Am Hof Karls des Großen. Felix Dahn
einwanderten, das unsre schöne Heimat ward, war auch unser Ururgroßvater Leupichis: er siedelte sich und die Seinen in Friaul an – am Ufer der Livenza – und ward Gasindus des Herzogs von Friaul. Und seither sind wir von Geschlecht zu Geschlecht getreue Gefolgen dieses Herzoghauses gewesen.« – »Ja, gar mancher unsrer Vorfahren,« fiel Arichis ein, »hat den Schild solchem Herzog getragen und ist mit ihm, auch wohl für ihn erschlagen worden!« – »Aber auch das fürstliche Haus hat Schutz und Treue unsern Vätern gewährt: ein Held dieser Sippe ist im Schirmkampf für unsre Ahnen gefallen.« – »Ja, und daß ich hier lebend sitze neben der Tochter meines Königs, wem verdank' ich das, als unsrem Herzog?« – »Wie das?« forschte Adalperga eifrig. »Hat er ... hat der Herr Herzog von Benevent –?« – »Herausgehauen hat er mich vorigen Herbst aus einem ganzen Rudel wilder Slovenen. Wir sollten sie aus dem Ostland treiben, in das sie aus der Windischen Mark eingefallen waren: bis Marianum waren sie schon vorgedrungen. Herzog Arichis schlug sie dort aufs Haupt und lustig war die jagende Verfolgung! Aber ich ward darüber allzu lustig und fiel in einen Hinterhalt im dichten Grenzwald: es waren ihrer fünf, mein Gaul stürzte –, ich war verloren; da sprengte mein Herzog heran ... –« – »Auf seinem schönen Rapphengst?« fragte das Königskind. – »Jawohl! – Schau, wie gut Ihr beschlagen seid in seinem Marstall! – Und holte mich heraus – er allein! – er blutete dann, aber er lachte dazu.« – »Und,« fuhr Paulus fort, »sie haben aus ihrem Reichtum gespendet, als wir in wilder Kriegsdrangsal alles verloren hatten, sie haben mit Rat und Tat uns geholfen allezeit. Und so sind wir ihnen denn zu Dank und Treudienst verpflichtet immerdar. Und nicht nur Pflicht, – nein, stolze Wonne wär's, für dies hohe Geschlecht das letzte Herzblut zu vergießen.«
Er hatte sich in edle, in lodernde Begeisterung hineingesprochen: es ließ ihm gut; die feinen Züge, das schöne Auge verklärten sich: mit freundlichem Staunen sah's die Jungfrau, Arichis aber rief: »So gefällst du mir, Paule! Ich seh' dich doch nochmal in Helm und Brünne stolze Streiche tun für Arichis von Benevent. Denn Ihr wißt ja wohl, daß zwei Brüder des Herzoghauses von Friaul übergesiedelt sind in jenes südlichere Land und dort das Herzogtum erwarben. Und weil bei diesem Haus – jetzt von Benevent – der Name Arichis fast erblich ist, – haben auch wir, mit jenem übergesiedelt, dessen Namen gar oft geführt: so heiße ich – unwürdigermaßen! – wie jener Herzog, dessengleichen – bei Gott! – kein Held lebt im Volk der Langobarden;« – Abermals errötete Adalperga. Aber Paulus deutete das irrig – als Erzürnung: »ausgenommen, Arichis, den Herrn König Desiderius,« mahnte er. Jedoch die Königstochter meinte: »Ach, mein lieber Vater ist alt und krank und der viele Gram um dieser bösen Franken willen ...! Hat er doch um deswillen« – sie stockte ein wenig – »den Herrn Herzog, den ihr wie um die Wette lobt, in jenes Reich über die Alpen geschickt – recht lange, lange bleibt er aus, mein' ich! – zu erkunden, was etwa Schlimmes dorther droht. – Aber nun endlich zurück zu Leupichis, eurem Ahn.«
»Der hinterließ, wie er starb, fünf noch ganz junge Söhne, der jüngste hieß wie er. Da brachen in das Gebiet von Friaul die greulichen Horden der Avaren ...–« – Adalperga schauderte: »Unholde sollen's sein, nicht Menschen.« – »Sie plünderten, mordeten, verbrannten, was sie erreichten und schleppten die fünf Knaben, an die Schweife ihrer Gäule gebunden, mit sich in die Knechtschaft, in die öden Steppen der Avarenringe! Die vier älteren sind dort geblieben und verschollen. Der Jüngste aber, Leupichis, hatte nie die Sehnsucht nach der Freiheit, die Hoffnung auf die Wiederkehr in die Heimat aufgegeben. Jeden Abend vor dem Einschlafen hatte er zu den Heiligen gebetet, zumal zu dem Schutzherrn unserer Fara, Sankt Sabinus zu Spoleto, ihm glückliche Heimkehr zu gewähren.« – »Wohl, wohl,« meinte Arichis. »Aber unser alter Rinderhirt, der mir die Sache – wie oft! – erzählte draußen auf der Heide, flüsterte immer dazu: ›er hat auch stets einen Wuchs Ernte-Hafer stehen lassen auf dem Felde – für Herrn Wodans Grauroß.‹« – »Nicht doch! – In einer kalten Winternacht nun, ohne Mond und Sterne, floh der zum Jüngling Herangewachsene aus der Lehmhütte, die ihm samt ein paar Ziegen sein Herr als Wohnung angewiesen hatte, nahe dem Grenzring der Avaren: er nahm nur Bogen und Pfeilköcher und etwas trockenen Ziegenkäse mit. Als er aber nun den nächsten Wald erreicht hatte, wußte er nicht, – denn die Sterne fehlten – welche Richtung er einschlagen solle auf seiner Flucht, um Langobardenland zu erreichen. Auch schien das Gestrüpp des dornigen Dickichts im Unterholz undurchdringbar: er konnte weder vorwärts noch rückwärts, ratlos blieb er stehen: er wollte verzagen. Da sah er plötzlich zu seiner Rechten zwei kleine rotgelbe Lichter funkeln, die, nah an der Erde, an ihm vorüber vorwärts schossen: es war ein Wolf, der wies ihm den Weg durch das Gestrüpp: er folgte, dankend Sankt Sabinus, der ihn gesendet.«
Arichis schüttelte das kurzkrause Gelock: »Aber der alte Hirte lachte und raunte. ›Wie käme ein Heiliger zu einem Wolf? Den Wolf hat Wodan gesendet:‹ ›der Wolf ist Wodans geweihtes Weidwild‹ so sagt ein uralt Wort. Und: ›reich lohnt Wodan treuen Dienst‹ ein anderes. Er hatte wohl der Ähren für sein Grauroß nicht vergessen, – sagte der Hirt, nicht ich, frommer Bruder!« – »Wundersam war nun, wie ein paar Tage lang das Untier wirklich als Wegweiser dem Fliehenden vorantrabte, nie ihn bedrohte, nie außer Sichtweite lief, oft sich umwandte, ob Leupichis auch richtig auf dem schmalen Pfade durch das Dorndickicht folge? Aber am dritten Tage – die mitgenommene wenige Mundspeise war längst verzehrt – plagte den Ahn der Hunger, ganz erschöpft fürchtete er zu erliegen: da spannte er den Bogen, legte den Pfeil auf, den Wolf zu töten, ihn zu verzehren.« – »Das war recht undankbar von dem Ahn – sagte nämlich Grimmo der Hirt, der soviel alte Dinge, Sagen und schöne Sprüche wußte, wie nur etwa noch Willehalm sein jüngerer Bruder, viel hab ich von ihnen gelernt: – Gott lohn' es ihnen im Himmel! – Und auf dem Fleck strafte ihn Wodan: der Pfeil ging fehl, was sonst dem Ahnherrn nie geschah, er sah nur noch, wie der treue Wegweiser vorwurfsvoll umsah und verschwand, dann stürzte er todmüde zu Boden.« – »Im Traum aber erschaute er einen Mann, der stand bei seinem Haupte und sprach: ›Steh auf! Leupichis, was schläfst du? Geh dahin, wohin deine Füße gerichtet liegen: denn dort liegt Langobardenreich, wohin du trachtest:‹ das war Sankt Sabinus.« – »Er trug aber einen Schlapphut, dieser Mann,« warf Arichis ein, »und dunkelblauen Mantel und in der Hand einen Speer: so sehn die Kutten-Heiligen nicht aus.« – »Und der Ahn sprang auf und wanderte, wie ihm das Traumgesicht gewiesen und fand am Abend eine Siedelung: darin waltete eine schöne junge Mutter, die ihn aufnahm, speiste, nächtigte, den Weg wies: tief dankte er der Hausfrau.« – »›Die trug ein linnenblütenblau Gewand, klirrende Schlüssel am Gürtel, und ein golden Halsgeschmeide,‹ sagte der Hirt. Das war ...« – »Und so gelangte er in ein paar Tagen nach Friaul, an die Livenza und an das alte Stamm-Gehöft, das Allod unserer Fara: aber das sah traurig aus! Verödet lag's seit vielen Jahren, das Dach war von den Avaren abgebrannt, offen klaffte die Halle gen Himmel: Buschwerk und Gedörn füllte die Stuben: und ein gewaltiger Eschenbaum« – – »Das ist Wodans Weihebaum.« – »Ragte hoch durch die Dachlücke in die Luft. Daran hing der Ahn sofort Bogen und Köcher auf, als des Besitzes Zeichen. Und der gütevolle Herzog, der Ahn des heutigen, beschenkte ihn reich mit milder Hand, so daß er ein Weib gewinnen und unsre Fara neu begründen konnte.« – »So sind wir von Geschlecht zu Geschlecht diesem Fürstenhaus zu tiefem Dank verbunden. – Aber horch, wer kommt da?«
Und Arichis wandte sich: die Doppeltüre, die in das Innere des Palastes führte, ward aufgerissen und herein trat in lebhafter Bewegung eine hohe Gestalt, klirrend in Waffen. Adalperga sprang auf: »Er! Er zurück« flüsterte sie.
Der Ankömmling aber schritt durch die umgebenden Palastgroßen und Frauen auf die Königin zu, beugte tief das Haupt und sprach: »Frau Königin, soeben komm' ich an: Tag und Nacht ritt ich aus Frankenreich: schlimme Kunde bring' ich: König Karl und sein Reichstag haben – für den heiligen Vater! – den höchst unheiligen Krieg gegen uns beschlossen. Aus dem Sattel gesprungen eilte ich an das Krankenbett Eures königlichen Gemahls, zuerst ihm das zu melden. Dann aber, hohe Frau – in dieser Stunde höchster Gefahr ist es Zeit, um Waffenschutz und Waffenschirm für Euer Haus zu sorgen: jetzt – nicht früher, – wagte ich es, bei König Desiderius um die Hand Eurer Tochter Adalperga zu werben: er sagt sie zu, wenn die Mutter und die herrliche Jungfrau ...« – Da unterbrach ihn die immer noch schöne Greisin, faßte seine Hand und sprach: »Die Stunde der Werbung adelt Euch, Herr Herzog, mehr als Eures Blutes Adel und all' Euer