Walpurgisnackt. Sara Jacob

Walpurgisnackt - Sara Jacob


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machte Haribald unwillkürlich, rutschte über den Boden, blieb an einer Wurzel hängen und brachte stolpernd die Kutsche zum Stehen.

      Die Männer schlugen mit den Knüppeln in ihre offenen Handflächen, der eine kaute auf etwas herum und spuckte einen braunen Strahl vor Haribald auf den Boden. Haribald wagte nicht einmal zu keuchen, nur die Vögel zwitscherten hämisch, als hätten sie es gewusst.

      »Her«, sagte der erste Mann nur. Er war größer als der andere, dünner, und als er sprach öffnete sich hinter seinen Lippen eine dunkle Kalksteinhöhle, in die gelbbraune Stalaktiten und Stalagmiten ragten. Der andere Mann, um einiges dicker, genauso unrasiert und dreckig, kaute seelenruhig weiter.

      »Was ist, Haribald, warum bleibst du stehen?«, fragte Bechstein, als würde er die Wegelagerer überhaupt nicht sehen. Haribald drehte sich mit weit aufgerissenen Augen um, wollte dem Alten sagen, ihr letztes Stündlein habe gerade geschlagen und anfangen, panisch zu schreien, als Bechstein zu lächeln begann.

      »Ach, Ihr seid es«, sagte er. »Wie laufen die Geschäfte?«

      »Geld, Fmuck und die Klamotten, aber fackig, ne«, sagte der Lange ungerührt.

      »Euer letzter Überfall hat sich weit herumgesprochen, ich hatte schon Angst um Euch. Wie ist es Euch denn so ergangen?«, fragte Bechstein wieder mit fester Stimme. Haribald war kurz davor, schreiend die Flucht in den Wald zu ergreifen.

      Der Dicke sah seinen Kompagnon von unten an.

      »Du kennst den, Gebhard?«

      Der Lange sah zum Dicken hinunter, doch bevor er etwas sagen konnte, klatschte Bechstein in die Hände. »Ich habe Euch ja bereits letzte Woche etwas für die freie Fahrt gezahlt, Gebhard, und hoffe, Ihr zwei habt das Geld gut verwendet.«

      Jetzt runzelte der Lange die Stirn. Ein Stück Dreck fiel auf seine Nase.

      »Welches Geld?«, fragte der Dicke.

      »Na, das Geleitgeld für die Passage durch Euren Wald«, sagte Bechstein verwirrt. »Ihr habt es ihm doch gesagt, Gebhard, oder nicht?«

      Der Lange räusperte sich und schien zu überlegen. In Haribalds Blick flackerte weiterhin Panik, der Professor hob die Hände, um seiner Ratlosigkeit Ausdruck zu verleihen. Ein Gedanke riss den langen Räuber aus der Überlegung.

      »Und wenn ef fo if‘, ne, dann fahlft du halt nochmal, ne«, blaffte er. Der Dicke hob den Blick voller Misstrauen.

      »Hast du mir schon wieder was unterschlagen?«

      Der Lange legte den Kopf schief, biss die letzten zwei Zähne zusammen und starrte den Dicken verkniffen an. Seine Keule hing locker an seiner Seite.

      »Hör fu, Ferdinand, du haft wieder diefen Ton, den ich nicht mag. Natürlich hab‘ ich dir nichtf vom Geld gegeben, weil ef gar kein... »

      »Ich glaube es nicht. Natürlich, sagt er, natürlich habe ich dir nichts vom Geld gegeben. Hast du das gehört?«, sagte Ferdinand zu Haribald, der sich vergeblich an einem Lächeln versuchte. Der Lange packte den Dicken am Kragen und zog ihn zu sich heran. »Wirft du mich wohl aufreden...«

      »Du kotzt mich an mit deinen Ausreden. Seit drei Monaten höre ich mir das jetzt an. Du hast den Braten essen müssen, weil er sonst schlecht geworden wäre, du hast den letzten Schluck Wein nur getrunken, weil man Kopfschmerzen davon kriegt, und die wärmere Decke ist angeblich viel zu kratzig!«, fauchte Ferdinand. »Und jetzt unterschlägst du mir auch noch Geld, du elender Lump.«

      »Ich hab‘ daf Geld nicht unterflagen...«, fauchte Gebhard zurück und hob die Keule. Mit katzengleicher Wendigkeit, die sowohl Haribald als auch den Langen überraschte, drehte sich der Dicke um die eigene Achse und schlug dabei dem Langen die Faust in den Bauch.

      Als der zusammenklappte und sich sein Gesicht auf gleicher Höhe wie das des Dicken befand, holte dieser aus, um ihm ordentlich aufs Maul zu hauen, seine Faust landete jedoch in der reaktionsschnell erhobenen Hand seines Gefährten.

      Zwei Schläge: Faust traf Kinn, Keule traf Fuß, zwei Schreie, wütendes Fluchen. Anschließend ging die Klopperei los. Der Lange und der Dicke hieben mit Füßen, Fäusten und den Knüppeln aufeinander ein. Dazwischen beschimpften sie sich als Lügner, Betrüger, Räuber, Kameradenschwein und Abschaum.

      »Haribald, trab an«, sagte Bechstein. Darauf hatte sein Assistent nur gewartet. Sie ließen das Räuberduo links liegen. Als sie um die nächste Biegung rollten, beruhigte sich endlich Haribalds Herzschlag.

      »Wie viel habt Ihr ihm denn gezahlt, Herr Professor?«

      »Nichts, mein Junge, natürlich nichts.«

      »Ihr sagtet...«

      »Schlagen sie nicht gleich zu, hat der Reisende eine Chance. Denn rhetorisch, mein Junge, sind uns diese Halunken immer unterlegen. Der Mensch ist einfach schrecklich naiv.«

      Bechstein rieb zufrieden sein glattrasiertes Kinn und lehnte sich zurück. »Das Wort, mein lieber Haribald, ist stets mächtiger als das Schwert.«

      Die nächsten Stunden begleitete sie das Zwitschern der Vögel und fleckiges Sonnenlicht, der Weg unterbrochen von einigen Lichtungen, manchmal liefen ein Reh oder ein Wildschwein von Waldsaum zu Waldsaum. Schließlich wichen die Bäume zurück, und hinter einer Gruppe alter Eichen führte der Weg aus dem Wald. Links und rechts lagen im Sonnenlicht Felder, auf denen die Saat bereits eine Handbreit aufgegangen war. Der Weg führte leicht bergauf. Haribald geriet rasch ins Schwitzen, dann kamen Häuser in Sicht.

      Ein kleiner, schmutziger Junge am Wegesrand sah die beiden, hüpfte vergnügt und lief nebenher.

      »Warum ziehst du denn die Kutsche?«, wollte das Kind wissen. Haribald hatte keine Kraft mehr für ein Lächeln. Nach dem ersten Gehöft ließ er die Kutsche ausrollen, machte letzte Schritte und stand still.

      »Ist das hier Thale?«, fragte Professor Bechstein. Der Junge mit dem schmutzigen Gesicht schien zu überlegen. Haribald fragte sich, ob das Dorf hier überhaupt einen Namen hatte.

      »Mama«, rief das Kind, machte auf der Stelle kehrt und rannte über die schlammige Straße in das nächste Haus. Ein paar Hühner flatterten umher, hinter einem Zaun stierte eine Kuh herüber. Drei oder vier Gehöfte lagen am Weg, dahinter klapperte eine Mühle an einem Bach, und erst dort, wo der Wald wieder dichter wurde, konnte Bechstein den Turm einer kleinen Kirche erkennen. Zwei weitere ärmliche Häuser scharten sich um den Platz davor.

      Aus dem Haus, in dem der Junge verschwunden war, kam eine junge aber erschöpft aussehende Bauersfrau. Ihr zerrissenes Hemd stand halb offen und ließ die Ansätze runder, schwerer Brüste blitzen.

      »Was wollt Ihr denn?«, fragte sie. Haribald ertappte sich bei der Vorstellung, wie sie wohl ganz ohne Rock und Schürze aussah. Bechstein stieg ächzend von der Kutsche, Haribald streifte das Geschirr ab, ließ den Kutschkasten nach vorne kippen und streckte sich.

      »Ist das hier Thale?«

      »Bestimmt«, sagte die Frau. Sie schien Haribalds Blicke zu bemerken, doch statt das ehemals weiße Kattunhemd vor der Brust zusammen zu raffen, reckte sie ihren Oberkörper und vergrößerte so den Spalt. »Aber Ihr wollt bestimmt nicht hierher.«

      Bechstein trat vor die Frau in der Tür. Der kleine Junge versteckte sich hinter ihr und sah neugierig zum Professor hinauf.

      »Habt Ihr vielleicht einen Schluck Bier hier für mein Pferd, pardon, meinen Adlatus?«, fragte Bechstein, nachdem er sich umständlich und ausgiebig geräuspert hatte.

      Die Bäuerin hob die Augenbrauen, schickte ihr Kind ins Haus und nickte in Haribalds Richtung. Dabei öffnete sich ihr Kleid noch weiter. Ihre Brüste waren mit dunklen Warzen besetzt. Auch Bechstein wurde der Mund trocken.

      Über ihrem Kopf hing an der Tür ein Hufeisen, daneben waren mit Kreide drei Kreuze gemalt. Bechstein drehte sich zu Haribald um, auf seinem Gesicht lag ein breites Grinsen. Mit dem Kopf winkte den Jungen heran.

      »Hufeisen, mein Junge, ein Hufeisen.«

      Haribald


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