Augusta - Ihre Ehe mit Wilhelm I.. Helmut H. Schulz
die Naturwissenschaften, der Ingenieur ist gefragt, nicht der Philologe. Der junge draufgängerische Kapitalismus erfindet, was wir heute Nationalökonomie nennen; das tat er nur nicht in Deutschland. Dieser neue Typus erzeugte technische Visionen, wollte die Welt verändern. Der Übergang von der einen auf die neue Produktionsweise zog eine Revolution nicht nur in den Volkswirtschaften nach sich; während sich anderswo die Leute mit der Erfindung von Dampfmaschinen beschäftigten, und Homer in ihrem realistischen bis brutalen Weltbild keinen Platz mehr hatte, befassten sich die Deutschen mit der physikalischen Unmöglichkeit eines Daseinsbeweises Gottes. Damit wird man Ehrenbürger im revolutionären Konvent. Zurück zu Karl August.
Das Jahr 1775 brachte eine andere Veränderung in das Dasein des jungen Herzogs, nicht bloß die Regentschaft; er heiratete am 3. Oktober Luise von Hessen-Darmstadt, womit der geschichtskundige Leser weiß, dass sich der Kreis, einmal geöffnet, mit einer Reihe anderer Allianzen schließen wird. Also, Karl August ist mit 18 Jahren ein verheirateter und regierender Großherzog, seine Erziehung ist abgeschlossen. Wir stecken nicht mehr tief im Rokoko, der Denk- und Lebensweise des Zeitalters Wielands, einem Gemisch von religiöser Skepsis, Aufklärung und diesseitiger Genussfreude. Der 18jährige Herrscher hat sich in Friedrich II. ein Vorbild erkoren. Preußens König steht auf der Höhe seines Erfolges; der Sieger in den Schlesischen Kriegen, entwickelt seinen Staat ökonomisch und politisch soweit es unter den gegebenen Umständen möglich. Unter Verwandten, Freunden und Feinden ist er als Philosoph bekannt, korrespondiert mit den berühmten Gelehrten seiner Zeit. Da uns einige Namen aus dieser Periode und dem Weimarer Kreis noch eine Weile begleiten werden, bis 1829, der Heirat Augustas, wird es angebracht sein, sie im Zusammenhang mit der Erziehung der Prinzessin aufzuzählen.
Da ist vor allem Karl Ludwig von Knebel zu nennen. Offizier, Hofmeister des Prinzen Konstantin, den er auf einer Europareise begleitete, wobei das Paar den jungen Goethe in Frankfurt aufsuchte. Das war eine folgenreiche Begegnung, denn über Knebel kam die Berufung des Verfassers der Leiden des jungen Werther, seit 1774 in den Buchläden, mit einigen Umwegen nach Weimar zustande. Knebel ist zeitlebens ein Bewunderer Goethes geblieben; er förderte die Verbindung zwischen dem Dichter und dem etwas jüngeren Karl August, ließ sich zuletzt, mit einer Apanage verabschiedet, in Jena nieder und dichtete für den Rest seines Lebens allerlei, so wie sie alle heute Vergessenes dichteten.
Als Augusta zur Welt kam, hatte Goethe allerdings den Höhepunkt seiner politischen Karriere erreicht oder sogar schon überschritten. In den Adelsstand ließ er sich 1782 erheben und übernahm die Präsidialschaft über die Finanzkammer, also einem wichtigen Ressort des damaligen Duodezstaates.
Hält man sich vergleichend vor Augen, wer zu Weimar den Ton angab und was dort unter Kultur und Literatur verstanden wurde, bedenkt man das Klima, in das die junge Augusta verpflanzt werden soll, so können die Verhältnisse nicht widersprüchlicher gedacht werden. Und Augusta wird sicherlich von Goethe, den sie gut kannte, mehr als einmal ein abfälliges Urteil über das Berliner Hundezeug gehört haben. Daran hatte sich zwar zur Zeit ihrer Eheschließung manches geändert, aber Sitz der Häupter der Romantischen Schule war nun einmal vorwiegend Berlin, und das offizielle Berlin hatte Schiller und Jean Paul die Anerkennung versagt. Es blickte möglicherweise mit einem tiefen Misstrauen, zumindest aber ohne Verständnis für das Klassische nach Weimar und seinem liberalen Kulturhof. Dieser Riss ging tiefer und lag länger zurück; er reichte bis in die Zeit lebhafter Aufklärerei zurück und datiert nicht erst seit der Romantik, die wiederum von den Weimarern verdammt wurde. Der Fall lag folgendermaßen:
Der Berliner Buchhändler Nicolai brachte 1774 einen Anti-Werther heraus, Freuden des jungen Werthers. Leiden und Freuden Werthers des Mannes. Vorne und zuletzt ein Gespräch. Berlin, bey Friedrich Nicolai 1775. So unglücklich der bandwurmlange Titel, so albern fiel das ganze Projekt aus. Heine beschreibt diesen Unsinn: Freund Nicolai hat nun wirklich einen veränderten Werther herausgegeben. Nach dieser Version hat sich der Held nicht totgeschossen, sondern nur mit Hühnerblut besudelt; denn statt Blei war die Pistole nur mit letzterem geladen. Werther wird lächerlich, bleibt leben, heiratet Charlotte, kurz endet noch tragischer als im Goethe’schen Original.
Auch Lessing, damals die unumstrittene moralische wie literarische Autorität, hatte seinerzeit Zweifel ob der vorgeschlagenen Lösung gehabt, sich aber gehütet, öffentlich darüber negativ zu urteilen. Alle gescheiten Leute schwiegen vorerst, betroffen von dem Realproblem eines Selbstmordes aus Liebeskummer. Konnte ein Buch eine solche Wirkung in der Öffentlichkeit auslösen, musste mehr dahinter stecken. Nickel, wie der Berliner Buchhändler scherzweise hieß, nutzte die Ratlosigkeit, drehte den Spieß in seinem Anti-Werther um, und lässt Albert auf Charlotte verzichten. Leider zeigt es sich, dass Werther zur Ehe untauglich ist. Das ersehnte Glück wird im Alltag zu einer Kette von Misshelligkeiten. Albert-Nickel greift ein und söhnt die beiden nach den Vorstellungen des Berliner Philisters miteinander aus. Das Buch war eine Infamie und eine handfeste Denunziation dazu. Da es nie wieder erscheinen dürfte, seien deshalb einige Passagen hergesetzt.
Gespräch. Personen. Ein Jüngling. Martin. Ein Mann. >s, der Henker hol’n Buch, die Leiden des jungen Werthers, sagte Hannes, ‘s dringt dir durch Mark und Bein, jede Ader schwillt dir, und ‘s Gehirn funkelt dir, dass du gleich aufmöchtest. - Ja, freilich,’s so ein Buch, sagte Martin, wer’s geschrieben hat, kann sich ruhig auf’s Haupt legen, und fürchte nicht, dass über hundert Jahr’n belesener Tölpel davon schwatzet. ‘s ist euch ein rar Buch, ihr Leute, seit neunundzwanzig Jahren, hat kein Mensch davon was gehört und gesehen.<
Nicolai benutzt hier die Sprache der Kraftgenies, des Sturm und Drang. Apokopierungen, fehlende Artikel und Pronomina verwandelten die deutsche Schriftsprache in einen abscheulichen Sud. Es geht weiter. >Martin: So? hast niemanden spitze Reden gegeben, wenn dir der Kopf warm war? Hatt’ Werther nicht auch ‘n Kopf? Und gab’s ihm’s schwarze Blut nicht gar ein, dass er Alberten ermorden wollte und Lotte dazu? Darf Werther alles und Albert nichts?, das wollt Werther selbst nicht. Ne, Hanns! Dein Held mag Werther sein, mein Held ist der Autor. Hannes: Da sieht man’s, bist ‘n alter, kalter weiser Kerl, der mit Werthern und mit seinen Leiden nicht sympathisieren kann. Liebst nit ‘n jungen braven Buben, voll Feu’r und Leben, und willst ‘s steifen, trockenen Aktenkrämer leben, wie Albert.<
Was nun folgt, ist eine Glanzleistung an Philiströsität; Martin Nickel Nicolai liefert sie. >Euch Kerlchen ist nichts recht, all’s wißt ihr besser, was der Welt nützt mögt ihr nicht lernen, denn ‘s wäre Brotwissenschaft, eingeführter guter Ordnung wollt ihr euch nicht fügen, denn ‘s wäre Einschränkung, was andere thun, mögt ihr nicht, wollt Originale sein, wollt es anders haben...< Der selbstzufriedene Aufklärer und Neologist Friedrich Nicolai kann die Lage der Jugend nicht durchschauen, geschweige denn verstehen. Und der gerissene Buchhändler-Goi weiß in diesem Falle alle Spießer auf seiner Seite. Es war vielleicht notwendig, den Werther zu rezensieren, bloß nicht von der Position dieses Mitläufers, dieses Opportunisten aus. Nach dem Vorschlag Nickels gibt Albert Lotte frei, wie oben schon angedeutet; die Beziehung wird kritisch, Werther will sein Leben schließen.
>Werther<, heißt es in dem Sudelbuch Nickel weiter, >erhielt die Pistolen, setzte seine vor den Kopf und drückte los, fiel zurück auf den Boden. Die Nachbarn liefen zu, und weil man noch Leben in ihm verspürte, ward er auf sein Bett gelegt. Indessen wurden Werthers zwei letzte Briefe an Lotten und der Brief an Alberten den letzteren gebracht und zugleich erscholl die Nachricht von Werthers trauriger That. Albert ließ dieselbe vor Lotte verbergen, las sämtliche Briefe, und ging ungesäumt nach Werthers Wohnung. Er fand ihn auf dem Bette liegend, das Gesicht und das Kleid mit Blut bedeckt. Er hatte eine Art von Konvulsion gehabt, nun lag er ruhig mit stillem Röcheln. Die Umstehenden traten weg und ließen beide allein. Werther hob die Hand ein wenig empor und bot sie Alberten. Nun triumphiere, sagte er, ich bin aus dem Wege! Ich komme nicht zu triumphieren, sprach Albert ruhig, sondern dich zu bedauern, und wenn’s möglich, dich zu trösten. Aber du bist rasch gewesen, Werther - Werther stieß für einen Hartverwundeten beinahe mit zu heftiger Stimme, viel unzusammenhängendes, garstiges Gewäsch aus, zum Lobe des süßen Gefühls der Freiheit diesen Kerker zu verlassen wenn man will.... Albert: Guter Werther, bist’n Thor! Wenn doch kalte Abstraktion nicht klüger wäre, als versengende Einbildung - Da laß dir’s Blut abwischen. Sah ich