Palmer :Black Notice. Stephan Lake

Palmer :Black Notice - Stephan Lake


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hatte sich herausgestellt, wer der anonyme Anrufer war und ebenso schnell war klar, warum er seinen Namen nicht genannt hatte. Die Entscheidung, ob Mark ihm helfen wollte, hatte ihm der Anrufer abgenommen. Du schuldest mir das. Sie hatten gesprochen, dann hatte Mark seine Sekretärin angewiesen, alle Termine für die kommenden Tage abzusagen. Ihren fragenden Blick hatte er unbeantwortet gelassen.

      Er hatte von seinem Konto eine größere Summe Bargeld abgehoben, war damit nach Chinatown gefahren und hatte das Geld deponiert. Dann war er nach Hause.

      Beim Abendessen hatte er Linda von einem Anrufer berichtet, für den er in den nächsten Tagen einige Dinge tun musste. Die wenigen Einzelheiten, die er selbst kannte, auch den Namen des Anrufers, sparte er aus. Es gab keinen Grund, sie zu beunruhigen. Linda war seit fast fünfunddreißig Jahren seine Frau. Sie wusste von vielen Dingen, die er getan hatte, von noch mehr Dingen aber wusste sie nichts. Und Linda hatte gelernt, nicht zu fragen, sondern mit der Angst um sein Leben zurechtzukommen. Weil er es so von ihr verlangte.

      „Wann sehen wir uns wieder?“

      Er hatte den Revolver eingesteckt und nicht geantwortet. Er wusste es selbst nicht.

      Mark drehte das Handgelenk. Seine Uhr zeigte zehn. Der Anrufer war spät. Er fischte den Teebeutel aus dem Glas, legte ihn, da er nicht wusste, wohin sonst, auf die Servietten, nippte an seinem Getränk, war überrascht und nippte erneut.

      Musterte wieder die Menschen um ihn herum und draußen.

      Er sah den Anrufer auf das Café zukommen.

      2

      Zwei Tische von Mark entfernt saß Carolin Yu vor einem Glas Latte Macchiato mit viel Schaum. In der Hand hielt sie ein Modemagazin, in das sie scheinbar vertieft war. Sie war zwei Stunden zuvor nach einem mehr als zwanzigstündigen Flug aus New York kommend in Singapur gelandet und auf direktem Weg vom Flughafen zu diesem Café gefahren. Ihre Zielperson wollte sich hier mit einem Mann namens Mark Li treffen. Li, so stand in dem Dossier ihrer Abteilung, war chinesischer Staatsbürger und ehemaliger Spion des chinesischen Ministeriums für Staatssicherheit. Und er war der ehemalige Chef ihrer Zielperson.

      Carolin streckte ihren müden Rücken, nahm wieder ihr Telefon aus der Handtasche und guckte auf das Display und steckte es wieder ein.

      Sie hatten sie für diese heikle Mission ausgesucht, weil sie drei besondere Eigenschaften besaß: Erstens fiel sie aufgrund ihrer Herkunft in Singapur nicht auf, zweitens sprach sie, wie ihre Zielperson, Mandarin und Kantonesisch. Und drittens – und als ihr Boss das sagte, war sie schon ein bisschen stolz – „bist du eine der verdammt besten Mitarbeiterinnen, die die amerikanische Heimatschutzbehörde je hatte“.

      Ihr wurde gerade der zweite Latte serviert, da war Mark Li ins Café gekommen, hatte sich an den Ecktisch gesetzt, das Gesicht mit einem Tuch abgewischt, bestellt, die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt, an seinem Tee genippt. Schlank, drahtig, die gebräunte Haut nahezu faltenlos, schwarzes, volles Haar, nur wenig Grau. Li sah jünger aus als die sechzig Jahre, die er ihren Informationen nach war.

      Obwohl seit fast neun Jahren Soziologieprofessor an einer der Universitäten der Stadt und ebenso lange nicht mehr aktiv, musste sie davon ausgehen, dass Mark immer noch Profi genug war, ihr den Job schwer zu machen. Für sie bedeutete das, vorsichtig zu sein und so zu tun, als ob sie sich für nichts auf dieser Welt interessierte außer für ihr Modemagazin und ihr Getränk.

      Ihr fiel das nicht schwer. Sie hatte eine Schwäche für Latte Macchiato, die einzige Ausnahme in ihrer ansonsten kalorienarmen Diät, sie liebte Modemagazine, und sie war entspannt, wofür es einen guten Grund gab.

      Denn wenn alles gut gegangen war, und daran zweifelte sie nicht, dann war ihre Zielperson bereits vor einer knappen Stunde festgenommen worden und saß jetzt in einem Flugzeug mit Kurs in ein Land, das keine Fragen stellte, wenn Agenten der Heimatschutzbehörde mit einem Gefangenen einreisten.

      Li würde dann vergebens warten und nie erfahren, was ihre Zielperson erfahren hat.

      Und sie, ja, sie könnte sich einen freien Tag in einer der schönsten Städte der Welt gönnen und vielleicht sogar das eine oder andere Kleidungsstück aus diesem Magazin anprobieren, das sie aus dem Flugzeug mitgebracht hatte. Sie wartete nur auf die Meldung ihrer Leute.

      Und zum vierten Mal innerhalb der vergangenen Stunde guckte sie auf ihr Telefon. Und zum vierten Mal hatte sie keine Nachricht.

      Was war los, verdammt?

      Und dann unterlief ihr ein dummer, dummer Fehler.

      Denn noch während sie ihr Telefon wieder einsteckte sah sie ihre Zielperson in das Café kommen.

      Und Carolin Yu, eine der verdammt besten Mitarbeiterinnen von Homeland Security, konnte für einen kurzen Moment ihr Erstaunen nicht unterdrücken.

      Mark hatte die Chinesin wahrgenommen, selbstverständlich. Dreißig Jahre alt, sehr schlank, elegant gekleidet mit einem Kostüm aus dunkelblauer Seide und passenden dunkelblauen Stiefeletten mit hohen Absätzen. Eine sehr attraktive Frau. Er hatte beobachtet, wie sie einen Kaffee bekam mit einer fast überquellenden Schaumkrone und ihr Mobiltelefon auf Nachrichten überprüfte und schließlich in einem Modeheft zu blättern begann und dabei gelegentlich ihren Rücken streckte, als wäre sie müde. Ihm war aufgefallen, dass sie zwar eine Handtasche und eine kleine Reisetasche, aber keine Einkaufstüte bei sich trug. Was ungewöhnlich war auf der Orchard Road, aber nicht so ungewöhnlich, dass er misstrauisch geworden wäre. Er hatte sie dann nicht weiter beachtet.

      Bis zu dem Moment, als der Anrufer vom Morgen in das Café kam und er im Gesicht der Chinesin für einen Augenblick den vollendeten Ausdruck des Erstaunens sah.

      3

      „Măkè, nin hăo ma?“

       Mark, wie geht es Ihnen?

      Die Begrüßung nicht auf Kantonesisch sondern in seiner Muttersprache Mandarin und wie früher mit dem respektvollen ’nin’. Ein gutes Zeichen. Andrew Wang wollte offensichtlich seinen Respekt zeigen.

      Mark stand auf. „Wo hen hăo, wo hen hăo, Āndélu. Nin bàba māma hăo ma?“

       Mir geht es gut, mir geht es gut, Andrew. Wie geht es Ihrem Vater und Ihrer Mutter?

      Wang streckte ihm die Hand hin und quittierte seine höfliche Frage nach den Eltern mit einem Kopfnicken. „Tāmen dōu hen hăo. Xièxie.“

       Beiden geht es gut. Danke.

      Mark griff die Hand seines früheren Mitarbeiters und drückte sie. Er spürte, wie Wang zuckte.

      „Setz dich“, sagte Mark, auf den Stuhl gegenüber deutend. „Was trinkst du?“ Er winkte dem Kellner.

      Wang verlangte einen Eiskaffee. Der Inder ging, ohne Wang die gefüllten Nudeltaschen zu empfehlen und brachte kurz darauf den Eiskaffee und ein Glas Wasser, von dem Wang sofort trank.

      Mark schaute nach der jungen Kellnerin und sah sie immer noch schlafend auf ihrem Stuhl neben der Theke.

      Die Chinesin mit der Reisetasche blätterte wieder in ihrem Heft.

      „Es ist gut, dich zu sehen, Mark.“

      Mark sah Wang an und nickte. „Dich auch.“

      Wie Wang vor ihm saß, dünner als früher, fast mager, das Gesicht zerfurcht, die Augen tief in ihren Höhlen, der Kopf jetzt völlig kahl. Der Oberkörper gebeugt, die Ellbogen auf den Tisch gestützt. Sein Handschlag war schwach gewesen wie der eines Kindes. Beim Trinken hatte das Glas gezittert.

      „Wie geht es dir, Andrew?“

      Wang zog ein Päckchen Zigaretten aus der einen Hosentasche, fingerte einen Stängel heraus, mühsam und umständlich, zog ein Feuerzeug aus der anderen Tasche. Erst nach mehreren Versuchen kam die Flamme. Dann lehnte er sich zurück und atmete tief den Rauch


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