Schattenchance. Maya Shepherd
ich dennoch Mitleid mit ihr.
„Was ist jetzt? Kommst du mit oder lässt du mich auch hängen?“
Egal, ob ich sie begleitete oder nicht, sie würde zu dieser Einweihungsparty gehen. Besser ich wäre dabei und wer wusste schon, vielleicht würde es unserer schwesterlichen Beziehung ganz gut tun, wenn sie wusste, dass sie sich auf mich verlassen konnte. Ich erhob mich vom Bett und nahm den Blazer, den sie für mich rausgesucht hatte, an mich. „Gib mir fünf Minuten“, bat ich sie und verschwand im Badezimmer.
Als wir etwa eine Stunde später mit meinem Triumph Dolomite in die Straße einbogen, in der das neue Anwesen der Fomori lag, war bereits alles vollgeparkt. Autos teurer Luxusmarken reihten sich aneinander und parkten bereits in zweiter Reihe. Doch weder laute Musik noch Menschenhorden waren in dem Anwesen zu erkennen. Alles wirkte erschreckend ruhig.
„Wir können hier nirgends parken. Am besten fahren wir wieder nach Hause“, versuchte ich Eliza zu überreden, aber die zeigte sich unbeeindruckt.
„Wir parken bei Dairine im Innenhof“, meinte sie und deutete auf das gusseiserne Tor. Langsam ließ ich meinen Wagen zu der Sprechanlage rollen. Ich brauchte jedoch nicht einmal zu klingeln und mein Anliegen vorzubringen. Der Wachmann musste mein Auto bereits erkannt haben und ließ uns deshalb, ohne weiter nachzufragen, passieren.
Kaum, dass der Dolomite stand, wollte Eliza auch zum Nachbargrundstück laufen. Ich konnte sie gerade noch bremsen. Wenn wir schon bei Dairine parkten, mussten wir ihr wenigstens kurz Hallo sagen. Auf dem Weg zur Eingangstür kam uns der Wachmann entgegen.
„Hallo Winter“, grüßte er mich höflich. „Du bist spät dran.“
Irritiert runzelte ich die Stirn. „Wofür spät?“
„Du bist doch sicher auch wegen der Einweihungsparty da, oder?“
„Ja, warum?“
„Dairine ist schon vor über einer Stunde mit ihrem Vater aufgebrochen. Aber wenn du drüben sagst, dass du zu ihnen gehörst, lassen sie euch bestimmt auch rein.“
Es war, als wehe mir ein kalter Windzug mitten ins Herz - Dairine und ihr Vater waren bei den Fomori. Ich ahnte nichts Gutes. Der Wachmann schien mir meine Sorge anzusehen. „Ist irgendetwas nicht in Ordnung?“
„Doch, alles gut“, rief Eliza aus und hakte sich bei mir unter. „Wir sehen dann mal zu, dass wir zur Party kommen. Danke für die Auskunft!“ Und damit zog sie mich mit sich.
Kaum, dass wir außer Hörweite waren, sagte ich alarmiert: „Wir müssen Dairine suchen!“
„Oder so tun als ob“, stimmte sie mir zu. „Sie ist unsere Eintrittskarte!“
Ich legte meine Hand auf ihre und sah ihr bedeutsam in die Augen. „Nein, Eliza, wir müssen sie wirklich suchen! Dieser Charles Crawford ist gefährlich.“
Sie nahm mich wie üblich nicht ernst. „Und das weißt du woher?“
„Bitte, Eliza! Vertrau mir einfach!“, flehte ich meine Schwester an. Für einen kurzen Moment geriet sie ins Wanken, aber mit einem Blinzeln schob sie sämtliche negativen Gedanken beiseite. „Das ist eine Einweihungsparty und keine Sexorgie“, lachte sie mich aus. „Aber wenn du so ein Angsthase bist, kannst du gerne im Auto auf mich warten.“
Zielstrebig ging sie auf den Security zu, der vor den großen Flügeltüren Wache stand. Sie wollte ihm gerade erklären, dass sie eine Freundin von Dairine sei, doch noch ehe sie auch nur ein Wort gesagt hatte, öffnete er ihr bereitwillig die Tür. Mich musterte er jedoch argwöhnisch. „Gehört sie zu Ihnen?“, fragte er meine Schwester.
Sie sah verwundert zwischen ihm und mir hin und her, bevor sie triumphierend grinste. Für einen Augenblick fürchtete ich, dass sie behaupten würde, mich nicht zu kennen, doch dann meinte sie: „Ja, sie ist meine Schwester.“
Er sah Eliza etwas verwundert an, aber öffnete uns dennoch die Türen. Ängstlich klammerte ich mich an meine Schwester, die mit vor Stolz geschwellter Brust in den Empfangsbereich eintrat. „Siehst du, Rhona hat mich doch auf die Gästeliste gesetzt!“, meinte sie glücklich zu mir. „Sie muss dem Security sogar ein Bild von mir gegeben haben, woher wusste er sonst, wer ich bin?“
Ich glaubte nicht, dass er wusste, wer sie war, sondern was sie war. Der Security war mit Sicherheit selbst ein Schattenwandler und gehörte den Fomori an. Erfahrenen Schattenwandlern war es möglich, andere Schattenwandler zu erkennen, deshalb hatte auch Liam die Augen nicht von Eliza lassen können.
Auch in dem Gebäude war es relativ ruhig, dafür, dass hier eine Party stattfinden sollte. Vereinzelt saßen oder standen Personen in kleineren Gruppen zusammen. Sie unterhielten sich nur gedämpft oder sprachen sogar gar nicht miteinander. Das aufwendig arrangierte Buffet vor der großen Fensterfront im Wohnzimmer wirkte völlig unberührt. Achtsam hielt ich Ausschau nach Charles oder Rhona, doch mir waren alle anwesenden Personen völlig unbekannt. Diese schienen nicht einmal Notiz von uns zu nehmen. Sie hoben nicht einmal den Kopf, wenn wir an ihnen vorbeigingen. Auch Dairine oder ihren Vater konnte ich nirgends entdecken, was mich etwas beunruhigte.
Eliza nahm sich ein Glas Champagner und drehte sich im Kreis. „Was für ein Haus!“, staunte sie. „Stell dir mal vor, wir würden in einer Villa leben!“
Ich sagte ihr nicht, dass sie vor gar nicht allzu langer Zeit bereits in so einem Anwesen gelebt hatte, es für sie aber ein Gefängnis gewesen war und sie es dort verabscheut hatte. Stattdessen zog ich sie zu mir und raunte: „Findest du nicht, dass sich die anderen Gäste etwas seltsam benehmen?“
Erst jetzt schien sie die anderen Menschen überhaupt erst wahrzunehmen, die teilweise geradezu apathisch vor sich hinstarrten. Ihr erfreuter Gesichtsausdruck verdunkelte sich. „Was ist mit denen los?“, wunderte sie sich.
„Wäre es möglich, dass jemand von ihren Gefühlen getrunken hat?“
Entsetzt sah sie mich an. „Du meinst, hier sind andere Schattenwandler, abgesehen von Rhona?“
„Es sieht ganz danach aus!“ Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr und fuhr herum. Rhona betrat in Begleitung eines Mannes den Raum. Während sie aufrecht vorausging, taumelte der Mann hinter ihr her, als hätte er jede Orientierung verloren. Es war Dairines Vater.
Als Rhona uns entdeckte, erstarrte sie, löste sich in Nichts auf und tauchte direkt vor uns wieder aus den Schatten auf.
„Was macht ihr hier?“, fuhr sie uns zornig an. „Verschwindet! Sofort!“
Eliza verschränkte verletzt die Arme vor der Brust. „Was ist das hier für eine Veranstaltung? Warum verheimlichst du mir die anderen Schattenwandler?“
„Mach, dass du wegkommst!“, zischte Rhona und ließ sich auf keinerlei Diskussionen ein. Ich lief an ihr vorbei zu Dairines Vater und stützte ihn. „Mr. Cooper, können Sie mich hören?“, schrie ich ihn an. Er wandte mir verschlafen den Blick zu und schien überlegen zu müssen, wen er vor sich hatte. Rhona musste von seinen Gefühlen getrunken haben und das nicht zu wenig.
„Was macht ihr mit den ganzen Menschen?“, schrie ich meine Tante fassungslos an und deutete um mich herum.
Rhona schoss auf mich zu und packte mich am Oberarm. „Hör auf zu schreien!“ Sie schleifte mich mit sich zurück zu Eliza. „Ihr verschwindet jetzt!“
Ihre andere Hand schloss sich um Elizas Handgelenk. Ihr Griff war übernatürlich stark und so fest wie ein Schraubstock, ein Entkommen war unmöglich. Unnachgiebig zerrte sie uns hinter sich her. Doch nicht zu dem Haupteingang, durch den wir gekommen waren, sondern zu einem Seiteneingang durch die Küche. Dort störten wir einen Schattenwandler bei seinem Mahl, der gerade dabei war, die Gefühle einer Frau zu trinken. Doch er schien von uns genauso wenig Notiz zu nehmen wie sein Opfer.
Meine Tante jagte uns förmlich von dem Anwesen und blieb erst stehen, als wir im Schutz eines Baumes vor Dairines Zuhause ankamen. „Diese Straße ist für euch von heute an tabu! Ihr werdet einen weiten Bogen darum machen, haben wir uns verstanden?“