Sechs Erzählungen. Helmut H. Schulz

Sechs Erzählungen - Helmut H. Schulz


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      Helmut H. Schulz

      Sechs Erzählungen

      Alltag im Paradies, Band 1

      Dieses ebook wurde erstellt bei

      

      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Alltag im Paradies

       Eine Platte für Frank

       Uns trifft beide keine Schuld

       Die Doppelgängerin

       Blumen für den Frauentag

       Villa Tagore

       Impressum neobooks

      Alltag im Paradies

      Immer wenn meine Zeitung ins Paradies kommt, blättere ich sie rasch durch. Im Paradies arbeite ich als Frisöse, nicht etwa in der reihenweisen Abfertigung weiblicher Köpfe, sondern in der individuellen Haarkomposition finde ich Befriedigung. Ich diene der Schönheit, ich bin Frisöse aus Leidenschaft. Diese Leidenschaft befähigt mich, den Typ zu erfassen, der latent in jeder Frau steckt. Durch Edmunda, meine Nichte, verfüge ich über eine anspruchsvolle Kundschaft, die Redakteurinnen meiner Zeitung, und ich tue, was ich kann, um meinen Damen das Flair gepflegter sozialistischer Schönheit zu verleihen.

      Edmunda ist gewissermaßen mein Werk, oft ist ihr Bild doppelt briefmarkengroß in meiner Zeitung abgedruckt, mal im Profil, mal seitlich, eine hübsche junge Frau, nicht so jung, daß man ihr kein Vertrauen schenkte, und nicht so alt, daß Edmundas Meinung als überholt, als altmodisch empfunden würde. Vor einigen Jahren kam Edmunda zu uns, vom Lande, wie man so sagt. Sie war eine Henne, ich habe aus ihr einen Paradiesvogel gemacht. Edmunda übernahm damals eine Beratungsstelle für moderne Haushaltstechnik, woraus hervorgeht, daß meine Nichte nichts anderes als eine kleine Verkäuferin gewesen ist. Wer beschreibt meinen Schrecken, als Edmunda vor mir stand, in strickgewirkter Jacke, ohne modisches Accessoire, in dreiviertellangem Flauschrock, mit flachen Tretern. Ich sagte wohl, mein Gott, Kind, komm herein, tritt näher, leg ab, was man so sagt, wenn man einem Schlaganfall eben entgangen ist. Meine Schwester schickte mir das Kind, es sollte vorübergehend bei uns wohnen. Da wir kinderlos sind, auch aus beruflichen Gründen, beschloß ich, mich des Kindes anzunehmen, beschloß aus Edmunda eine moderne junge Frau zu machen. Zuerst mußte ich ihr einen Schock zufügen, ein Schuldbewußtsein sozusagen, denn ich sah wohl, daß sich diese Unschuld mit ihrem normalen Gesicht und ihrer hübschen Figur rundherum wohlfühlte. Das mußte sich ändern, ich mußte Wünsche in Edmunda wecken.

      Rührend, es war rührend, als ich mit ihr zum ersten Male eine moderne hauptstädtische Boutique aufsuchte. Edmunda, umgeben von dem, was eine werktätige Dame ausmacht, Schuhe, Kleider, Mäntel, Tücher, Taschen, Complets. Das kleine Café oben, wo die Dame nach gelungenem Einkauf einen Mokka nimmt oder einen Eisbecher Hawaii. Ich zeigte ihr die Dame, die einkaufte, beiläufig im grauen Kostüm und schmucklosem Nerzkollier. Ich schärfte den Blick Edmundas für teure unauffällige Kleinigkeiten. Amüsant für mich, den, respektvollen Blick wahrzunehmen, das Bewußtsein, sehr abzufallen in dieser Umgebung. Wir kauften auch wirklich nette Sachen; ein Postsparbuch brachte Edmunda immerhin mit. Natürlich riet ich ihr, sich ein Girokonto einzurichten, und ich machte Edmunda mit den Erleichterungen des Scheckverkehrs bekannt. Beim Eisbecher Hawaii erklärte ich dem Kind ausführlich das moderne Leben in einer modernen Welt.

      »Höre mal, Kleines«, sagte ich, »was dich jetzt so bestürzt, beruht auf einem Informationsrückstand. Niemand wird mit einem Gefühl für Schönheit geboren, oder nur wenige. In den weitaus meisten Fällen wächst die Frau in ihren Typ hinein, sie ahmt nach. Durch jahrelange Beschäftigung mit·sich, durch sorgfältig ausgesuchte Kleidung, durch kosmetische Nachhilfen, durch Perücken, Hüte, Schuhe. Laß dir nicht einreden, dies sei der berufstätigen Frau nicht angemessen, im Gegenteil, gerade die Werktätige hat einen Anspruch auf solche Dinge und sogar die Verpflichtung, eine Dame aus sich zu machen. Aus einem normalen Gesicht kann immer noch was werden, vorausgesetzt, man hat Figur. Deine ist gut, noch, also, friss nicht so unmenschlich!«

      Erster Erfolg: Edmunda legte den Eislöffel beiseite und sah bedauernd den Sahneberg zerschmelzen.

      So begann ihre Erziehung zur modernen Frau.

      Als Nächstes nahm ich die Umgestaltung ihres Kopfes in Angriff. Einen Sonntagvormittag lang schnitt, färbte und föhnte ich an ihrem Haar herum, cremte ihre Hände butterweich und brachte ihre Fingernägel in Ordnung, formte sie zu Drachenkrallen um.

      Am schwersten fiel es mir, Edmunda beizubringen, wie man sich in seinem Typ bewegt, daß man zum Beispiel neue Sachen wie alte trägt. Die ärmere Bevölkerung teilt bekanntlich ihre Kleidung in gute und schlechte ein, die gute wird nur zu besonderen Anlässen herausgeholt, zu Feiertagen und Theaterbesuchen, die schlechte wird aufgetragen. Solch Verfahren ist dem Typ abträglich. Je länger geübt, desto eher stellt sich das Gefühl ein, schlecht angezogen zu sein. Selbstverständlich muß sich dieser Haltung eine gewisse innere Bildung beigesellen. Eine Dame strahlt ja eine bestimmte freundliche Kühle aus, sie bleibt gelassen sitzen, wartet, bis ihr der Herr den Mantel bringt. Sie springt auch nicht etwa impulsiv auf, um einem Herrn die Hand hinzuhalten, der sie drückt wie die Flosse eines seiner Kumpels. Eine Dame dreht die Zigarette so lange in der Hand, bis ein Herr aufmerksam wird und sein Feuerzeug für sie in Tätigkeit setzt. Der angeblichen natürlichen Frische haftet doch immer noch Kuhstallgeruch an. Diese Dinge gehören also einfach zu einer werktätigen Dame, auch wenn sie nur eine kleine Verkäuferin ist, wie in Edmundas Fall.

      Mein Mann nahm zunächst wenig teil an der Erziehung Edmundas, was ich ihm bei dem Kälbchen nicht verübeln konnte. Er alberte ein bißchen mit dem Kind herum. Aber als ich einen Fortschritt zu verzeichnen hatte, wuchs sein Interesse. Ernsts Verhalten lieferte mir den schlagenden Beweis dafür, auf dem richtigen Wege zu sein. Ich bestimmte ihn, etwas für Edmundas geistige Ausbildung zu tun: Theater, Film, Bücher. Ich selbst habe ja wenig Zeit für diese Dinge, ausgenommen Theater, für das ich mir gelegentlich einige Stunden raube. Ernst unterzog sich schließlich auch der Mühe, Edmunda über Bücher zu unterrichten. Er erzählte ihr den Inhalt, das genügte. Wozu übertreiben. Wer liest schon Bücher, und wer versteht schon was davon. Ganz anders sieht es aus, wenn man einen der Autoren kennt, seine Reisen, Skandale, Scheidungen. Das Einkommen von Autoren kann man ja leider nur schätzen. Gut entsinne ich mich aber jenes Tages, als ich zum ersten Male, schon nach verhältnismäßig kurzer Lehrzeit, Edmundas Verkaufsstelle, nein, Beratungsstelle betrat, nicht um mich informieren zu lassen, sondern um ihr Auftreten zu kontrollieren und eventuell helfend einzugreifen. Das kann so nach anderthalb Jahren gewesen sein. Edmunda, mit maronenfarbenem Haar, im weißen Kleid, mit hohen weißen Schuhen und Modellbrille. Sie beriet eine Kundin, und ich verhielt mich zunächst still. Edmunda benahm sich hervorragend sicher in ihrem Typ. Da fühlte ich zum ersten Male einen Stich in der Herzgegend. Möglicherweise hatte ich etwas zu viel des Guten getan, aber mein Berufsstolz überwog damals noch. Jedenfalls war mir Edmunda besser gelungen als nötig, ich fiel schon etwas ab gegen das Kind.

      Die Kundin, eine ältere Dame, ließ sich ein Küchenaggregat vorführen. In zwangloser Unterhaltung zeigte Edmunda ihren Charme, flocht Bemerkungen ein über Bücher, Filme, alles, was ihr Ernst beigebracht hatte, und ich dachte, Gott, wenn du wüßtest, was dahinter steckt, eine, dumme kleine Gans. Aber natürlich mischte ich mich nicht ein. »Würden Sie«, fragte die Dame, »unter Umständen diesbezügliche Leserbriefe beantworten können? Ich suche eine fachlich


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