Blau Wasser. Gerstäcker Friedrich

Blau Wasser - Gerstäcker Friedrich


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Boot frei machen könnten - ich fände jetzt leicht die Richtung dorthin."

      „Es geht nicht - es geht nicht," seufzte Tom. „Die Boote hängen zu nah am Steuerruder, und wenn ich selbst die Wache dort hätte - einer der Harpuniere ist stets an Deck.

      „Und zwischen den Wachen, Nachts, - wenn sie unten im Buche schreiben?"

      Tom schüttelte traurig den Kopf. „Das erste Reiben des Taus in den Blöcken müßten sie hören, und ehe wir nur das Boot auf dem Wasser hätten, wären wir verrathen. Nein, armer Bursche, es bleibt uns jetzt schon keine andere Wahl, als geduldig auszuharren die schwere Zeit — noch viele lange, lange Monde."

      Alohi gab seinen Plan noch nicht auf. Das Land in Sicht, das ihm plötzlich die Richtung der eigenen Heimath zeigte, hatte die Sehnsucht stärker als je in ihm erweckt. Aber selbst die Elemente schienen ihm entgegen, denn der Wind /48/ hatte legte sich fast ganz und es wurde so still, daß eine Flucht im Boot, selbst wenn sie glücklich das Schiff damit verlassen hätten, unmöglich geworden wäre. Nur bei kräftiger Brise hätten sie hoffen können, mit Segeln zu entkommen.

      Die Nacht brach ein, und am nächsten Morgen, als die Sonne wieder im Osten emporstieg und das spiegelglatte Meer beschien, war das Land verschwunden. Bald nach Sonnenaufgang erhob sich aber der Wind auch wieder, und die Lucy Evans lief jetzt mit ziemlich kleinen Segeln etwa vier Knoten die Stunde nach Süden wieder. In den letzten acht Tagen sie keinen Fisch gefangen, und das Deck lag rein und sauber gescheuert. Zu arbeiten war ebenfalls wenig, und der Böttcher so ziemlich die einzige ununterbrochen thätige Person, da die mit dem heißen Thran gefüllten Fässer scharfes Aufpassen und mehrmaliges Nachtreiben der Reifen verlangen, wenn sie nicht leck werden sollen. Die Ausgucks wurden jedoch regelmäßig in den Tops der Mallen gehalten, denn sie befanden sich hier noch im besten Spermfischrevier und hätten noch ein halbes Dutzend der fetten Burschen brauchen können, um ihr Schiff bis zum Deck zu füllen.

      Vier volle Tage, Nachts dabei nur wenig Fortgang machend, lagen sie so dicht am Wind, um soviel wie möglich nach Osten anzuhalten. Daß sie Tubuai jetzt passirt hatten, war gar keine Frage mehr, und die weite öde See lag vor ihnen, ein traurig wildes Ziel. Am vierten Nachmittag war Tom oben in den Top des Vormasts zum Ausguck gesandt und konnte die Blicke nicht abwenden von der Richtung, in der er die Heimath wußte. Er schaute so lange nach Westen, in die untergehende Sonne, bis ihn die Augen schmerzten, und wandte sich endlich in Pein und Unmuth ab, damit seine Gedanken nicht über ihn Herr werden möchten.

      Eine Zeit lang flimmerte es ihm vor den Augen, so hatten ihn die Strahlen der Sonne geblendet, und doch kam es ihm vor, als ob er dort drüben zu windwärts einen dunkeln Punkt erkennen könne. War das ein Fisch? - Er wäre der Letzte gewesen ihn anzurufen, denn jetzt, nachdem sie seine Insel im Rücken hatten, lag seine einzige Hoffnung /49/ auf einer schnellen Fahrt, der alten Heimath zu, um von dort dann mit dem ersten Schiff den Rückweg hierher zu finden. Das Einschneiden eines Fisches hätte die nur verzögert. - Aber nein, das war kein Fisch. Ein dunkler Gegenstand lag gar nicht so sehr weit entfernt, ziemlich hoch auf dem Wasser. Was es sei, konnte er nicht erkennen, rief aber das Schiff unten an und meldete mit dorthin ausgestreckter Hand, was er bemerkt. Er war selber neugierig geworden.

      Einer der Harpuniere stieg rasch mit dem Fernglas nach oben, und erkannte bald in dem dunkeln Gegenstand einen kleinen entmasteten Kutter, der dort, anscheinend herrenlos, auf dem Wasser trieb. Niemand auf der Welt hat aber besser Zeit, etwas Derartiges zu untersuchen, als gerade ein Walfischfänger, da er nicht das Mindeste dabei versäumt. Die Ausgucks bleiben natürlich fortwährend in den Masten, und während er beilegt, oder gegen den Wind aufkreuzt, können ihm eben so gut Fische in den Wurf laufen, als wenn er mit vollgeblähten Segeln vor dem Wind fortginge. Außerdem war hier eine Aussicht auf Gewinn - es konnte ein mit Perlmutterschalen oder Cocosöl beladener Kutter sein, der aus irgend einem Grund von seiner Mannschaft verlassen worden. Jedenfalls lohnte es der Mühe, die Stunde daran zu wenden, um ihn zu untersuchen, und die Sonne war eben noch hoch genug, um ihn wenigstens vor ihrem Untergang zu erreichen.

      „Mr. Hobart!" rief der Capitain, „nehmen Sie Ihr Boot und zugleich - oder lassen Sie lieber Mr. Elgers gehen," unterbrach er sich, „der hat den Zimmermann in seinem Boot. Tom mag sein Handwerkszeug mitnehmen, Meißel, Säge, Hammer und Beil; man weiß nicht, was da Aufzuschlagen ist. Lohnt es der Mühe, so bleiben Sie dort liegen, bis wir dazu aufkreuzen können - Sie mögen sich auch eine Laterne mitnehmen, falls es zu dunkel werden tollte."

      Der Befehl wurde rasch ausgeführt und Tom vom Mast heruntergerufen. Hier blieb ihm auch wirklich kaum Zeit, /50/ sein nothwendigstes Geschirr zusammenzuraffen und in das Boot zu springen. Das hatte die übrige Mannschaft indeß mit allem Nöthigen versorgt, und sie stießen gleich darauf von Bord ab, um das Wrack zu untersuchen. Unten auf dem Wasser konnten sie es aber noch nicht erkennen, und von der großen Raae aus gab ihnen ein dort hinaufgeschickter Matrose die Richtung an, in der sie steuern mußten, bis sie selber nahe genug kamen, es von der blitzenden Fluth, die ihren Horizont begrenzte, zu unterscheiden.

      „Legt Euch in die Riemen, meine Burschen," ermunterte der Harpunier die Leute, „es wird sonst dunkel, eh' wir hin kommen; die Sonne geht ja schon unter. Regt ein bischen die faulen Knochen - wer weiß, ob nicht in dem Kasten da drüben mehr steckt, als zwei Walfische werth sind."

      Das Letztere war jedenfalls die beste Anregung für die Leute. Mit aller Macht legten sie sich in die Ruder, und das schlanke treffliche Boot sprang leicht über die kaum bewegten, aber von einer frischen Brise dunkelgekräuselten Wellen der blauen See, so daß sie bald das ersehnte Ziel erreichten.

      Es war in der That ein kleiner inländischer Kutter, wie ihn die Weißen hier und da für die Eingeborenen auf den Inseln bauen, und womit auch oft Europäer, besonders Franzosen, zwischen den verschiedenen Inselgruppen herumfahren und Perlmutterschalen, Cocosöl, Limonensaft oder andere Producte gegen europäische Waaren, seltener gegen Geld, eintauschen. Jedenfalls hatte ein Sturm das kleine Fahrzeug erfaßt, und die Mannschaft, wenn sie nicht verunglückt war, sich in ihrem Canoe zu retten gesucht. An Deck lagen nur einige Cocosnüsse, die Alohi, ohne weiter einen Befehl deshalb abzuwarten, in das Boot warf. Außerdem war aber von dem Tafelwerk noch Manches zu gebrauchen, der Anker z. B. allein schon etwas werth, und der Harpunier ließ sich jetzt die Laterne anzünden, um in den innern Raum, der nur theilweise mit Wasser gefüllt schien, hinein zu steigen und nach Papieren oder sonst werthvollen Sachen zu suchen. Die Mannschaft sprang indeß sämmtlich an Deck des kleinen Fahrzeugs, um so viel wie möglich wenigstens von dem Tau-/51/werk zu bergen, falls sich die Ladung als werthlos erweisen sollte. Die Sonne war allerdings schon unter, und die Nacht fing an, sich von Osten her lagnsam über die weite, leise wogende See auszubreiten. Die Dämmerung ist in jenen Meeren ungemein kurz, und dem Tag folgt fast unmittelbar die Nacht.

      „Hierher, Zimmermann; gebt einmal ein Beil herunter," rief der Harpunier, der mit dem Bootsteuerer nach unten geklettert war, an Deck hinaus, „und bringt einen Meißel mit."

      Tom stieg in das Boot, das in Lee vom Kutter angebunden hing, um das kleine Kästchen mit Handwerksgeräth herauf zu holen, als plötzlich Jemand zu ihm in das Boot sprang und dieses ein Stück vom Kutter abschoß. Er richtete sich überrascht empor und erkannte Alohi, der mit einem trotzigen Lächeln über den dunkeln Zügen, ein Messer in der Hand, mit dem er eben das Tau durchschnitten hatte, einen Augenblick stolz und hoch aufgerichtet vorn im Boot stand. Es war aber auch wirklich nur ein Augenblick, denn im nächsten Moment schon warf er das Messer von sich und griff einen der Riemen auf.

      „Hallo - das Boot ist flott!" rief Einer der zurückgebliebenen Leute. „Auf der andern Seite, Kanaka1, mußt Du den Riemen einsetzen - Du schiebst es ja noch immer weiter ab."

      „Was thust Du, Alohi?" rief Tom erschreckt.

      „Was ich thue, Tomo? Ich will nach Tubuai fahren - und nun Segel auf und fort, denn es dauert noch wenigstens eine Viertelstunde, ehe es vollkommen Nacht ist. Die anderen Boote werden bald hinter uns her sein."

      „Aber, Alohi!" rief Tom, „mit diesem Boote sollen wir die Entfernung -"

      „Und wenn's ein Canoe wäre," lachte der Indianer wild vor sich hin, „besser hier zu Grunde gehen als länger bei jenen weißen Teufeln ausharren. Alohi bleibt nicht mehr bei ihnen."


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