Die chinesische Kreuzigung. Und andere Schauergeschichten. Hanns Heinz Ewers

Die chinesische Kreuzigung. Und andere Schauergeschichten - Hanns Heinz Ewers


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einzigen Hahnenkampf; kurz, er hat Passionen, die ihn in der Tat unter Europäern unmöglich machen.«

      »Aber, Herr Konsul«, rief ich, »wenn man ihn deshalb so sehr verurteilt, aus welchem Grunde lässt man ihn dann in seinem, doch gewiss ehren­vollen Amte?«

      »Immerhin – er ist ein Reverend«, sagte die alte Dame.

      »Und dazu kommt«, bestätigte der Konsul, »dass er niemals seit den zwanzig Jahren, die er hier am Orte ist, auch nur den leisesten greif­baren Grund zur Klage gegeben hat. Endlich ist die Stelle des Geistlichen unserer winzigen Ge­meinde die schlechtbezahlteste auf dem ganzen Kontinent – wir würden so leicht keinen Ersatz finden.«

      »So sind Sie also mit seinen Predigten doch zufrieden«, wandte ich mich an die Mutter des Konsuls und gab mir Mühe, ein etwas maliziöses Lächeln möglichst zu unterdrücken.

      Die alte Dame richtete sich im Sessel auf.

      »Ich würde ihm nie erlauben, auch nur ein ein­ziges eigenes Wort in der Kirche zu sprechen«, sagte sie sehr bestimmt. »Er liest Sonntag für Sonntag seinen Text aus Dean Harleys Predigt­buch.«

      Die Antwort verwirrte mich etwas, ich schwieg.

       »Übrigens«, begann der Konsul wieder, »wäre es ungerecht, nicht auch eine gute Seite des Popen zu erwähnen. Er hat ein nicht unbeträchtliches Vermögen, dessen Zinsen er ausschließlich zu wohltätigen Zwecken verausgabt, während er selbst, von seinen unglücklichen Passionen abge­sehen, außerordentlich bescheiden, ja dürftig lebt.«

      »Eine nette Wohltätigkeit!«, unterbrach ihn seine Mutter. »Wen unterstützt er denn? Verwundete Toreadores und ihre Familien, oder gar die Opfer einer Salsa.«

      »Einer – was?«, fragte ich.

      »Meine Mutter spricht von einer ›Salsa de To­mates‹», erläuterte der Konsul.

      »Einer – Tomatensauce?«, wiederholte ich. »Der Pope unterstützt die – Opfer einer Toma­tensauce?«

      Der Konsul lachte kurz auf. Dann sagte er sehr ernst.

      »Sie haben nie von einer solchen Salsa gehört? Es handelt sich um eine uralte, furchtbare Sitte in Andalusien, die trotz aller Strafen der Kirche und des Richters leider immer noch besteht. Seit­dem ich Konsul bin, hat zweimal nachweislich eine Salsa in Granada stattgefunden; die näheren Umstände hat man aber auch da nicht erfahren, da die Beteiligten trotz der in spanischen Gefäng­nissen üblichen schlagenden Ermahnungen sich lieber die Zunge abbissen, als ein Wörtchen zu erzählen. Ich könnte daher nur Ungenaues, viel­leicht Falsches berichten; lassen Sie sich darüber von dem Popen erzählen, wenn Sie dies schau­rige Geheimnis interessiert. Denn er gilt – ohne dass man es ihm beweisen kann – als ein Anhänger dieser entsetzlichen Gräuel, und dieser Ver­dacht ist es hauptsächlich, weshalb man ihm aus dem Wege geht!«

      Ein paar Gäste traten ein; unser Gespräch wurde unterbrochen.

      ***

      Am nächsten Sonntag brachte ich zum Stier­kampfe dem Popen ein paar besonders gut ge­lungene Fotos des letzten Corrida mit.

      Ich wollte sie ihm zum Geschenk machen, aber er warf nicht einmal einen Blick darauf.

      »Entschuldigen Sie«, sagte er, »aber das in­teressiert mich gar nicht.«

      Ich machte ein verdutztes Gesicht.

      »Oh, ich wollte Sie nicht verletzen!«, lenkte er ein. »Sehen Sie, es ist nur die rote Farbe, die rote Blutfarbe, die ich liebe.«

      Es klang beinahe poetisch, wie dieser bleiche Asket das sprach: »die rote Blutfarbe«.

      Aber wir kamen in ein Gespräch. Und mitten drin fragte ich ihn, ganz unvermittelt: »Ich möchte gern eine Salsa sehen. Wollen Sie mich nicht einmal mitnehmen!«

      Er schwieg, die bleichen zersprungenen Lippen bebten.

      Dann fragte er: »Eine Salsa? – Wissen Sie, was das ist?«

      Ich log: »Natürlich!«

      Er starrte mich wieder an, da fielen seine Blicke auf die alten Schmisse auf meiner Wange und Stirne.

      Und als ob diese Zeichen kindischen Blutver­gießens ein geheimer Freipass wären, strich er leicht mit dem Finger darüber und sagte feier­lich: »Ich werde Sie mitnehmen!«

      ***

      Ein paar Wochen später klopfte es eines Abends an meiner Türe, so gegen neun Uhr. Ehe ich »Herein« rufen konnte, trat der Pope ein.

      »Ich komme, Sie abzuholen«, sagte er.

      »Wozu?«, fragte ich.

      »Sie wissen ja«, drängte er. »Sind Sie bereit?«

      Ich erhob mich.

      »Sofort!«, rief ich. »Darf ich Ihnen eine Zigarre anbieten?«

      »Danke, ich rauche nicht.«

      »Ein Glas Wein?«

      »Danke, ich trinke ebensowenig. Bitte, beeilen Sie sich doch!«

      Ich nahm meinen Hut und folgte ihm die Trep­pen hinab in die Mondnacht.

      Schweigend gingen wir durch die Straßen, den Genil entlang unter rotblühenden Pyrrhusbäumen. Wir bogen links ein, stiegen hinauf auf den Mohrenberg und schritten über das Märtyrerfeld. Vor uns strahl­ten in warmem Silber die Schneekuppen der Sierra, ringsherum aus den Hügeln brachen leichte Feuerscheine aus den Erdhöhlen, in denen die Zigeuner hausen und anderes Volk.

      Wir gin­gen herum um das tiefe Tal der Alhambra, das ein Meer grüner Ulmen fast bis oben hin ausfüllt. Vorbei an den gewaltigen Türmen der Nassari­den, dann die lange Allee uralter Zypressen durch, zum Generalife hin, und weiter hinauf zu dem Berge, von dem der letzte Fürst der Mauren, der strohblonde Boabdil, seine scheidenden Seufzer dem verlorenen Granada sandte.

      Ich schaute meinen seltsamen Begleiter an. Sein Blick, nach innen gekehrt, sah nichts von all dieser nächtlichen Herrlichkeit. Wie der Mondschein auf diesen schmalen blutleeren Lip­pen spielte, auf diesen eingefallenen Wangen und den tiefen Löchern an den Schläfen – da kam mir das Gefühl, als müsste ich seit Ewigkeiten schon diesen schrecklichen Asketen kennen. Und plötzlich, unvermittelt, fand ich die Lösung: Das war ja das Gesicht, das der grauenhafte Zurbaran seinen ekstatischen Mönchen gab!

      Der Weg ging nun zwischen breitblätterigen Agaven daher, die ihre verholzten Blütenschäfte dreimannshoch in die Luft streckten. Wir hörten des Darro brausen, der hinter dem Berge über die Felsen sprang.

      Drei Kerle kamen auf uns zu, in braunem, zer­lumptem Mantel; sie grüßten schon von weitem meinen Begleiter.

      »Wachtposten«, sagte der Pope. »Bleiben Sie hier stehen, ich will mit ihnen reden!«

      Er schritt auf die Männer zu, die ihn erwar­tet zu haben schienen.

      Ich konnte nicht verstehen, was sie sprachen, doch handelte es sich augen­scheinlich um meine Person. Der eine der Männer gestikulierte lebhaft, sah mich misstrauisch an, schleuderte die Arme in der Luft herum und rief immer wieder: »Ojo el Caballero!«

      Aber der Pope beruhigte ihn; schließlich winkte er mich selbst heran.

      »Sea usted bienvenido, Caballero!«, begrüßte er mich und zog seinen Hut.

      Die beiden anderen Späher blieben auf ihrem Posten zurück, der dritte begleitete uns.

      »Es ist der Patron, sozusagen der Manager der Geschichte«, erklärte der Pope.

      Nach einigen hundert Schritten kamen wir zu einer Höhlenwohnung, die sich durch nichts von den hunderten anderen der Bergabhänge Grana­das unterschied. Vor dem Türloch war, wie ge­wöhnlich, ein kleiner Platz geebnet, von dichten Kaktushecken umgeben. Dort standen einige zwanzig Kerle herum – doch war kein Zigeuner dabei. In der Ecke brannte ein kleines Feuer zwi­schen zwei Steinen; darüber hing ein Kessel.

      Der Pope langte


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