Reisen Band 2. Gerstäcker Friedrich

Reisen Band 2 - Gerstäcker Friedrich


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       Das war short and sweet, und ich wußte im Anfang nicht, was ich daraus machen sollte; der Mann sah aber so ernst aus und hatte so entsetzlich viel zu tun - nicht mit Postbeförderung, sondern er war auch nebenbei Ausschenker in einem Schnapsladen, und bediente seine Kunden fortwährend, indeß er mich zu gleicher Zeit Thurn und Taxierte - daß ich ihm meine „drei Pfund Sterling" bis Yaß - einer Zwischenstation - geduldig auszahlte, und mir nun auch nicht weiter den Kopf über die geheimnißvolle Dame zerbrach, sondern meine Vorbereitungen zur morgenden Abreise traf und dem Schicksal dann ruhig seinen Lauf ließ. /63/ Der Nachmittag vier Uhr kam und mit ihm die Postkutsche, ein sehr bequemes und elegantes Fuhrwerk und unseren Postwagen nicht unähnlich, aber ohne Vorder- und Hinter- coupés, eine einfache, vortrefflich gepolsterte Kutsche. Vorsichtiger Weise war ich zeitig genug an Ort und Stelle, stieg ein und drückte mich nun behaglich in die eine Ecke auf den hintern Sitz. So, d e n hatt' ich sicher!

       Ich saß kaum ordentlich, als die Thür wieder aufging und eine Dame durch den galanten Kutscher einbefördert wurde - „ah, meine Schutzbefohlene!" dachte ich bei mir selber, und rückte etwas mehr in die Ecke - es war ein allerliebstes kleines Frauchen von etwa zwanzig bis einundzwanzig Jahren, mit einem kleinen rotbäckigen Säugling auf dem Arm. Der Sitz war breit genug, daß wir ganz bequem neben einander sitzen konnten, und die Dame nahm nach kurzem Gruß den andern Rücksitz ein. - „So, nun kann's fortgehen," dachte ich, hatte mich aber geirrt. Da öffnet sich behend ein zweites Tor, und daraus rannte nicht etwa etwas hervor, sondern da hinein wurde jetzt, wie es schien, durch die „Rückwirkung" zweier zinnoberroter Männergesichter eine Dame geschoben, welche die Muschel eines gewöhnlichen Schlittens vollkommen ausgefüllt hätte, und uns beide erstaunten Passagiere jetzt gerade so ansah, als ob sie fragen wollte: nun, welchen von Beiden soll ich zuerst totdrücken?

       Mein armer Rücksitz - die Höflichkeit gegen Damen erforderte, daß ich ihn aufgab, und dieser Koloß hätte die Höflichkeit gegen zwei Damen fordern können; ich glitt auf einen Vordersitz, Kürbis drückte sich neben meiner Schutzbefohlenen ein und entwickelte hier, zu meinem unbegrenzten Erstaunen, als sie den breiten rotbunten Shawl auseinanderschlug, ebenfalls einen kleinen und jetzt aus voller Kehle zu schreien beginnenden Staatsbürger, den sie bis dahin unter den weiten Halten ihres Tuches geborgen gehalten. Aber noch waren wir nicht zur Ruhe gekommen, als die Tür zum dritten Mal aufging, um jetzt nicht eine, nein, lieber Leser, sondern d r e i auf einmal einzulassen. Eine davon trug ebenfalls ein Kind, und die anderen beiden sahen sich, als sie herein waren, gleichfalls um, als ob sie nur erwarteten, ein paar /64/ kleine Schreier nachgereicht zu bekommen. - Damen schienen hier Kinder, wie bei uns Regen- oder Sonnenschirme bei sich zu führen.

       „Aber, um Gottes willen, wie viel sollen denn eigentlich hier noch herein ?“ frug ich jetzt in Verzweiflung den Kutscher. „Sechs!“ war die lakonische Antwort, und die Tür flog wieder zu.

       Sechs w a r e n wir schon, „ohne die Weiber und Kinder“, wie es in Schlachtberichten lauten würde - hier jedenfalls ohne die letzteren, und ich mußte trauernd zusehen, wie sich die Letztgekommene - irgend ein rücksichtsloses rotbäckiges Kind des Landes - mühsam, aber entschlossen zwischen meine arme kleine Schutzbefohlene - ja, wer um Gottes willen von allen diesen war es denn eigentlich? - hineinarbeitete.

       „Ist Ihr Gewehr geladen?“ schrie auf einmal die dicke Dame, die erst jetzt meine, zwischen Thür und Knie geklemmte Büchsflinte gewahr wurde, mit einem förmlichen Aufkreisch.

       „Nein, Madame,“ war meine, wenn auch artige, doch sehr lakonische Antwort.

       „Aber wenn es doch etwa –“

       „Es ist kein Korn Pulver darin –“

       „Aber wenn es nun platzt –„

       „Platzen?“ frug ich erstaunt und sah die korpulente Frau an, die wirklich ein Gesicht machte, als ob sie jeden Augenblick das Explodieren der entsetzlichen Waffe erwartete.

       Die wieder aufgerissene Tür unterbrach in diesem Augenblick unser Gespräch.

       „Only one more!“ rief der Kutscher, und wollte eben noch in Wirklichkeit eine Dame mit einem Kind hereinbefördern - das aber war zu viel. - Ich bin sehr gern in Damengesellschaft, aber man kann eine Sache auch übertreiben. - Glücklicher Weise saß ich dicht neben der Tür, nichtsdestoweniger hatte ich mein rechtes Knie so zwischen denen meiner schönen und unschönen Nachbarinnen eingeklemmt, die auch nicht einen Zoll breit zur Seite weichen konnten, daß es einer wirklichen Anstrengung bedurfte, um frei zu kommen. Kürbis, die mir gerade gegenübersaß, richtete sich so weit als möglich auf, /65/ schrie aber (ihr Kind, um Raum zum Bewegen zu geben, mit beiden Händen oben unter die Decke pressend) Mord, als der Kutscher, dem ich vor allen Dingen erst einmal mein Gewehr hinausgereicht hatte, ihr die Mündung gerade unter die Nase hielt. - Ich hielt mich nicht länger auf - dem Kutscher meine Hand gebend, der mich am Arm ergriff und mit Hilfe eines mitleidigen Beistehenden ins Freie zog, erreichte ich glücklich und tief aufatmend frische Luft, und meine kalifornische Zarape, wie noch einige andere Kleinigkeiten im Stich lassend, arbeitete ich mich „an Deck“, das heißt oben auf die Kutsche, wo ich schon eine Gesellschaft von sechs Personen versammelt fand.

       Als der Kutscher endlich aufstieg und die vier starken und wohlgenährten Pferde mit der Peitsche zum Mitfahren einlud, waren wir fast andertalb Dutzend Seelen auf der einen Achse.

       Es war das erste Mal, daß ich oben auf einem Wagen fuhr, und der tolle Galopp, mit dem unser Kutscher jetzt wahrscheinlich die verlorene Zeit einzuholen suchte, diente gerade nicht dazu, das etwas unbehagliche Gefühl, das mich da oben bei der Idee eines Umwerfens ergriff, zu beruhigen. Die Straßen dort sind aber ausgezeichnet, die Kutscher sehr sicher und mit ihren Tieren vertraut, und wir fuhren etwa sieben englische Meilen in verhältnißmäßig sehr kurzer Zeit. Glücklicher Weise erfuhr ich erst später, daß noch gar nicht so lange eben eine solche Kutsche auf dem nämlichen Wege, zwischen Paramatta und Sidney, bei einem tollen Wettfahren umgeschlagen sei, und sieben Personen augenblicklich tot und andere schwer verletzt worden wären.

       In vollem Galopp rasselten wir die Straße hinab, unserer nächsten Station entgegen, die wir aber erst nach Dunkelwerden erreichen sollten. Von den „oberen" Passagieren waren indessen schon hier und da mehrere heruntergeglitten; sie gehörten meistens in die kleinen Ortschaften oder aus die einzelnen Farmen, die am Wege lagen, und ließen sich bei ihrer Heimath oder wenigstens so nah' als möglich bei derselben „ausladen“. Auch aus dem Innern des Wagens sah ich mehrere Mal Helle Gewänder in der jetzt einbrechenden /66/ Dämmerung verschwinden, und sogar der Kürbis blieb in einem kleinen, einzeln stehenden Farmhaus, an dessen Thür ihn ein kleines mageres Männchen, vielleicht zärtlich harrend, jedenfalls eine große Stalllaterne hoch emporhaltend, um darunter wegzusehen, erwartete.

       Das Wetter sah wie Regen aus, und ich gedachte schon einen Operationsplan auszuführen, der mich wieder in das Innere des Wagens, wo ich jetzt auf Platz hoffen konnte, bringen sollte, als die Kutsche plötzlich vor einem niedern langen Gebäude hielt und uns angekündigt wurde, daß hier „Pferde und Wagen“ gewechselt werden sollten.

       Die Wirklichkeit sollte bald unsere traurigsten Erwartungen oder vielmehr Befürchtungen übertreffen: statt der geschlossenen Kalesche bekamen wir einen offenen Jagdwagen, zur auf Federn allerdings, aber mit harten Sitzen und dem Wind und Wetter erbarmungslos preisgegeben, und nach nur kurz gegönnter Frist, um etwas Abendbrod zu uns zu nehmen, ging die Reise wieder weiter, in die stockdunkle, regendrohende Nacht hinein.

       So machten wir vielleicht, gerade nicht in der besten Laune und überdicht geladen, zwanzig bis fünfundzwanzig Meilen, und hatten wir bis jetzt wenigstens noch erträglich gesessen, so sollten wir nun erfahren, was es eigentlich heiße, in Australien auf einer R o y a l – M a i l zu fahren. Hier wurden Wagen und Pferde wieder gewechselt, und wir bekamen jetzt eine ganz eigene, ja sogar eigentümliche Art von Beförderung - der jetzige Postwagen, ebenfalls offen wie der vorige, glich einem gewöhnlichen Leichenwagen - die Sitze waren an den Seiten angebracht, und bestanden aus zwei sehr schmalen und nur notdürftig gepolsterten Bänken, so schmal, daß sie in der Tat eher einer höchst unnützen Verzierung glichen, als zum wirklichen Gebrauch bestimmt schienen, und i n diesem Kasten, der sich nur darin von einem Leichenwagen unterschied, daß auf diesem eine Person bequem


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