Rache. Sophia Maria Flores

Rache - Sophia Maria Flores


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überhaupt. Das behaupte ich. Jedenfalls hat jetzt er die Professur statt meiner. Ich fand, Vergebung wäre das erste Zeichen von Altersschwäche gewesen. Ich wollte nicht vergeben. Lambrecht nicht und Laura auch nicht. Nur wartete ich auf eine Gelegenheit, in der meine Rache nicht auf das Niveau eines Theaterwitzes herabgewürdigt werden konnte.

      Am ersten Tag der zweiten Woche verfügte ich mich zum Polizeirevier, wo ich eine Vermisstenanzeige aufgab. Ich wusste, dass es, ohne eine solche Anzeige erstattet zu haben, später aussichtslos sein würde, Laura für tot zu erklären. Der gelangweilte Wachtmeister, der, indem er die beiden Zeigefinger zum Tippen benutzte, die Daten wegen der Durchschläge auf einer vorsintflutlichen elektrischen Schreibmaschine aufnahm, hätte beinahe vergessen, mich nach einem Foto zu fragen. Ich zog das Porträt, das ich zu Hause vorsorglich eingesteckt hatte, aus der Jackentasche. Der junge Kerl, vielleicht Mitte der Zwanzig, begaffte das Ding entsetzt. Dann holte er aus einer der Schubladen seines Schreibtisches ein anderes Foto hervor und verglich die beiden miteinander. Mit rauer Stimme bat er mich zu warten und eilte, beide Abzüge in der Hand, in einen Nebenraum. Nach einer Weile hektischen Getuschels kehrte er mit einem etwas älteren Polizeihauptmeister zurück, der mit der bekümmerten Miene eines öffentlichen Bedenkenträgers einherschritt. Er wollte wissen, warum ich erst jetzt käme. Meine Frau sei erwachsen, entgegnete ich. Nach einer Pause, deren Dauer und Entschiedenheit mir nicht einleuchtete und während der er mit seinem Wachtmeister verstörte Blicke wechselte, meinte der Polizeihauptmeister, er komme nicht umhin, mich in einer heiklen Angelegenheit um Mithilfe zu bitten. In der Rechtsmedizin liege eine weibliche Leiche. Keine Ausweispapiere, keine Firmenkennung in der Kleidung, nichts. Außer der meinen gebe es keine Vermisstenmeldung. Die Frau ähnele jener Person auf dem von mir beigebrachten Foto. Das müsse erst einmal nichts heißen. Aber unter den gegebenen Umständen sei er gehalten, mich um eine Identifizierung zu bitten.

      Den süßlichen Gestank der Verwesung, der mich schon an der Tür zu dem lindgrün gekachelten Obduktionsraum umflorte, ertrug ich besser, als befürchtet, vielleicht weil ich noch nicht gefrühstückt hatte. Die Tote lag auf einem hohen Metalltisch, dessen Blutrinnen vom Spülwasser feucht waren. Man hatte sie mit einem lindgrünen Laken zugedeckt. Der mit einem lindgrünen Kittel drapierte Mediziner lüpfte wortlos das Leinen, jedoch nur so weit, dass bis auf den Kopf der Leiche nichts entblößt war. Noch während das Laken durch die Luft fuhr, schloss ich die Augen, um den Moment der Gewissheit so lange hinauszögern, wie irgend möglich. Als ich schließlich durch die sich langsam wieder weitenden Lidspalten wie durch Milchglas das bleiche, auf einen Kranz aus tizianroten Haaren gebettete Gesicht erblickte, glaubte ich im ersten Moment, Laura vor mir zu haben. Der Mediziner hielt zwischen gummibehandschuhtem Zeigefinger und Daumen eine Haarspange hoch, die aussah, als sei sie versilbert. Sie war mit kleinen Strasssteinen besetzt, die kristallgleich glitzerten. Meine Verblüffung war grenzenlos. Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, dass mich der Polizeihauptmeister observierte. Als sich unsere Blicke trafen, hob er die Augenbrauen. Dann, ganz langsam und nur leichthin, nickte ich.

      Obwohl sie eine Zeitlang Untersuchungen in diese Richtung führte, hatte die Kripo am Ende nichts gegen mich in der Hand. Zwar waren Lauras Konten leergeräumt, aber ich verkaufte die Designer-Klamotten meiner Frau und ihren Schmuck. Der Erlös, zusammen mit der Prämie aus der Versicherung, um die ich heftig hatte kämpfen müssen, machte mich zum ersten Mal in meinem Leben zu einem einigermaßen vermögenden Mann. An das Sprichwort, das sagt, dass König und Bauer wieder in derselben Schachtel landen, sobald das Spiel zu Ende ist, dachte ich nicht.

      Nachdem ich an einem der kühler werdenden Herbstabende im Schaukelstuhl auf der Terrasse die aus der Wiese dampfende Restwärme genossen hatte, mixte ich mir auf dem Cocktailwagen, der an der Wand neben der Stereoanlage stand, wohin er gehörte, einen Touch Down, zu dem auch Zitrone gehörte, die ich mit jenem Messer vom Flohmarkt aufschnitt, dessen Griff aus poliertem Ebenholz mit Messingnieten war. Ich ließ mich von der niedersinkenden Dämmerung umspülen, die der gemessenen Ruhe meines Alleinseins einen Ausdruck der Vollkommenheit verlieh. Doch eines Abends hörte ich plötzlich Schlüssel in der Wohnungstür. Nach all den Monaten paradiesischer Ruhe fuhr mir ihr metallisch klapperndes Geräusch bis ins Mark. Mein Herz stolperte. Ich wollte aufspringen, brachte aber nicht die geringste Bewegung zustande. Noch im selben Augenblick wurde die Stubentür aufgestoßen. Mit schlafwandlerischer Sicherheit bewegte die Person ihren Arm in Richtung der Wand neben dem Türpfosten und betätigte den Schalter. Das Licht traf mich mit der Wucht eines scharf geschlagenen Golfballs. Nach und nach erkannte ich Laura. Sie trug dasselbe strenge Kostüm mit dem eng anliegenden Rock wie in der Nacht ihres Verschwindens. Ihre tizianroten Haare, in denen die vielen grauen Strähnen unübersehbar waren, hatte sie mit der versilberten Spange mit den kristallgleich glitzernden Strasssteinen zusammengerafft. Was sie hier wolle, fragte ich und hob zur Abwehr einen Arm vor die Augen. Sie sei tot. Begraben. Ich kramte die Sterbeurkunde hervor und hielt sie ihr unter die Nase. Laura lachte aus vollem Halse. Nach einer Weile sagte sie keuchend, ich sei ein solcher Blindgänger, dass man es nicht beschreiben könne. Dann zeigte sie erst auf mein Glas, dann auf den Cocktailwagen mit den Früchten und meinte, sie sei durstig von der langen Reise, ich solle ihr einen Drink reichen.

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