damit von der ich-abhängigen Welt in die objektiv gegebene Welt zu gelangen, die mit dem ichfreien Bewusstsein so wahrgenommen werden kann, wie sie als Realität einem Menschen erscheint.
Der Mensch hat in seinem Dasein in dieser Welt als Körper-Geist-Organismus eine große Chance: Es kann sich in ihm die Transzendierung des Ichs vollziehen, was der Sinn und die Aufgabe dieses Lebens sind. Daher ist der Körper notwendig, ist Denken notwendig, ist der Verstand notwendig. Auch die daraus resultierenden, den Menschen begrenzenden Erfahrungen, insbesondere der Tod des Körpers, werden als Leid erlebt, auch wenn ich überzeugt bin, dass hinter dem Tod des Körpers der Geist unbeeindruckt bleibt und dass ich ein Sein bin, das jenseits von Geburt und Tod besteht. Denn das ist keine Erfahrung, sondern nur ein Glaube, den man haben kann oder auch nicht. Wir haben darüber kein Wissen. Alles Reden über ein Sein unabhängig von diesem körperlichen Dasein, was vor der Geburt und nach dem Tod sein wird, sind Theorien, Spekulationen, Überzeugungen. Aber kein Wissen.
Dieses konkrete Dasein bietet die Möglichkeit, das Ich zu transzendieren;