Felix Morak / Meschkas Enkel. Helmut H. Schulz
an dem Transistorradio, das mit einem Gummiband am Armaturenbrett festgemacht worden war, aber der Apparat fing nur Störgeräusche auf. Am Rückspiegel baumelte als Maskottchen ein Miniaturskelett aus Plast; in einer aufgeklebten Lederhülle befand sich eine angebrochene Schachtel Zigaretten, und zwei Passfotos von weiblichen Personen in winzigen Bilderrahmen klebten auch noch an der Windschutzscheibe. Offenkundig verbrachte der Mann so viel Zeit in der Fahrerkabine, daß er sich einen Heimersatz geschaffen hatte, wenn auch einen dürftigen.
»Bei diesem Gewitter wirst du wohl kein Glück haben, Hanna«, sagte er nun zu dem Mädchen, auf das schnarrende Radio weisend, »mach es man aus!«
Sie gehorchte sofort, wie erschrocken oder bei etwas Verbotenem ertappt. Ihr Haar war offenbar einem Frisör anvertraut worden, der ihr zwar dichtes, aber stumpfes, wie leblos wirkendes Haar in aschfarbene Locken und Wellen verwandelt hatte. Trotz der glänzenden blauen Augen und einem ausgeprägten großen Mund entstand für den, der diese Hanna zum ersten Mal sah, nicht das Bild eines regelmäßigen, normalen Gesichtes, sondern der Eindruck von etwas Unlebendigem, aber welcher Art der Mangel war, ließ sich auf den ersten Blick nicht erkennen. Häufiger als nötig und wie verängstigt suchte sie die Berührung des Mannes neben sich; er schien sich in seiner Rolle als ihr Beschützer eingelebt oder sich zumindest daran gewöhnt zu haben, nickte ihr oft zu und lächelte freundlich oder beruhigend.
»Macht dir das Spaß?« Er deutete auf die Straße und meinte offenbar das Fahren mit einem Auto wie dem seinen, einer alten Karre, mit der er seinen Lebensunterhalt verdiente, von Kohlen bis zu Baumaterial transportierte, was auf der Ladefläche Platz fand, also so gut wie alles. Befriedigt las er ihr das Ja von den Lippen; sie lehnte den Oberkörper ohne den Ansatz von Mädchenbrüsten ganz zu ihm hinüber und drückte seine Hand auf dem Steuer.
»Schon gut«, sagte Morak, überließ ihr die Hand für einen Augenblick und fing einen spöttischen Blick der anderen Frau auf, die diese Szene mehr hämisch als aufmerksam verfolgt hatte.
»So ein Theater, das muss man gesehen haben. Du machst dich mit deiner Affenliebe ja zum Gespött der Leute, hast es schon fertiggebracht, daß sie alles Mögliche vermuten.«
»Was denn vermuten?«, fragte er. »Sollen vor ihrer Türe kehren.«
»Ach, ja, setz dich man darüber hinweg!«
Nach diesem kurzen schroffen Dialog lehnte sich die Frau zurück und sah rechts aus dem Fenster auf die vorbeifliegende Landschaft. Trotz der Wärme im Fahrerhaus trug sie einen Pelz, hatte nur die dazugehörende Kappe abgenommen und hielt sie auf ihrem Schoß verwahrt. Eine kleine Reisetasche stand zwischen ihren Füßen. In dem rundlichen, angenehmen aber einfältigen Gesicht mit Porzellanaugen fanden sich keine Runzeln; freundlich schwellende Fettpolster verbargen die Falten, die ihr Alter verraten hätten. Lachte sie, dann legten ihre Lippen zwei Reihen ungemein weißer und falscher Zähne bloß. Diese geborgte Jugendlichkeit paarte sich mit einem gezierten eitlen Gehabe. Aber die feinen dunklen Brauen über den dunkelblauen runden Augen hätten leicht einer jüngeren, liebedürftigen und zärtlichen Frau gehören können, und der zu diesem Gesicht passende Körper konnte nur pummelig sein. Die kleinen Patschhände mit den Grübchen spielten mit der Pelzkappe.
»Wenn dir nicht mal deine Schwägerin die Wahrheit sagen darf, Felix«, fuhr sie fort, »also schön, deine ehemalige Schwägerin, wer sollte es denn sonst tun? Von wem lässt du dir schon was sagen, Felix?«
Er lachte selbstgefällig, drehte den Kopf zu ihr, aber hinter der Sonnenbrille, die er sich inzwischen aufgesetzt hatte, weil die Sonne hervorgekommen war und die nasse Straße erglänzen ließ, konnte sie den Ausdruck seiner Augen nicht erkennen. So leicht zu erschüttern war er nicht: »Sag du nur ruhig deine Wahrheit, Schwägerin!«
Er schaltete herunter und lenkte den Wagen vorsichtig über die Gleise, welche die Straße kreuzten; hier begann die Kreisstadt, ihr Ziel. In einer Nebenstraße stellte er den Wagen ab. »Wir sind da, gnädige Frau, steig aus«, er zog den Schlüssel ab, der Motor verstummte. Den Oberkörper herumdrehend, nahm er die Brille ab und nestelte seinen Anorak vom Haken an der Rückwand der Kabine.
»Steig aus, Hanna!«, befahl er und wieder gehorchte das junge Ding sofort. Auch die Schwägerin Moraks raffte ihre Sachen zusammen, Pelzkappe und Reisetasche, und kletterte aus der Fahrerkabine. Morak verschloss die Türen und alle drei gingen langsam zur Hauptstraße.
Kapitel 2
Der Regen hatte aufgehört, aber die Schwüle wurde trotz des aufkommenden Sturms kaum gemildert. Der Frau im Pelzmantel standen Schweißtropfen auf der Stirn, die sie alle Augenblicke mit einem Taschentuch wegwischte; verdrossen öffnete und schloss sie das für die Jahreszeit zu warme Kleidungsstück.
»Das Wetter macht einen ganz konfus.«
Morak nickte und nahm ihr die Reisetasche ab. Sein Handgepäck bestand aus einem Koffer. Hanna trug ihre Sachen in einem Rucksack. Die kleine Gruppe hielt einen Augenblick unter einer mächtigen alten Linde, um deren Stamm eine Sitzbank herumführte, um die zu erwartende nächste Regenböe abzuwarten. Vor ihnen dehnte sich ein streng abgezirkelter viereckiger Platz, der mit zweistöckigen alten Gebäuden gleichförmig bebaut worden war und von der Pfarrkirche beherrscht wurde.
»Sag endlich, was du vorhast, Felix! Was tun wir hier?« fragte die Schwägerin.
»Mach den Anorak zu, Hanna«, sagte Morak im gleichen beruhigenden Ton wie zuvor im Auto, und wie vorhin, tat das Mädchen augenblicklich, was er ihr befohlen hatte, zog aber den Reißverschluss bis ganz nach oben.
»Mein Gott, dieses Trampel«, stieß die ältere Frau hervor. »Es geht ja nicht nach Sibirien.« Sie reichte Morak bis an die Schulter, der Pelz ließ ihre Figur kugelig oder unförmig erscheinen, aber sie trug hochhackige WinterstiefeI, über deren Schäfte ein dicker Wollrock fiel. Alles zusammen ergab eine recht merkwürdige unpassende Zusammenstellung.
»Was sind das bloß für Einfälle«, fuhr sie fort. »Das schöne alte Haus zu verkaufen, in dem meine arme Schwester geboren wurde, und in dem wir Geschwister alle aufgewachsen sind! Übrigens hast du gar kein Recht, es zu verkaufen. Ich hoffe, du kannst mir in die Augen sehen und mir erklären, wie du mit unserem Erbe umzugehen gedenkst! Ah, ja, du willst eine Frau suchen, vielleicht auch noch eine jüngere; da wirst du lange graben müssen, ehe du eine findest, die sich mit diesem Kalb da behängt. Daß ich nicht lache! Ist doch wahr!«
Morak, der dieses Gerede nicht ernst nahm, sagte versöhnlich: »Schwägerin Isolde, du hast es heute aber schwer mit den Wahrheiten. Lass uns gehen, es hat aufgehört zu regnen; komm man, ehe es wieder anfängt.«
Ihr selber vielleicht unbewusst, tat die Schwägerin, was er empfohlen hatte. Alle drei verließen also den Platz unter der schützenden Linde. Morak voran; er trat mit ganzer Sohle auf, und sein Gang hatte etwas Schwerfälliges, aber zugleich Rasches, Treibendes, daß Isolde Mühe hatte, an seiner Seite zu bleiben; sie kam bald außer Atem. Nur Hanna hielt Schritt mit ihm.
»Ich sage ja nichts«, fuhr Isolde leicht außer Atem fort, »gut, meine Schwester hat dir unser Haus zu Lebzeiten vermacht, daran ist nichts zu ändern, aber schließlich ist es mein Vaterhaus, viel mehr war es das. Sag wenigstens, wohin wir jetzt gehen, du Satan!«
»Wir gehen ins Hotel«, sagte Morak. »Ins Hotel? Und wozu? Bist du bei Troste? Wo wir bei meiner Schwester um die Ecke wohnen könnten? Für wie lange sollen wir dort bleiben? Denkst du, ich habe ewig Zeit? Übrigens, hast du den Anwalt ins Hotel bestellt?«
Da er schwieg: »Ich muss sowieso zu meiner Schwester, wir haben uns seit der Beerdigung unserer Maria nicht gesehen. Greta wird natürlich wissen wollen, was denn nun aus unserem Haus wird. Ihr wird die Spucke wegbleiben, wenn sie hört, daß du es verkaufen willst oder schon verkauft hast! Wozu du gar nicht berechtigt bist. Na, du kannst einen zur Verzweiflung treiben, Felix.«
Morak, der sie gut kannte und für weniger habgierig hielt, als sie sich gab, schob seine freie Hand unter ihren Arm, und sie winkelte sofort versöhnt den Unterarm an, in der Hoffnung, daß ihre Neugierde gestillt werde und daß sie ihren Willen bekam. Es sah aus, als wandelten da zwei friedliche Leute,