Gelöscht - Die komplette Reihe. Sabina S. Schneider

Gelöscht - Die komplette Reihe - Sabina S. Schneider


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bin so fasziniert von dem Schauspiel, das sich mir bietet, dass ich nicht merke, wie nahe er mir ist, bis ich seine Körperwärme spüre. Überrascht drehe ich mich um und blicke ihm direkt in die Augen. Der Feuerschein der Kerzen fängt sich in dem hellen Blau seiner Iris, tanzt fröhlich in der Farbe des Himmels. Unsere Schultern berühren sich. Kirrils Nähe ist mir nicht unangenehm und doch pocht mein Herz schneller.

      Mein Blick fährt zu seinen Lippen und verliert sich in dem Bogen der Freude. Wie kann so eine kleine Geste meinen Puls zum Rasen bringen? Als seine Hand zu meinem Gesicht fährt und mir eine Strähne aus der Stirn streicht, halte ich still, wage es nicht zu atmen. Kirrils Gesicht kommt näher und mein Körper reagiert ohne mein Zutun. Kirrils Hand fährt zu meiner Wange und ich hebe ihm mein Gesicht entgegen, begegne seinem suchenden Blick. Ich tauche ab in der Tiefe seiner Augen, werde gefangengenommen von dem Gefühl seiner Finger auf meiner Haut.

      Dann werden seine Augen dunkel. Schwarz überschwemmt Blau. Leises Interesse wird zu Begierde und Lust. Besitzergreifend und wütend.

      Ich schrecke zurück, schaffe mit wenigen Bewegungen Platz zwischen uns und starre Kirril erschrocken an. Mein Herz klopft immer noch schnell, doch es ist Angst, die es in einen Dauerlauf schickt, es jagt und daran erinnert, wem diese Hülle gehört und wozu sie bestimmt ist. Und das alles wegen den Entscheidungen einer Person, die ich nicht mehr bin.

      Der Körper und mein jetziges Ich, so jung es auch sein mag, nicht mehr unschuldig, sind Wild, das gejagt und erlegt wird als Sühne für die Sünde von Anuva. Ein altes Ego, an das ich mich nicht erinnere. Ich weiß, dass mein Gehirn mir einen Streich spielt, dass Kirril nicht Cailan ist. Doch selbst diese kleine Berührung seiner Hand hat ein Band zwischen uns geschaffen, die uns unwiderruflich verbindet.

      Was hätte ein Kuss bewirkt? Ein Kuss … Lippen auf Lippen. Ich blicke wieder zu Kirrils Mund, frage mich, wie es sich anfühlen würde, seine Lippen sanft auf meinen, meine fest auf seine gepresst.

      Ein Kuss … eine Berührung, die tiefer geht als ein Blick, ein Band der Zuneigung. Ich mag Kirril. Sein Lächeln ist voller Freude, seine Worte quellen über mit Freundlichkeit und ich finde ihn schön, möchte, dass er in mir etwas entdeckt, das er schön finden kann. Er ist hilfsbereit und anstatt mich zu ignorieren, wie die anderen Männer, zieht er mich mit Zuvorkommenheit in seinen Bann. Er sucht meine Nähe und ich will mehr davon, bin verführt von dem leisen Versprechen von Wärme, Zuflucht und Sicherheit.

      Und wieder denke ich an das Brennen in Cailans Augen und baue eine unsichtbare Mauer zwischen Kirril und mir, panzere mein Herz und weigere mich, meiner Sehnsucht nachzugeben. Das hier ist nur eine Zwischenstation. Ein Moment, in dem ich tief einatmen kann, ohne die Angst verbrannt zu werden.

      Mehr nicht.

      Ich muss noch heute Nacht in die Kälte hinaus. Ich darf Kirril nicht in Gefahr bringen. Mein Herz sagt mir, dass Cailan nicht davor zurückschrecken würde, Kirril seinem Zorn und seiner Wut zu opfern, in der Hoffnung mehr Befriedigung zu erfahren, auf dass sein Hass in sich selbst verbrennt.

      Ich glaube Enttäuschung in Kirrils Augen zu sehen, doch er respektiert den Abstand zwischen uns, erhebt sich wortlos und lässt mir mehr Raum. Zu viel freier Platz um mich herum in einer überfüllten Hütte. Ich rolle mich zusammen und vertraue mich den Geräuschen an, lasse mich wie ein Kind von Lachen, Gegröle und Flüchen in den Schlaf wiegen. Ein seichtes Dösen, in dem ich versuche Kraft zu schöpfen für das, was vor mir liegt. Eine Wärme erfüllt mein kaltes Herz und ich bin froh, dass mir dieser Augenblick geschenkt wird.

      Ein Geschmack von Wärme und Sicherheit, von dem Ansatz einer Romanze. Die Idee von einem Leben ohne Glaswände, ohne Schuld. Der Gedanke, dass ich all das nicht haben kann, wird groß und zerschneidet wie Rasierklingen diesen Haucht von einer Möglichkeit und verwandelt ihn in einen unerreichbaren Traum. Ich versuche loszulassen und den Wunsch abzuschütteln, das alles für immer in mich aufzusaugen und ein Teil dieser Welt zu werden.

      Das kleine Glück dieser Gruppe kann ich nur bewahren, wenn ich die Möglichkeit aufgebe und sie als Traum in mir einschließe.

      Und so warte ich, bis das Gelächter leiser wird, Stille und schließlich Schnarchen überwiegen. Die Hütte wird nur von dem Schein der glühenden Kohlen im Ofen erleuchtet. Ich hänge meinen Rucksack über die gute Schulter und wickle mich in die geliehene Decke. Meine Hände tasten sich die grobe Holzwand entlang und ich schreite durch die Tür der Kälte entgegen, der Einsamkeit ... und bin doch nicht alleine. Über mir leuchten die Sterne aufmunternd für mich. Unendlich weiter als der blaue Himmel. Mehr Tiefe als mein Herz vertragen kann. Plötzlich komme ich mir klein vor und unbedeutend. Dieser Gedanke hat etwas Tröstendes. Ich ziehe die gestohlene Decke enger um mich und stapfe los. Wohin? Ich weiß es nicht.

      Von der kleinen Hütte führt ein schmaler Pfad fort. Es ist dumm und einfältig, aber ich folge ihm, so gut es geht in der Dunkelheit. Mein Herz ruft leise Kirrils Namen zum Abschied und flüstert mir das Gefühl einer verpassten Umarmung zu, eines in Angst zerflossenen Kusses. Der Gedanke, nicht allein sein zu müssen, ist schön und schmerzhaft zugleich. Ich halte mich an ihm fest. Es gibt jemanden, der an meiner Seite sein wollte. Doch Onmma hat recht. Ich kann Kirrils Leben nicht auch noch auf meinen Schultern tragen. Er kennt mich nicht, weiß nicht, warum ich bestraft wurde. Diese kurze Zeit in Ruhe und Wärme ist mehr, als ich verdiene.

      Mein Blick fällt auf mein Armband und ich komme mir töricht vor. Es hat bestimmt einen Peilsender. Meine klammen Finger ziehen. Harte Kanten bohren sich in meine Haut, aber ich zerre weiter. Blut tropft in den Schnee, doch es will nicht reißen. Ich umklammere es, als wäre es mein Leben.

      Ich muss schnell weg von der Hütte. Die Männer haben mir mein Leben gerettet. Ohne sie wäre ich im Schnee erfroren. Und wie habe ich es ihnen gedankt? Ich habe ihnen eine Decke gestohlen. Was auch immer war, jetzt bin ich eine Lügnerin und eine Diebin.

      Meine Finger bohren sich tief in den rauen Stoff der Decke. Langsam setze ich einen Fuß vor den anderen. Die Sterne sind mein einziger Lichtquell. Lange laufe ich und als die ersten Sonnenstrahlen die schneebedeckten Berggipfel küssen, schreckt mich ein lautes Knurren aus meiner Lethargie.

      Ich zucke zusammen und es vergehen Minuten, in denen mein Herz aus der Brust zu springen droht, bis ich bemerke, dass es mein Magen ist, der diese Geräusche macht.

      Hunger … ich habe Hunger. Ich denke an mein Gespräch mit Dannie und heiße Tränen kullern über meine Wangen. Ich sinniere über die ideale Welt, an die ich damals noch geglaubt habe, trauere um eine Freundin, deren freien Geist und Fröhlichkeit ich mit wenigen Worten getötet habe. Wie konnte ich je so dumm sein und an diese ideale Welt glauben?

      In meinem Schmerz gefangen, bemerke ich ihn zu spät.

      „Ich wollte dir nicht aus Nächstenliebe helfen, Mo.“

      Ich schrecke zusammen und wirble herum. Hinter mir steht Kirril. Ich weiche vor der Dunkelheit zurück, die in seinem Gesicht lauert. Seine Lippen umspielt ein Lächeln. Wie kann derselbe Mund, den ich so gerne berührt hätte, hier und jetzt grausam wirken? Wo ist die Unschuld hin?

      „Was willst du von mir, Kirril?“, frage ich zögerlich, vorsichtig, kann nicht glauben, dass es derselbe Mensch ist, der meine Füße verarztet und sein Essen mit mir geteilt hat.

      „Du wirst mich zum Refugium begleiten.“

      Ich weiche bei seinen Worten zurück. Dort erwartet mich im besten Fall eine Löschung. Und als der Schmerz in meiner verbundenen Schulter wütet, weiß ich nicht, ob ich das wirklich schlimm finde.

      „Ist ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt?“, frage ich leise und Kirril … lacht.

      „Sei nicht albern. Ich will dich nicht ausliefern. Ich brauche deine Hilfe.“

      Doch alles an ihm sagt mir, dass er mich nicht um Hilfe bittet. Er fordert sie ein und würde nicht vor Gewalt zurückschrecken. Wohin ist der süße Junge mit den Grübchen verschwunden? Versteckt er sich unter dem grausamen Bogen der Dunkelheit oder hat er nie existiert?

      „Meine Hilfe?“ Wie kann ich irgendjemand bei irgendetwas nützlich sein?

      „Ich muss in


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