Ein Seemann erzählt von seiner Seefahrt in zwei deutschen Staaten - Herausgeber: Jürgen Ruszkowski. Knut Freiwald

Ein Seemann erzählt von seiner Seefahrt in zwei deutschen Staaten - Herausgeber: Jürgen Ruszkowski - Knut Freiwald


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des Skagerrak erreicht hatte, erwartete uns dort, als wir Skagen umrundet hatten, eine stürmische nordwestliche See mit Windstärke 6-7. Die Folge war, dass das Schiff heftig mit Stampfen und Rollen anfing. Resultat war, der größte Teil der neuen Lehrlinge wurde seekrank. Jeder, der es schon mal erlebt hat, weiß wie krankmachend der Tribut an Neptun ist. In unserem D-Deck hatten wir eine Toilette mit fünf Einzeltoiletten, den sogenannten Fünfzylinder. Bei dem Andrang und den Massen von Toilettenpapier, die verwendet wurden, waren ruckzuck alle fünf Toiletten verstopft. Also mussten einige Lehrlinge ran zum Reinigen. Leider war auch ich unter den Ausgewählten und musste nun versuchen, mit langen übergestülpten Gummihandschuhen diese Toiletten zu reinigen. Das ging dann abwechselnd so, kotzen, reinigen, kotzen, reinigen. So zahlte ich fleißig meinen Tribut an den Meeresgott. Das war meine zweite Arbeitshandlung als Matrosenlehrling. Unser Politoffizier ging währenddessen durch alle Kammern der Lehrlinge und spendete väterlichen Trost. Danach begann die normale Ausbildung. Je nach Diensteinteilung Theorie oder Praxis.

      Das Essen an Bord war immer ausreichend und gut. Die Lehrlinge mussten sich selbst bedienen. Dazu wurde von jeder Brigade wöchentlich für den Tisch der Brigade ein Backschafter bestimmt. Für die Lehrbootsleute wurde ein Lehrling aus dem 1. Lehrjahr jeweils für eine Woche abkommandiert. An Getränken gab es pro Lehrling täglich zwei Flaschen alkoholfreie Getränke, ansonsten stand immer Tee zum Trinken zur Verfügung. Nur zu Feiertagen erhielten wir mal zwei Flaschen Bier oder ein Glas Bowle.

      Der Tagesablauf war ähnlich wie beim Militär. Morgens um sechs wurde Reise, Reise gepfiffen. Es folgten waschen, Zähne putzen, Kammer-Reinschiff, fertigmachen zum Frühstück.

      Um 8 Uhr dann Morgenappell mit Verteilung des täglichen Dienstes. Bei diesem Morgenappell fand auch immer eine Zeug-Musterung statt. Das heißt, es wurde die persönliche Ausrüstung geprüft und ob jeder sauber und ordentlich zum Appell angetreten war. Des weiteren wurden Teile der persönliche Dienstwäsche überprüft, ob richtig gewaschen, gebügelt, die Schuhe ordentlich geputzt (den Steg dabei nicht vergessen!) etc. Das Dilemma war, für uns Lehrlinge existierten keine Waschmaschinen, es musste also alles per Hand und mit Schrubber gewaschen werden. Hatte das Antreten zum Morgenappell nicht den Vorstellungen unseres Leitenden Ausbildungsoffiziers entsprochen, wurde nachexerziert, solange bis es klappte. Dabei erinnere ich mich noch gut an die Stimme unseres Lehroberbootsmannes, welcher die Meldung an den Leitenden Ausbildungsoffizier gab, dass alle zum Morgenappell angetreten seien. Diese Stimme war von mittschiffs bis zur Back zu hören.

      Danach erfolgte die Arbeit, unterbrochen von einer Mittagspause, und am Nachmittag wurde die Ausbildung fortgesetzt. Um 17.30 h war Abendbrot. Danach Freizeit, die unter anderem zum Lernen genutzt werden sollte. Wir lernten hier sowohl die Theorie und die Praxis des Berufes eines Matrosen von der Pike auf. Die Ausbildung war ausgezeichnet, denn die Absolventen der „THEODOR KÖRNER“ hatten einen guten Ruf in der Flotte. Besonders auf die seemännischen Arbeiten wurde großer Wert gelegt. Die Seemannsknoten und Spleiße, die ich dort lernte, kann ich heute noch.

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      Wir mussten sie im Schlaf beherrschen. Zum theoretischen Unterricht gehörte wie überall an den Schulen der DDR der Staatsbürgerkundeunterricht dazu. Hier wurde noch zusätzlich sozialistische Betriebswirtschaft gelehrt. Hinzu kam natürlich der Englischunterricht. Hier hatte ich einen großen Nachteil, da ich an meiner alten Schule nicht am Englischunterricht teilnehmen konnte. Englisch war damals in der DDR ein außerschulisches Extrafach und wurde nach dem offiziellen Unterricht gegeben. Da ich aber immer auf meinem Schulbus angewiesen war, konnte ich daran nicht teilnehmen. Der Unterricht an Bord begann also auf der Basis des Abschlusses der 10. Klasse, der mir und auch anderen total fehlte. So hatte ich die ganze Zeit während meiner Lehrzeit und auch später große Schwierigkeiten mit der englischen Sprache. Besonders bei meiner Fahrzeit nach der Wende sollte es sich negativ bemerkbar machen. Ansonsten war ich sowohl in der Theorie und in der Praxis wieder ein guter Lehrling. Der Dienst war nicht immer einfach, auch teilweise hart, wenn ich da noch an das Pullen in Vera Cruz oder Havanna denke.

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       Havanna

      Bei brütender tropischer Sonne in voller Montur wurde dort die Ausbildung zum Rettungsbootsmann absolviert. Und dann unsere Kammer, sie war für acht Lehrlinge ausgelegt. Jeder hatte seine Koje, einen Spind und eine Backskiste für die Sachen, die zusätzlich als Sitzgelegenheit am Kammertisch diente. Als weiterer Aufenthaltsort standen uns noch unsere Messe und die Klassenräume zur Verfügung sowie einige Bereiche an Deck. Keine Klimaanlage, wie heute üblich, nur zwei kleine Bullaugen und ein Entlüftungsrohr zum Oberdeck, in das bei schwerem Wetter das Wasser rein lief. Morgens konnte man teilweise die Bettwäsche auswringen und aus der Luft Würfel schneiden. Kammerabnahme war jeden Tag morgens und vor dem Schlafengehen, um 21 Uhr wurde Ruhe im Schiff gepfiffen, um 22 Uhr musste das Licht ausgeschaltet werden. An den Wochenenden wurde die Kammer von den Lehrbootsleuten abgenommen. Einmal am Monatsende fand der stets gefürchtete große Kammerrundgang unter der Leitung des Kapitäns statt. Unsere Lehrbootsleute hatten viel Erfahrung, uns immer wieder zu beweisen, dass die Kammer noch nicht sauber war.

      Gut in Erinnerung ist mir noch unser erster Anlauf in London. Wir lagen dicht bei der Tower Bridge im West Indian Dock, heute ein beliebter aber teurer Wohn- und Bürostandort. Alle waren aufgeregt und fieberten dem ersten Landgang entgegen. Zuvor musste die Kammer beim Lehrbootsmann abgemeldet werden. Wir waren jedenfalls nicht in der Lage, an diesem ersten Tag in London unsere Kammer zur Zufriedenheit unseres Lehrbootsmannes abzumelden. Erstaunlich, wo er immer wieder den Staub fand. Aber mit der Zeit lernten wir alle Stellen kennen. So kamen wir erst am zweiten Tag in den Genuss eines Landganges. Wir konnten viel von London kennenlernen, da die Liegezeiten damals doch recht lang waren. Piccadilly, Buckingham Palast, Britisches Admiralitätsmuseum und den Teeklipper Cutty Sark, sogar den Nullmeridian in Greenwich bekamen wir zu sehen. Nie wieder während meiner langen Seefahrtzeit habe ich so viel Sehenswertes, soviel von Land und Leuten kennengelernt wie während dieser Zeit auf dem Lehrschiff „THEODOR KÖRNER“. Meist scheiterte es später an den Faktoren Zeit und Geld. Landgang war stets nur in Gruppen erlaubt.

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       Lehrlings-Brigade Deck

      Jede Brigade hatte am Sonnabend beim Großreinschiff noch eine zusätzliche Reinschiff-Station. Meine Brigade hatte großes Glück dabei, wir mussten das Hospital und das Büro des Oberzahlmeisters reinigen und diese auch direkt beim Schiffarzt und Oberzahlmeister abmelden. Wir waren meistens früh fertig und bekamen oft noch etwas als Belohnung zugesteckt. Übel dran waren die, die Betriebsgänge zu reinigen hatten, sie waren arme Teufel und die Letzten, die fertig wurden. Aber es gibt auch viele schöne Erinnerungen. Während der Überfahrt nach Mexiko und Cuba wurde teilweise am Wochenende Dienst und Unterricht getätigt. So konnten wir Stunden vorarbeiten, die dann zu Bade- und Bootsausflügen in den herrlich gelegenen Buchten der kleinen kubanischen Zuckerhäfen genutzt wurden. Damals konnte noch nach Seesternen, Muscheln und Korallen getaucht werden. Das Schiff stank manchmal tagelang nach unserer präparierten Beute. Dies ist ja heute alles verboten. Unser Kapitän nutzte seine Bekanntheit in diesem Fahrtgebiet und organisierte für seine Jungs wann immer möglich schöne Fahrten in das Landesinnere von Mexiko und Cuba, so dass wir doch viel von Land und Leuten kennenlernten.

      Die Liegezeiten der Schiffe waren im Gegensatz zu heute teilweise sehr lang. Ansonsten gingen wir auch so fleißig an Land, um baden zu gehen oder nur um was Neues kennenzulernen. Havanna war ja damals noch eine sehr schöne Stadt, so kurz nach dem Sieg von Fidel Castro. Der Verfall setzte erst später ein. Leider wurde auch hier der gleiche Fehler gemacht, wie in der ehemaligen DDR, dass man sich nicht um den Erhalt der historischen Stadtviertel und Häuser kümmerte. Heute beginnt man insbesondere die Altstadt wieder zu restaurieren. Schwierig


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