Und keiner wird dich kennen. Катя Брандис

Und keiner wird dich kennen - Катя Брандис


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sind die Straßen nachts sowieso leer wie nach einem Atomkrieg.

      Die Nachtluft ist kalt und klar. Majas Atem hüllt sie in einen dünnen Nebel. Sie findet den Briefkasten auf Anhieb, und als sie den Brief eingeworfen hat, fühlt sie sich einen Moment lang wie befreit. Endlich kann sie Lorenzo Bescheid geben. Schon ärgert sie sich, dass sie ihm keinen längeren Brief geschrieben hat, dazu wäre doch jetzt Zeit gewesen. Doch dann fällt ihr die Warnung der Polizeibeamtin ein. Denken Sie daran – zu keinem ein Wort.

      Maja beißt die Zähne zusammen, dreht sich um und geht durch die dunklen Straßen zurück zum Haus von Frau Singerl.

      Wer ist Alissa?

      Das sieht ihr überhaupt nicht ähnlich, denkt Lorenzo in der Mensa der Schule, holt heimlich sein Handy hervor und versucht zum x-ten Mal, Maja zu erreichen. Überhaupt nicht. Entmutigt lässt er das Handy wieder in seine Tasche gleiten und stochert in seinem Essen herum.

      Ist es seine Schuld, dass sie sich nicht meldet? War das Erste Mal ein Schock für sie? War er dabei zu grob gewesen?

      „Du versuchst gerade, die Kartoffeln mit einem Löffel zu essen“, informiert ihn sein bester Freund Cedric. „Das ist zwar irgendwie originell, aber auch sehr ineffizient.“

      „Oh.“ Lorenzo legt den Löffel weg, stellt fest, dass er sowieso keinen Hunger hat, und schiebt das ganze Tablett von sich.

      „Ich wette, du hast gerade an Sex gedacht.“ Cedric pikt ein Stück Rahmgulasch auf, betrachtet es von allen Seiten verächtlich und schiebt es dann mit einer Grimasse in den Mund. „Echt eine Zumutung, was man hier an uns verfüttert.“

      Lorenzo starrt ihn an. „Woher hast du das gewusst? Das mit dem Sex, meine ich?“

      „Dein Blick“, meint Cedric. „Aber irgendetwas ist schiefgegangen, stimmt´s?“

      „Eigentlich nicht“, sagt Lorenzo unglücklich. „Oder jedenfalls dachte ich das. Wenn ein Mädchen danach Witze reißt, heißt das doch eigentlich, dass es ihr gefallen hat, oder nicht?“

      Cedric zieht nachdenklich die Augenbrauen zusammen. „Vielleicht wollte sie auch davon ablenken, dass du alles falsch gemacht hast. Oder sie war froh, dass es vorbei ist, was sich in unkontrollierbaren Heiterkeitsausbrüchen geäußert hat.“

      Lorenzo stöhnt.

      „Wahrscheinlich ist sie einfach nur krank und meldet sich deswegen nicht.“ Tröstend tätschelt ihm Cedric die Schulter. „Was wohl leider heißt, dass bei der Probe heute Nachmittag die Zweitbesetzung für sie einspringen muss. Am besten, wir beschaffen uns noch eine Drittbesetzung.“

      „Frag doch Liliana.“ Lorenzo schafft ein schwaches Lächeln. „Sie wird geschmeichelt sein und ihr unterhaltet euch endlich mal.“

      Das bringt Cedric kurz zum Verstummen, ein träumerischer Blick tritt in seine Augen. „Ich kann nicht einfach mit ihr reden. Das geht nicht. Sie ist ein höheres Wesen. Am besten, ich schreibe mal wieder ein Gedicht für sie.“

      „Hat sie auf das letzte geantwortet?“

      „Leider nicht.“ Der träumerische Blick verschwindet. „Vielleicht war sie einfach noch nicht reif dafür.“

      „Unterhalt dich einfach mit ihr“, drängt Lorenzo ihn und weiß, dass es wahrscheinlich vergeblich ist. „Stinknormaler Smalltalk reicht ja für den Anfang. Meinetwegen über das Wetter. Die Lehrer. Oder irgendeine Fernsehserie.“

      Cedric erbleicht. „Auf keinen Fall!“

      „Feigling.“

      „Ha! Das sagst ausgerechnet du! Wer hat versprochen, Frau Taardes zu sagen, dass sie Mundgeruch hat? Du hättest uns von einer biblischen Plage erlösen können, und nichts hast du getan!“

      „Ich hatte Angst, dass sie mich zur Strafe besonders heftig anhaucht und ich in Ohnmacht falle.“ Lorenzo grinst. Immerhin, die Frotzelei mit Cedric hat ihn abgelenkt, er fühlt sich weniger elend. Bestimmt hat sein Freund recht.

      Es ist völlig übertrieben, sich Sorgen zu machen.

      „Was ist jetzt?“ Lila schaut Maja an, und am liebsten würde Maja diesem Blick ausweichen, aber es geht nicht. „Bist du dabei? Ohne dich gehe ich natürlich nirgendwohin!.“

      „Ich weiß“, sagt Maja verzweifelt. „Aber ...“

      „Kein Aber mehr. Entscheide dich.“ Die Stimme ihrer Mutter klingt hart, aber ihre Augen sprechen eine andere Sprache, Maja sieht die Bitte darin. Lila hat den Arm um Elias gelegt und hält ihn ganz fest. Am liebsten würde Maja ihren kleinen Bruder jetzt ebenfalls knuddeln – ihm darf nichts passieren, niemals will sie ihn blutüberströmt auf irgendeiner Trage sehen so wie Lila. Oder im Krankenhaus auf der Intensivstation. Es gibt keine andere Möglichkeit: Sie müssen weg, und diesmal richtig.

      „Okay“, sagt Maja und wundert sich, wie gleichmäßig ihre Stimme klingt. „Machen wir es.“

      Elias jubelt, und Lila sieht furchtbar erleichtert aus, auch wenn unter ihrem Auge ein Muskel zuckt. Sie umarmen sich alle drei, schlingen die Arme umeinander und drücken sich, ein warmes wunderbares Menschenknäuel. Solange wir zusammenhalten, wird uns nichts passieren, denkt Maja und fühlt zum ersten Mal seit Tagen wieder neue Zuversicht.

      Dann wird ihr klar, was sie da gerade entschieden hat, dass sie gerade Lorenzo aufgegeben hat, und ihr ganzer Körper zieht sich zusammen. Tränen stürzen aus ihren Augen. Maja stolpert in Elias´ und ihr Zimmer, kriecht mit letzter Kraft aufs Bett und krümmt sich zusammen. Heftig bricht das Schluchzen aus ihr hervor. Lorenzo! Lorenzo!

      Ihre Mutter setzt sich neben sie, streichelt ihren Rücken, doch Maja dreht sich weg und schließlich seufzt Lila und geht wieder.

      Erst nach einer Ewigkeit fühlt Maja, wie sie langsam ruhiger wird. Nur noch ab und zu schüttelt sie ein Schluchzen. Ihre Augen brennen von den salzigen Tränen, ihr ganzes Gesicht fühlt sich verkrustet an. Apathisch bleibt sie liegen, sie will jetzt niemanden sehen. Blöderweise lässt sich dieses Zimmer nicht mal abschließen. Ganz leise hört sie durch die Tür, wie Lila mit jemandem telefoniert, wahrscheinlich mit der Polizei, damit jemand von der Zeugen- und Opferschutzabteilung mit ihnen Kontakt aufnehmen kann.

      Maja starrt an die Decke, damit sie das kitschige Foto-Poster nicht anschauen muss. Ihre Freunde haben jetzt Unterricht, erst Englisch bei Frau Taardes, danach Mathe. Und sie liegt hier im Niemandsland, herausgeschleudert aus dem Alltag ... nichts hätte sie jetzt lieber als ebendiesen Alltag, der vielleicht dröge und nervig ist, aber wenigstens ihr gehört. Ihr und Lorenzo.

      Hilft nichts, denkt Maja erschöpft. Hilft nichts. Find dich damit ab. Stell dir vor, er hätte mit dir Schluss gemacht. So was passiert doch dauernd. Damit wärst du auch irgendwie zurechtgekommen...

      Es ist Zeit, einen neuen Namen zu finden. Eigentlich hat ihr “Maja“ ganz gut gefallen, aber das ist halt Pech. Jetzt kann sie immerhin heißen, wie sie will, sie hat die freie Wahl. Und natürlich fällt ihr nichts ein, noch immer fühlt sie sich, als hätte jemand sie in flüssigen Stickstoff getaucht. Schockgefroren. Spröde und brüchig. Wenn sie jetzt umkippt, wird sie klirrend in kleine Stücke zerbrechen.

      Emily? Zoey? Ganz hübsch, aber noch nicht das Richtige. Lea? Chiara? Klingt auch toll, muss sie mal im Hinterkopf behalten. Celina? Fiona? Alissa? Sehr schön, aber das ist einfach nicht sie, wie soll das gehen, dass einer davon zu ihrem Namen wird?

      Nebenan, im Arbeitszimmer, liest Lila Elias aus seinem Vulkan-Buch vor, obwohl er eigentlich schon selbst lesen kann. Aber vielleicht ist das ein Ritual, das sie beide beruhigt. Ganz langsam, so als wäre sie krank gewesen, hebt Maja die Beine aus dem Bett und stellt beide Füße auf den Boden. Kurzer Blick auf die Uhr: die anderen müssen ohne sie zu Mittag gegessen haben, es ist schon zwei Uhr. Trotz allem hat sie Hunger. Maja geht nach nebenan, in das ungemütliche Arbeitszimmer. Mit fragenden, etwas besorgten Blicken schauen Lila und Elias zu ihr hoch. Maja versucht zu tun, als


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