Die Jagd. Christine Rödl

Die Jagd - Christine Rödl


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beste Freundin. Neptun war ihr absolutes Lieblingsschulpferd. Er war ein Norwerger, der gerne seine Reiter testete und auch mal buckelte. Trotzdem liebte sie ihn heiß und innig. Sie hatte ihren Freundinnen anvertraut, dass sie sich gar kein eigenes Pferd wünschte, solange sie sich hier um das Fjordpferd kümmern konnte.

      Nachdem sie ihre Sachen in die Zimmer gebracht und sich umgezogen hatten, wollten sie Lisas Vorschlag in die Tat umsetzen. Sie liefen zur großen Reithalle. Dort hing eine Tafel, auf der alle Schulpferde aufgelistet waren. Hinter den Namen konnten sich die Schüler ohne einem eigenen Pferd eintragen. Nina nahm den Stift, der an einer Schnur an dem schwarzen Brett befestigt war. Sie fuhr mit dem Finger über die Pferdenamen nach unten, bis sie bei N wie Neptun angekommen war. Nina stockte. Neptuns Name fehlte auf der Liste. Als sie ihre Entdeckung den anderen mitteilte, kontrollierten diese auch nochmal die Pferdeliste und ob er vielleicht nur falsch eingetragen worden war. Doch Neptuns Name tauchte auf der gesamten Liste nicht auf.

      Mit einem komischen Gefühl gingen sie zu seiner Box. Das erste, was ihnen auffiel, war, dass sein Namensschild an der Boxentür fehlte. Statt Neptun stand dort Primadonna. Trotzdem warfen sie einen kurzen Blick in die Box selbst. Darin befand sich eine große Rappstute mit einer ungleichmäßigen Blesse.

      „Madeleine wird ausflippen“, prophezeite Lisa und seufzte.

      „Natürlich wird sie das! Ihr Lieblingspferd ist weg!“, rief Iris aufgebracht. Nina sah zwischen ihren Freundinnen hin und her. „Wisst ihr was? Wir suchen jetzt Frau Graf und fragen sie, wo Neptun ist. Er kann doch nicht einfach vom Erdboden verschluckt worden sein!“, bestimmte sie und marschierte voraus.

      Als sie vom Schulstall aus in den Boxenstall für die Schüler traten, sahen sie, wie Helene Burgmeier ihre Stute Estrelle gerade in ihre Box führte. Helene ging ebenfalls mit ihnen in die Klasse, war aber recht hochnäsig und arrogant. Vor den Ferien waren Helene und Iris aneinandergeraten. Weil Helene ihr einen Turniersieg nicht gegönnt hatte, hatte sie versucht mit einem Trick Iris‘ Eltern Hilde abzukaufen. Das hatte aber nicht geklappt und Helene hatte am Ende von Frau Graf die Strafe erhalten, Hildes Sattel und Zaumzeug zu putzen.

      „Die hat uns ja gerade noch gefehlt“, brummte Iris. Helene, die die Gruppe für gewöhnlich kaum beachtete, trat nun aus der Box.

      „Na? Auch schon angekommen?“, fragte sie freundlich lächelnd.

      „Siehst du doch“, antwortete Nina schroff. „Wir müssen zu Frau Graf, hast du sie gesehen?“

      Helene schüttelte den Kopf. „Falls es um die Sache mit Neptun geht“, erklärte sie, „den habe ich vor den Ferien mit nach Hause genommen.“ Mit offenen Mündern starrten sie die Anwesenden an. Das konnte nicht ihr Ernst sein! Sie hasste doch solche Wuschelponys! Für sie zählten nur Abstammung und Erfolg auf Turnieren.

      „Von wegen! Neptun stand nicht zum Verkauf!“, rief Lisa wütend und Helene begann zu lachen.

      „Wenn man genug Geld hinlegt, ist alles zu verkaufen“, meinte sie achselzuckend. „Und da Madeleine der Meinung war, mich auf Grund meiner Strafarbeit vor den Ferien auslachen zu müssen, war das ja wohl das Mindeste!“

       Helenes Rache

      Madeleine lag bereits seit über einer Stunde schluchzend auf ihrem Bett. Egal was ihre Freundinnen auch versuchten, sie ernteten dafür nur Geschrei und weitere Tränen. Stocksauer hatten sich die drei schließlich auf die Suche nach Frau Graf gemacht. Sie fanden diese in ihrem Büro im Stall. Als sie eintraten, blickte die Reitlehrerin auf.

      „Kann ich etwas für euch tun?“, fragte sie freundlich. Nina wollte sie gerade schon anschreien, da meldete sich Lisa zu Wort: „Es geht um Neptun. Helene hat uns erzählt, dass sie ihn gekauft hat. Doch soweit wir wissen, stand der Norweger nie zum Verkauf! Madeleine ist deswegen fix und fertig.“

      Frau Graf seufzte und nickte. „Ihr habt recht. Eigentlich stand Neptun nicht zum Verkauf und wäre es nach mir gegangen, wäre er auch noch in seiner Box. Helenes Vater hat allerdings so viel Geld geboten, dass in dieser Sache über meinen Kopf hinweg entschieden worden ist. Leider hatte er in den letzten Tagen vor den Ferien sehr häufig gebuckelt und Blödsinn in den Reitstunden gemacht. Da kam der Schule das Angebot für ihn gerade recht.“

      Schweigen breitete sich in dem kleinen Büro aus. Irgendwie hatten sie gehofft, dass es sich um ein Missverständnis handeln würde. Um einen Streich, den Helene ihnen gespielt hatte. Doch Neptun war tatsächlich weg.

      „Falls es euch beruhigt,“, erklärte die Reitlehrerin, „Er war, wie alle unsere Schulpferde, als Nichtschlachtpferd eingetragen. Nur für den Fall, dass eine eurer Mitschülerinnen Blödsinn erzählen sollte.“

      Daran hatten die Mädchen noch überhaupt nicht gedacht! Aber die Aussage von Frau Graf beruhigte sie tatsächlich ein wenig. Vielleicht würde es ihnen helfen, Madeleine etwas aufzumuntern.

      „Wieso interessiert euch das eigentlich so brennend?“, wollte die Reitlehrerin nun wissen.

      „Weil sich Madeleine gerade die Augen in ihrem Zimmer ausheult“, erklärte Nina nicht sehr taktvoll. Wieder seufzte Frau Graf und erhob sich.

      „Ich werde mit ihr reden“, versprach sie und trat nach draußen.

      Ungeduldig liefen die Drei auf dem Flur auf und ab. Die Lehrerin war mittlerweile bereits seit über einer halben Stunde bei Madeleine im Zimmer. Schließlich öffnete sich die Tür und Frau Graf trat heraus.

      „Lisa? Du gehst bitte zu deiner Freundin hinein. Und ihr beide“, sie deutete auf Nina und Iris, „geht in den Stall und macht eure Pferde, Cornet und Löwenherz fertig. Sie braucht dringend einen Ausritt, um auf andere Gedanken zu kommen.“ Mit diesen Worten stiefelte die Reitlehrerin davon. Kurz sahen sich die Mädchen an, dann gehorchten sie.

      Keine halbe Stunde später ritten die vier vom Hof. Madeleines Gesicht war von der vielen Weinerei noch immer stark verquollen. Darüber täuschte auch das Make-up nicht hinweg, dass sie mit Lisas Hilfe aufgetragen hatte. Löwenherz, ein fuchsfarbener Wallach, trug sie brav und gehorsam den gesamten Ausritt über. Im Gegensatz zu Neptun machte er im Galopp keine Freudenbuckler. Seine deutlich längeren Beine verliehen ihm zwar einen kräftigen, dafür aber einen leicht zu sitzenden Trab.

      Anfangs sah Madeleine noch sehr verbissen drein, doch im Laufe der Stunde, in der sie unterwegs waren, hellte sich ihre Miene langsam auf. Als sie an einem Holzstapel vorbei kamen, auf dem eine Plastikplane lag, machte ihr Reitpferd seinem Namen alle Ehre. Ein plötzlicher Windstoß erweckte die Plane zum Leben und brachte sie wie wild zum Flattern. Donny, der ganz vorne lief, sprang erschrocken zur Seite, Cornet galoppierte los und ließ sich erst nach einigen Metern wieder beruhigen, Hilde riss den Kopf hoch und wollte am liebsten Cornet hinterher. Löwenherz hingegen spitzte die Ohren und ging in seinem ruhigen Tempo weiter, ohne die Plane oder die aufgeregten Pferde großartig zu beachten. Das brachte seine Reiterin zum ersten Mal nach der schlechten Neuigkeit zum Lächeln.

      Als sie zurück am Hof ankamen, wirkte Madeleine wieder ausgeglichen. Der Ausritt an der frischen Herbstluft hatte ihr gutgetan. Als sie abstiegen, trat Helene grinsend auf sie zu.

      „Na? Musstest du umsatteln, Madeleine?“, fragte sie gehässig. Doch die Truppe ignorierte das Mädchen einfach. Das hatten sie sich während des Ausritts fest vorgenommen. Als Helene merkte, dass ihr Auftritt nicht den gewünschten Effekt gebracht hatte, rief sie: „Soll ich dir das nächste Mal ein Stück von Neptun mitbringen? Was hättest du denn gerne? Den Schweif? Salami?“

      Die Mädchen fuhren zusammen. Frau Graf hatte ihnen doch versichert, dass Neptun nicht geschlachtet werden konnte! Madeleine kämpfte mit ihrer Beherrschung, als Iris rief: „Wenn du keine Klage an den Hals willst Helene, zisch ab! Das Schlachten eines Nicht-Schlachtpferdes ist gesetzlich verboten. Ninas Vater ist Rechtsanwalt und klagt bestimmt gerne den letzten Cent aus deinem Papa heraus! Und diese Art von Mobbing ist sicherlich ebenfalls strafbar. Also hau ab!“

      Nicht nur Helene starrte überrascht zu Iris, sondern auch deren Freundinnen. Mit einem lauten „Tz“ drehte


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