Vom Werden eines Diakons - Rückblicke - Teil 3. Jürgen Ruszkowski

Vom Werden eines Diakons - Rückblicke - Teil 3 - Jürgen Ruszkowski


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       Johannes Gebauer – Walter Lorenz

      Da ich den weitesten Weg habe, komme ich als letzter der drei, ich bin also der Dienstjüngste.

       Die Anstaltshierarchie

      Ja, das Dienstalter spielt 1954 und noch etliche weitere Jahre für die Hierarchie im Rauhen Hause eine entscheidende Rolle. Es herrschen klare Verhältnisse. Der jeweils dienstältere Bruder ist in der Rangordnung dem dienstjüngeren übergeordnet. Ich wage es als Neuling, einen dienstälteren „Bruder“ zu duzen und werde zusammengepfiffen, ob wir denn zusammen im Sandkasten gespielt hätten, er verlange gefälligst, dass ich ihn sieze. Es war Bruno Schulze. Als ich ihn viele Jahre später darauf anspreche, will er es nicht mehr wahrhaben, denn inzwischen unterrichtet er als Professor an der Fachhochschule des Rauhen Hauses im Kreise der von der 1968er-Bewegung geprägten Dozenten und dem Prinzip der Egalität verbundenen emanzipierten Studenten. Fünfzehn Jahre später wird man diese von mir vorgefundene und akzeptierte Hierarchie „feudalistisch“ nennen. Aus der Feudalzeit stammen tatsächlich einige gängige Begriffe, die sich aus der wichernschen Epoche herübergerettet haben.

      Der leitende Pastor ist der „Direktor“, und er hat tatsächlich eine Position nach Gutsherrenart. Die Brüderhausvorsteher hatten im 19. Jahrhundert und weit bis ins 20. Jahrhundert hinein eine unangefochtene Patriarchenstellung. Diese galt in einigen Brüderhäusern, die nach dem „Mutterhausprinzip“ arbeiteten, etwa in Nazareth/Bethel, bis in die 1960er Jahre mit uneingeschränktem Sendungsprinzip als selbstverständlich, auch für gestandene Männer und bereits examinierte Diakone mit lebenslanger Unterordnung und Gehorsam bei ihrem beruflichen Einsatz. Das Rauhe Haus ist in punkto Sendungsprinzip und freie Stellenwahl Mitte der 1950er Jahre schon sehr liberal. Der fertige Diakon kann zwar die Hilfe des Brüderhauses bei Stellensuche und Erstellung des Dienstvertrages in Anspruch nehmen, sich seine Arbeitsstellen aber selbst wählen, soll jedoch laut Brüderordnung das Rauhe Haus über jeden Stellenwechsel informieren.

      Die hauptamtlich verantwortlichen Diakone im Rauhen Haus nennen sich „Inspektoren“, ähnlich wie die Verwalter auf einer landwirtschaftlichen Domäne, und sie haben in ihrem Verantwortungsbereich weitreichende Vollmachten. Der für den manuellen Arbeitseinsatz in der „Anstalt“ verantwortliche Bruder wird „Vogt“ genannt und handelt nach den Weisungen des Wirtschaftsinspektors und Konviktmeisters (das Amt des Konviktmeisters ist mit der heutigen Funktion nicht vergleichbar). Es werden also Bezeichnungen benutzt, wie sie in den Gutsverwaltungen bis in diese Zeit hinein üblich waren. Begriffe wie „Mitbestimmung“ sind Mitte der 1950er Jahre im internen Bereich des Rauhen Hauses und auch bei den anderen Brüderhäusern völlig unbekannt und undenkbar. Bis zum ersten Weltkrieg hatten auch die fertig ausgebildeten Diakone in den Brüderschaften keinerlei Mitbestimmungsrecht. Die am Ende des 19. Jahrhunderts von Johannes Wichern ausgestellten Zeugnisse für Brüder des Rauhen Hauses enthielten noch einen Passus, wonach die Gültigkeit des Zeugnisses erlischt, wenn der Bruder nicht mehr den Dienst wahrnimmt, in den ihn das Rauhe Haus entsandt hat. Alle Entscheidungen trafen die Vorsteher, es waren immer Theologen, selber. Erst nach dem Ende des 1. Weltkrieges und mit zunehmender beruflicher und fachlicher Professionalisierung in den 1920er und 30er Jahren emanzipierten sich die Diakone, besonders durch die „doppelte Qualifikation“ durch ein staatlich anerkanntes Examen als Wohlfahrts- oder Krankenpfleger von „Gehilfen“ der Pastoren zu einem eigenständigen Berufsstand mit eigenem fachlichen Aufgabenbereich und entsprechendem Standesbewusstsein. Noch Ende der 1950er Jahre versuchte ein Pastor in Hamburg-Rothenburgsort, „seinen“ Diakon als persönlichen Aktentaschenträger auf seinen Dienstgängen zu missbrauchen.

      Am Tage des Eintritts erhalte ich einen „Laufzettel“, mit dem ich mich bei einigen wichtigen Persönlichkeiten der Anstalt melden muss: Bruder Friedrich Düwel, ein älterer Diakon, verwaltet das Diakonenbüro mit den Brüderakten. Er erzählt mir, dass er Anfang der 1920er Jahre zusammen mit Kurt Esmarch das Hamburger Hafenkonzert, die älteste deutsche Rundfunklivesendung, mitbegründet habe. Düwel war wohl früher selber mal zur See gefahren und weiß spannend Seemannsgarn zu erzählen. Außerdem spricht er in der Weise eines Franz von Assisi mit den Vögeln, die vor seinem Bürofenster von den dort rot prangenden Vogelbeeren fressen.

      Als Nächstes führt mich mein Weg zu Pastor Gotthold Donndorf, dem Direktor des Rauhen Hauses, einem würdevollen, von liberaler Theologie geprägten Patriarchen, der seit 1939 in diesem Amt ist.

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       Gotthold und Juliane Donndorf

      Auch „Frau Pastor“ Juliane Donndorf hat ein gewichtiges Wörtchen in der Hierarchie mitzureden. Sie wacht über sittsames und wohlanständiges Benehmen der jungen Brüder, die ja schließlich in der gutbürgerlichen Gesellschaft, von der der kirchliche Betrieb geprägt ist, nicht unangenehm auffallen dürfen. So mancher junge Bruder wird von ihr beiseite genommen und über falsches Verhalten bei Tisch oder anderen Lebenssituationen aufgeklärt.

      Ferner muss ich zu Bruder Friedrich Jahnke, dem damaligen Brüderältesten, der dieses Amt neben seinem Job als Geschäftsführer des Evangelischen Hilfswerkes und der Inneren Mission in Hamburg (Amt für Gemeindedienst) ausübt, einem begabten und umsichtigen Mann und Hansdampf in allen diakonischen Gassen, dem die Diakonenschaft berufspolitisch viel zu verdanken hat und, der wesentlich an der Emanzipation der Diakone mitgewirkt hat.

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      Jahnke hält sich nur alle paar Tage mal für einige Stunden im Rauhen Hause auf.

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      Er ist Geburtsjahrgang 1903, Sohn eines Rauhhäusler Diakons, der im Alter von 48 Jahren „an Überarbeitung verstarb“. Daraufhin beschloss Friedrich: „Ich werde, was mein Vater war!“, brach seine Gymnasialausbildung ab und ging ins Rauhe Haus, wo er zeitgleich mit August Füßinger ausgebildet wurde. Friedrich Jahnke war schon zu Beginn der NS-Zeit Landeswart der Bezirksgruppe Hamburg des Deutschen Diakonenverbandes und Wortführer der gemäßigten deutschchristlichen Richtung der Brüderschaft des Rauhen Hauses und hatte auch die später viel gescholtene Ergebenheitsentschließung formuliert, die der Deutsche Diakonentag 1933 an die Reichsleitung der Deutschen Christen richtete:

      „Die an der Geburtsstätte des erneuerten Diakonenamtes, dem Rauhen Hause, zum 9. Deutschen Diakonentage versammelten 1.000 deutschen Diakone versichern der Reichsleitung der „Deutschen Christen“ ihre Treue und stellen sich geschlossen und vorbehaltlos hinter ihre Führung. Sie erwarten, dass diejenigen Diakone, die sich dieser Bewegung noch nicht angeschlossen haben, ihren organisatorischen Beitritt unverzüglich erklären. – Wir begrüßen den nationalsozialistischen Aufbruch unseres Volkes als eine Gnade Gottes und nehmen mit unserem ganzen Sein, Denken, Fühlen und Wollen daran teil, hoffend, dass nun Volk und Kirche eine lebendige Gemeinschaft werde. Wir bieten der Kirche erneut, wie einst Wichern schon, unseren Dienst an, um im notwendigen Helferdienst am Leben mitzuwirken, dass endlich die deutsche evangelische Volkskirche des Dritten Reiches werde, in der alle evangelischen Deutschen Heimatrecht finden.“

       (Siehe Martin Häusler: „Dienst an Kirche und Volk“, S. 246)

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       Deutscher Diakonentag 1933 – vor der alten Wichernschule

      Nach dem Kriege ist Jahnke als aktives CDU-Mitglied in der Hamburger Kommunalpolitik stark engagiert. Sein kirchenpolitisches Engagement im Dritten Reich bringt ihm in den 1970er Jahren bei der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit erhebliche Vorwürfe ein.

      Der für alle Ausbildungsbrüder wichtigste Mann ist danach an der Reihe: Bruder August Füßinger (siehe Band 11 „Genossen der Barmherzigkeit“).

      Er verdient besondere ausführlichere


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