Die blaue Barriere. Helmut H. Schulz

Die blaue Barriere - Helmut H. Schulz


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und heller gewesen, jetzt war es dunkel und kurz geschnitten. Nur dicht war es noch immer, so wie früher. Es gefiel mir. Die Haut über den Schläfenbeinen schimmerte bläulich. Auch die Nase war noch dieselbe, sie war klein, und sie bog sich etwas herunter auf einen vollen trockenen Mund, von dem sich die Schminke löste. In den Mundwinkeln standen feuchte Bläschen. So ähnlich dachte ich an diesem Morgen nach dem Lampionfest bei dem aufgeblasenen EM.

      Aber zwischen den dichten Brauen, an den Mundwinkeln und am Hals zeigten sich bei Melitta die ersten Falten in dem sonst noch glatten, jetzt etwas übernächtigten Gesicht. Ich fühlte Melittas Körper von der Brust bis zu den Knien, und ich legte den Arm um ihre Schultern und streichelte mit dem Handrücken ihren Hals. Sie zog den Hals nicht weg, sondern legte den Kopf in einer zutraulichen Bewegung schief in Richtung meiner streichelnden Hand.

      "Ich bin sechsunddreißig", sagte sie, als könne sie Gedanken lesen, "haben Sie das gedacht?"

      Ich erwiderte, auf so alt hätte ich sie etwa geschätzt. Sie habe sich allerdings nur wenig verändert mit den Jahren, und die paar Veränderungen wären ganz ohne Bedeutung, müssten ihr sogar als Verbesserungen angerechnet werden, falls man es genau nehme.

      "Hier müssen wir raus", sagte sie.

      Wir zwängten uns durch die Menschen, die durchaus nicht rücken wollten, und ich stieg zuerst aus, um Melitta zu helfen. Wir gingen durch verschiedene kurze und längere Straßen einer noch ziemlich wüsten Neubaugegend. Es kann Klock fünf oder etwas früher gewesen sein. Ich fragte sie, ob sie sehr müde sei, und sie antwortete, ja müde wie ein Hund, aber es sei eine ganz schöne und angenehme Müdigkeit, ohne Schlafbedürfnis. Dann schloss sie die Haustür auf und sagte in einem anderen, alltäglicheren Ton: "Es würde auch gar nicht mehr lohnen, schlafen zu gehen, um halb sieben steht Anna auf, und ein bisschen später Torsten. So heißen meine Kinder." Wir gingen in die Küche und machten uns Kaffee. Melitta rauchte meine letzte Gitanes, die ermüdeten Füße mit den roten Zehennägeln auf einen Stuhl gelegt. Wir duzten uns jetzt wie alte Bekannte und ohne förmliches Angebot, das fremde Sie zwischen uns aufzuheben. Alles schien sehr einfach, bis zu der Frage, was sie für einen Beruf habe.

      Während des Studiums hatten wir ein bisschen Seerecht büffeln müssen, wir alten Fischer, ohne besondere Lust, aber ich erinnere mich doch an ziemlich verwickelte Fragen, Modellfälle, wie uns der Dozent auseinandergesetzt hatte. Übrigens handelte es sich um das Angstfach der Leute, die hinauf wollten bis zum Handelsschiffskapitän oder noch weiter. Melitta bestätigte, dass es sich um ein problematisches Sondergebiet handelte.

      "Leider gibt es immer nur Sondergebiete", sagte sie. "Praxisfälle, die den Modellen gleichen, sind selten, ungefähr so wie zeugungsfähige Ochsen."

      "Gibst du was aufs Äußere?" fragte ich.

      "Ja, natürlich", sagte sie, "jede Frau und jeder Mann tun es. Weshalb sollte ich eine Ausnahme sein?"

      "Ja, warum?"

      Aber ich freute mich doch, dass sie eine Einschränkung machte.

      "Äußeres und Charakter müssen zusammenpassen," erklärte sie. "Auf den Charakter lege ich größeren Wert, vor allem aber suche ich die Ausstrahlung eines anderen, gleich ob Mann oder Frau."

      "Ausstrahlung? EM hat eine enorme Ausstrahlung, nicht?"

      Ich war gespannt auf ihre Entgegnung.

      "Das ist jetzt nicht ganz fair", sagte Melitta.

      "Vielleicht war es das nicht. Dir müssen die Männer doch nachlaufen", sagte ich, "so war das eben gemeint, und das wird wohl wahr sein." "Die ich haben könnte, passen mir nicht, und die ich will, sind nicht zu haben."

      "Das alte Lied."

      "Ja, das alte Lied."

      Dann gingen uns die Zigaretten aus, und Melitta verschwand für einen Augenblick, um welche zu suchen.

      Zurückgekommen, nahm sie den Gesprächsfaden wieder auf. Ich hätte eine falsche Vorstellung vom Leben einer Frau mit Beruf, welcher sei eine wichtige, aber nicht die einzige Frage für eine Mutter, die an zwei Kinder denken müsse, Kinder, die nicht von selber aufwüchsen, sondern Zeit und Nerven kosteten. Anzeigentexte wie: Kind kein Hindernis enthielten ja schon das Missverständnis, Kinder seien wie Zugaben.

      "Sie sind die Hauptsache, sobald sie einmal auf der Welt, und sie nehmen sich, was sie brauchen an Kraft und Freizeit, wenn man alles einigermaßen gut machen will."

      "Das klingt ziemlich bitter", sagte ich. "Liest du Anzeigen?" fragte ich.

      Dazu wollte sie sich nicht äußern, war wohl überhaupt mit ihrem Garn für diesmal zu Ende. Sie hatte gesagt, was sie wollte; zur Warnung für mich? Vielleicht auch das. Wir schwiegen eine Weile. Melitta blickte zur Uhr, lauschte auf Geräusche. Ich hielt das für eine Aufforderung zum Gehen. Deshalb stand ich auf, fasste gewohnheitsgemäß nach den Utensilien der Zivilisation, Papieren, Schlüsseln, nahm meine Mütze und sagte: "Tja, dann werd ich wohl mal ablegen."

      Mich interessierte es natürlich brennend, wie sie zu EM stand. Er schien sich ja bis gestern seiner Sache ziemlich sicher gewesen zu sein. Dass sie die Nacht nicht bei ihm geblieben war, musste nicht viel bedeuten. Sie hatte ja erklärt, dass sie für ihre Kinder da sein wollte. Andererseits hatte sie ihn ziemlich gleichmütig abblitzen lassen. Ihr Gerede eben passte übrigens schlecht zu seiner Vorstellung vom Sinn des Lebens. Was nun? Jede andere Frau hätte ich zum Essen, ins Kino oder sonst wohin eingeladen. Befangenheit hinderte mich, Melitta einfach zu fragen. Zwischen uns gab es doch einige Hindernisse mehr als EM, wie ich jetzt fand.

      Mit fehlt es nicht an Selbstbewusstsein, aber es ist eins, das sich nur unter Gleichen entfalten kann. Bei Befahrenen galt ich was mit meinen Seestunden, da war ich ein guter Mann. Es fragt sich nur, wie lange man auf der Höhe bleibt. Unter Richtern und Anwälten hätte ich es vielleicht gerade bis zum Büroboten gebracht. Mir kam erst später der Gedanke, dass diese Überlegungen auch umgekehrt stimmten. Auf einem Schiff wäre Melitta höchstens gut für eine Stewardess gewesen, und vielleicht nicht mal das. Sie mir als Richterin zu denken, ging sowieso über meine Vorstellungskraft. Ich gedachte es schlau anzustellen, indem ich sagte: "Wenn du nachher mit EM sprichst, dann grüß ihn von mir. Sag ihm, dass er ein Glückspilz ist."

      Sie lachte kurz. "Werd ich ausrichten. - Hör mal, Olaf, damit Klarheit zwischen uns ist, mit Erik bin ich befreundet. Falls er sich was anderes erhofft, so ist das seine Sache. Ein Mann, der mit sich beschäftigt ist, der hätte mir noch gefehlt."

      "Wer ist es nicht?"

      "Ich meine, er ist nur mit sich beschäftigt, mit seinen Auftritten, mit seinen Reisen und mit tausend anderen Dingen. Meine Kinder würden ihm ständig im Wege sein. Und er würde sich bald jeden Tag neu überwinden müssen, um mir seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, dass er nicht die Hauptperson in meinem Leben ist. Ich meinerseits würde mich zwischen Baum und Borke stellen, zwischen seiner und der Eifersucht meiner Kinder hin- und hertaumeln. Abschaffen kann und will ich sie nicht. Was für eine Ehe würden wir führen? Davon scheide ich ein halbes Dutzend im Jahr. Ich bilde mir ein, zu einer sehr kleinen Minderheit zu gehören. Ich kann aus den Fehlern anderer lernen."

      "Willst du gar nicht mehr heiraten?"

      "Natürlich will ich das. Ich bin auch Frau, nicht bloß Mutter, aber nicht Hals über Kopf und keinen so komplizierten Mann wie ... ach, verdammt! Ich fange an, dummes Zeug zu reden."

      Eine Weile stand ich betroffen in der Küche herum. Melitta sagte nichts mehr, blickte aber wieder besorgt zur Uhr. Es ging auf halb sieben.

      "Eine Einladung könntest du wohl aus all diesen Gründen nicht annehmen, was?"

      "Was für eine Einladung? Komm heut Abend, wenn du willst, aber komm nicht vor neun. Vorher bin ich nicht ansprechbar!"

      So lagen die Dinge am Morgen nach EMs Lampionfest, seiner italienischen Nacht. Eher schwierig, aber was ist schon leicht?

      6

      Clems Besatzung bestand aus zweiundzwanzig jungen Dachsen. Bei Tisch in der


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