Die Colonie. Gerstäcker Friedrich
vor etwa dreißig Jahren hier herüber gekommen waren und sich in San Leopolds niedergelassen hatten."
„Also Brasilianer?" sagte Günther enttäuscht.
„Ah, nein, wir sind schon Deutsche," lachte die Frau gutmüthig, „und halten uns ja auch immer zu den Deutschen, wie Ihr seht, denn mit den Bleifüßen ist es doch nichts, und sie wollen nichts arbeiten und schaffen."
„Bleifüße - was zum Henker ist das nur?" frug der eine Fremde; „ein Bleifuß soll ja auch die schlechte Brücke gebaut haben."
„Ih ja," meinte der Mann schmunzelnd, „der Bleifüße giebt's gar viele - eigentlich mehr, als gut ist, und wir nennen besonders die eigentlichen Portugiesen so, die immer herüberkommen und so thun möchten, als ob Brasilien ihnen gehörte. Weshalb sie aber eigentlich so genannt werden, weiß ich selber nicht recht; aber den Namen haben sie, so viel ist sicher, und werden ihn wohl auch behalten. Aber seid Ihr selber erst so kurze Zeit im Lande, daß Ihr noch nicht einmal das Wort Bleifuß gehört habt? Ich dächte doch, das würde häufig genug aller Orten genannt." /14/ „Ich selber bin schon lange im Lande und kenne auch den Namen“ lächelte Günther, „aber mein Reisegefährte da ist erst kürzlich aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika nach Rio, und von da zu Pferde hier nach dem Süden gekommen, um sich das Land einmal anzusehen."
„Und was ist Ihr Geschäft? wenn man fragen darf."
„Ich bin Feldmesser," erwiderte Günther, „und von der Regierung hierher beordert, um die Colonien für frisch eintreffende Emigranten auszumessen."
„Das ist gescheidt," sagte der junge Bauer; „am vermessenen Lande fehlt's ewig, und die armen Teufel müssen sich oft Monate lang in den sogenannten Auswanderungshäusern herumtreiben, ehe sie eigenen Boden und eine feste Heimath bekommen. Nun, da werden Sie Arbeit genug kriegen, daran fehlt's nicht - aber essen Sie nicht mehr?"
„Wir danken,", erwiderte Günther, der bis jetzt mit seinem Gefährten wacker zugelangt, „es hat vortrefflich geschmeckt und war delicat. Jetzt können wir's schon bis in die Colonie hinunter aushalten."
„Und wollen Sie schon wieder fort?" fragte die Frau freundlich, als die beiden Fremden von ihren Sitzen aufstanden und zu den Hüten griffen - „das war ein gar kurzer Besuch."
„Wenn Sie's erlauben," sagte der jüngere Fremde, „so komme ich schon wieder einmal her. Ich selber habe nichts zu versäumen und werde mich doch wahrscheinlich ein paar Monate in der Nähe der Colonie herumtreiben. Daß es mir aber hier bei Ihnen gefällt, dürfen Sie mir auf mein Wort glauben. Mein Freund ist jedoch mit seiner Zeit gebunden und hat heute noch viel unten mit dem Director zu besprechen. Da draußen sind auch eben unsere Packpferde angekommen, und wir wollen deshalb lieber aufbrechen."
„Apropos," fragte Günther, „was für ein Mann ist der Director eigentlich? Ich habe in den anderen Colonien am Chebaja nicht gerade viel Gutes von ihm gehört."
„Ich weiß nicht," lachte der Mann . „es kommt immer darauf an, wen Ihr fragt. Die Einen schimpfen auf ihn, die Anderen loben ihn, und Allen kann man's eben nicht /15/ recht machen auf der Welt. Er ist sehr streng, das ist wahr, und oft auch wohl ein bischen eigensinnig. Mit den armen Leuten geht er aber gut um und steht ihnen bei."
„Und das ist die Hauptsache," rief Günther - „nun, ich werde schon mit ihm fertig werden - also, herzlichen Dank für die Aufnahme. Wenn ich's einmal wieder gut machen kann, stehe ich zu Diensten!"
„Das mag vielleicht rascher geschehen, als Sie denken." meinte der junge Bauer, „denn unsere Grenzen sind hier alle in Confusion, und ich bin schon lange darum eingekommen, die meinige ebenfalls nachsehen zu lassen. Doch darüber sprechen wir später; ich möchte Sie jetzt nicht länger als nöthig aufhalten, und komme auch vielleicht in diesen Tagen einmal nach der Colonie hinunter."
Damit reichten er und die Frau den Fremden die Hand zum Abschied. Draußen hielten auch in der That die beiden eingeborenen Diener der Freunde, ein paar braune, rauh genug aussehende Burschen, mit drei Lastpferden, wovon zwei dem Vermesser, eins aber seinem Freunde gehörte, und gleich darauf trabte die kleine Cavalcade, welcher der junge Bauer erst noch den Weg um seine Chagra herum zeigte, diesen thalein.
Ein wundervoller Pfad war es, der sie hier in die Niederung hinabführte, denn gerade an diesem Berghange zeigte sich die schon fast tropische Vegetation des Landes in ihrer ganzen Pracht und Herrlichkeit. Der Baumwuchs war allerdings lange nicht so mächtig, wie in den nördlicher gelegenen Theilen Brasiliens, aber das üppige Unterholz mit seinen zierlichen Farrnpalmen und Fächern, mit seinen Lianen und Ranken bildete überall, wo es dem Blicke erlaubte einzudringen, die reizendsten Gruppen und Festons, aus denen sich die grünen schlanken Schäfte verschiedener wilder Palmenarten keck emporhoben.
Hier und da, wo eine eingerissene Schlucht oder ein breiteres Bachbett den Blick in die Tiefe gestattete, zeigte sich dann die kleine Niederlassung im Thale mit ihren lichten Gebäuden und hellgrünen Rasenstecken, durch welche die gelben Wege wie Fäden liefen, immer in verschiedener Form und /16/ Beleuchtung, aber immer freundlich, so daß die Reiter ihre Thiere oft anhielten und ein paar Secunden schweigend auf das unter ihnen ausgebreitete Bild hinabblickten.
Da hier der Weg aber zu schmal war, oder der Regen doch in den Boden an den verschiedensten Stellen Einrisse gemacht hatte, mußten sie ihre Pferde hintereinander halten, und dadurch war die Conversation gestört. Erst weiter unten, auf der letzten Abdachung angelangt, bog der Beipfad wieder in den durch die eingefallene Brücke unterbrochenen Hauptweg ein, und jetzt hatten sie die eigentliche Colonie Santa Clara auch bald erreicht, deren Ausläufer in kleinen, allein stehenden Ansiedelungen schon bis hier herauf reichten.
„Der Platz liegt wirklich allerliebst," sagte Günther, der bis jetzt vorangeritten war, indem er sein Pferd anhielt, um wieder neben dem Freunde zu bleiben.
„Was die Scenerie betrifft, ja," erwiederte dieser, „aber der Boden scheint mir hier nicht besonders, und der Mais da drüben in dem Felde steht dünn und mager genug - wenigstens magerer, als ich es bis jetzt gewohnt bin zu sehen."
„Das bessere Land wird weiter zurück in der Ebene liegen," meinte Günther; „jedenfalls hat der Ort nicht weit zur See, und das ist schon immer ein enormer Vortheil für eine Colonie."
„Wenn der Hafenplatz gut ist, ja; und wohin wollen wir jetzt zunächst?"
„Direct zum Direktor," sagte Günther, der wird uns dann schon die beste Auskunft geben, wo wir übernachten können. Wir müssen nun im nächsten Hause seine Wohnung erfragen."
„Das ist nicht nöthig," sagte sein Freund - „das Haus da drüben, wo die deutsche Fahne weht, ist jedenfalls das Wirthshaus und das größere Gebäude daneben eben so sicher die Kirche - wo baute der Deutsche nicht eins neben das andere? Außerdem steht aber dort nach Süden nur noch ein sehr großes Haus mit einer neuen Umzäunung, und dort hat natürlich auch der Director seinen Aufenthalt. Wir wollen ruhig darauf zureiten." /17/
„Sie können Recht haben," sagte Günther „aber vielleicht wohnt er doch da drüben in dem kleinen allerliebsten Gebäude, wo die vielen Orangenbäume stehen. Den Platz hätte ich mir jedenfalls zu meiner Wohnung ausgesucht."
„Das ist sicher die Pfarrwohnung," versetzte aber sein Kamerad; „sehen Sie nicht den breiten betretenen Pfad, der von dort zur Kirche niederführt? Ich glaube kaum, daß der Director alle die Fährten nach der Kirche in den Sand eingedrückt hat. Folgen Sie mir nur; ich führe Sie den richtigen Weg." Und ohne weiter eine Antwort abzuwarten, gab er seinem Pferde leicht die Sporen und sprengte, von Günther jetzt dicht gefolgt, dem vorher bezeichneten Hause zu, vor dessen Thür er anhielt und ohne Weiteres aus dem Sattel sprang.
2.
Der Director.
Gerade als Günther an seines Gefährten Seite hielt und seinem Beispiel folgte, trat eine Erscheinung aus dem Hause, die beide junge Leute hier, mitten im brasilianischen Walde, wohl kaum vermuthet hatten, und die sie deshalb um so mehr überraschte eine Dame in vollem europäischen Putze, mit einem grün und schwarz groß carrirten Seidenkleide , sehr bedeutender Crinoline und überhaupt allem