Die Insel der Urmenschen. Karsten Hennig
vermeintlich mittellosen Seemann erst wieder, als er einige eingenähte Edelsteine aus seinem Mantel herausschnitt. Auf seiner Odyssee über die Weltmeere passierte er auch die Andamanen. Sein Bericht fällt eher ernüchternd aus:
„Die Andamanen sind eine sehr lange Inselgruppe. Das Volk ist ohne einen König, träge und nicht besser als wilde Tiere. Und ich versichere Euch: alle Menschen auf diesen Inseln haben Köpfe wie Hunde, sowie deren Zähne und Augen. Tatsächlich sind ihre Gesichtszüge wie die großer Doggen. Sie haben eine Menge an Gewürzen, aber sie sind ein sehr grausames Geschlecht und essen jeden, den sie fangen können, und der nicht ihrer Rasse angehört. Sie leben von Fleisch und Reis und Milch und haben Früchte, die sich von allen unseren unterscheiden.“
Da sich Marco Polos Beobachtungen der Urmenschen auf den Andamanen als überwiegend unzutreffend herausgestellt haben, wird oft angezweifelt, ob er die Inselgruppe wirklich selbst besuchte. Sicher ist aber, dass er die Andamanen auf seiner Route passierte und von den vielen Sagen und Legenden über die dort lebenden Wilden gehört hat.
Aus Europa besuchten die italienischen Handelsreisenden Niccolo di Conti im Jahre 1440 und Cesare Federici im Jahre 1570 die Andamanen. Später kamen auch noch Portugiesen, Dänen, Spanier und Engländer aus Europa auf die Inselgruppe. Niemand blieb jedoch länger als nötig, denn das ungewohnte Klima und Malaria waren eine große Belastung für die Gesundheit europäischer Seefahrer und möglicher Siedler. Auch die Einheimischen machten weiter ihrem Ruf alle Ehre und verhielten sich nicht besonders gastfreundlich gegenüber den ungebetenen Gästen. So schreibt der bekannte englische Historiker und Kapitän Alexander Hamilton um 1700:
„Die Andamanen sind von vielen gefährlichen Felsen und Riffen umgeben, und sie sind alle von Kannibalen bewohnt, die so furchtlos sind, dass sie zu einem Boot hinausschwimmen, sobald es sich dem Ufer nähert und es angreifen mit ihren hölzernen Waffen, ungeachtet der übermächtigen Anzahl an Gegnern an Bord und deren Vorteil an schweren Waffen zur Verteidigung aus Eisen, Stahl und Feuer.“
Die Überzeugung, dass die Eingeborenen der Andamanen Kannibalen waren, war unter den Seefahrern weit verbreitet. Es gibt jedoch keine Erkenntnisse darüber, dass die Andamanesen Kannibalismus praktiziert haben. Vermutlich ist der Verdacht darauf zurückzuführen, dass einige Völker der Andamanen ihre Toten auf großen Lagerfeuern einäscherten, die sie am Strand entzündeten. Das gleiche taten sie mit getöteten Seefahrern, die auf der Insel ihre Wasservorräte auffüllen wollten, und deren Kumpanen auf ihrem Schiff vor der Küste das schreckliche Schicksal ihrer Kameraden aus sicherer Entfernung mit ansehen mussten.
So kommt es auf den Andamanen und Nikobaren, trotz ihrer Lage entlang der gängigen Seerouten der Handelsschiffe, erst relativ spät zu einer dauerhaften Besiedelung durch andere Nationen. Den Anfang machte dann aber doch die im Indischen Ozean vorherrschende Britische Kolonialstreitmacht in ihrem Bedürfnis sich die Welt untertan zu machen. Die East Indian Company erteilt 1788 den beiden Offizieren der Royal Navy Lt. R.H. Colebrooke und Lt. Archibald Blair den Auftrag, einen geeigneten Platz für eine dauerhafte Siedlung auf den Inseln zu finden. Im darauf folgenden Jahr wurde dann mit der Rodung einer Fläche, auf der sich heute die Hauptstadt Port Blair befindet, begonnen und im Jahre 1790 zogen die ersten Siedler auf die Andamanen. Wie es bei den Engländern Brauch war, waren dies neben Angestellten der Regierung, vor allem verurteilte Straftäter aus den Kolonien, die hier ihre Strafe mit Zwangsarbeit verbüßen sollten.
Leutnant R.H. Colebrook dokumentiert zu dieser Zeit in seinen Aufzeichnungen:
„Es ist vielleicht ein Wunder, dass diese weite Insel, die von so vielen Schiffen passiert wird, bis jetzt so wenig bekannt ist. Während die Länder, die sie umgeben, seit jeher passable Zivilisationen aufweisen, blieb diese Insel in einem unberührten Zustand und seine Bewohner verharren in größter Ignoranz und Barbarei. Die raue Erscheinung der Küste und die grausame Gesinnung der Einheimischen sind wahrscheinlich der Grund, der die Seefahrer davon abgehalten hat die Inseln anzulaufen. Sie fürchten zu recht einen Schiffsbruch an den Andamanen mehr, als die Gefahren auf dem Ozean.“
Der Weg der Kolonialen Besiedelung war ein steiniger. Schon 1792 gab man auf Befehl von Kommandeur Port Cornwallis aus strategischen Gründen die erste Siedlung wieder auf und errichtete eine neue Siedlung in Nord Andaman. Dies erwies sich jedoch als Fehlschlag, denn dort hatten die neuen Siedler mit hohen Krankheitsraten zu kämpfen und starben sprichwörtlich wie die Fliegen. Nach 3 ½ Jahren gab man die neue Kolonie vorerst auf und überließ die Insel wieder den Moskitos und Ureinwohnern.
Erst 62 Jahre später wurde ein weiterer Versuch unternommen die Inseln erneut zu besiedeln. Auslöser war der Große Indische Aufstand von 1857 gegen die englische Kolonialmacht in Indien. Der für seine harten Methoden berüchtigte Gefängnisleiter James Paterson Walker wurde diesmal mit der Durchführung der erneuten Besiedelung beauftragt. Er kam mit einigen Aufsehern und 500 Sträflingen auf die Insel und wählte Chatham Island, nahe dem ursprünglichen Standort des heutigen Port Blair, als Standort für die Neuansiedlung aus. Schon nach drei Monaten wurde die Anzahl der Sträflinge auf 773 erhöht. Zum überwiegenden Teil waren die auf die Insel verschifften Inder politische Gefangene, die sich an der Rebellion gegen die britischen Imperialisten im Jahr zuvor beteiligt hatten. Die Probleme wurden auch dieses Mal nicht weniger. Aus Wassermangel wurde der Siedlungsbau erneut verlagert auf das nahe gelegene Ross Island. Schon kurz nach der Ankunft flohen 228 Häftlinge in den Dschungel. Nach der Überlieferung wurden 140 von ihnen von den Eingeborenen massakriert, starben an Malaria oder Hunger. Die restlichen 88 Flüchtlinge konnten wieder eingefangen werden und wurden auf Befehl Walkers erhängt. Ihre toten Körper warf man ins Meer. Nur einer entging dem Strang indem er sich zuvor selbst das Leben nahm.
Von Anfang an haben sich die Ureinwohner gegen die Besiedlung zur Wehr gesetzt. Dies mündete am 14. Mai 1859 in der sogenannten Schlacht von Aberdeen. Dudhnath Tiwari, ein entflohener Sträfling, der sechs Monate mit den Einheimischen zusammen gelebt hat, warnte die Siedler jedoch vor dem geplanten Angriff. Dadurch konnten sich die Briten auf den Überfall vorbereiten und die Siedlung retten.
Von jetzt an entwickelte sich die Besiedlung der Andamanen in rasantem Tempo. Schon 1901 beziffert die britische Kolonialmacht die Einwohnerzahl der neuen Siedler auf fast 25.000. Die Volkszählung 2011 ergab eine Einwohnerzahl von fast 380.000. Die Bevölkerung der Ureinwohner schwand im Gegensatz dazu, nachdem die ersten neuen Siedler auf die Inselgruppe kamen, ebenso rasant. So schätzte die Kolonialmacht 1857 die Anzahl der Ureinwohner noch konservativ auf 8.000 Menschen. Im Jahr 1901 dann auf 2.310. Heute geht man von weniger als 500 Ureinwohnern aus.
Bevölkerungsentwicklung der Andaman und Nikobar Inseln von 1857-2001
Jahr | Siedler | Ureinwohner |
1857 | < 1.000 | > 8.000 |
1901 | 24.649 | 2.310 |
1911 | 26.459 | 1.317 |
1921 | 27.086 | 903 |
1931 | 29.463 | 510 |
1941 | 33.768 | |
1951 | 30.971 | 323+ |
1961 | 63.548 | 748+ |
1971 | 115.133 | 431+ |
1981 | 188.741 | 422+ |
1991 | 280.661 | |
2001 | 356.265 |