Limit up - Sieben Jahre schwerelos. Uwe Woitzig

Limit up - Sieben Jahre schwerelos - Uwe Woitzig


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als in meinem Film, deshalb habe ich mich zunächst gar nicht erkannt. Dann begreife ich, dass ich mich in ihrem Film so sehe, wie meine Mutter mich versteht und wahrnimmt, was weit davon entfernt ist, wie ich mich selbst einschätze. Auch meinen Vater sehe ich so, wie meine Mutter ihn sieht, und auch das entspricht nicht meiner eigenen Vorstellung von ihm.

      Verwirrt gehe ich zurück in den Saal, in dem mein Film läuft. Ich schaue ihn mir noch einmal an. Auf einmal zweifle ich an dem, was ich sehe. Es ist meine eigene Geschichte, aber jetzt weiß ich, dass es nur eine aus meinem Blickwinkel erzählte Geschichte ist, die von anderen ganz anders erlebt wurde. Mir wird bewusst, dass ich mein Leben lang umsonst geschauspielert habe, weil kein Mensch mich so sieht, wie ich gesehen werden wollte. Die Menschen um mich herum haben von den dramatischen Ereignissen in meinem Film eigentlich gar nicht viel mitbekommen, weil sie so sehr auf ihren eigenen Film konzentriert waren. Alle lebten in ihrer eigenen Welt, in ihrer eigenen Geschichte. Und diese Geschichte ist für jeden seine Wahrheit.

      Das führt mich zu der Erkenntnis, dass die Meinungen der anderen über mich nur jene Figur betreffen, die in ihren Filmen mitspielte, also die sie selbst geschaffen haben. Was immer sie von mir denken, bezieht sich auf das von ihnen geschaffene Bild von mir, das ich in Wirklichkeit gar nicht bin. Selbst die Menschen, die mich am meisten lieben oder geliebt haben, kennen mich nicht und ich kenne sie auch nicht.

      Seit ich sieben Jahre mit meinen Hunden auf einem Berg in Tirol gelebt habe, der „Schatzberg“ hieß, verstehe ich mich selbst und die vielen Menschen, denen ich in meinem Leben bisher begegnet bin, viel besser. Der Leser wird in meinem Bericht über diese entscheidende Phase meines Lebens einige seiner Facetten entdecken und vielleicht den Mut finden, viele der aus Angst vor der Meinung Anderer unterdrückten Teile seines Potenzials ans Tageslicht zu holen und sie endlich zuzulassen. Ohne Furcht vor Kritik, Verurteilungen oder Misserfolgen. Es gibt kein schöneres Gefühl, als nach einem scheinbaren Niederschlag sich wieder aufzurappeln. Jede Katastrophe ist auch ein Grund zur Freude, denn sie befreit von einer Menge Ballast, Mühen und Sorgen. Sie ist eine Chance zum Neuanfang. Wie es so wunderbar in dem Film „Alexis Sorbas“ dargestellt wird, in dem Anthony Quinn nach dem Zusammenbruch der mühsam errichteten Seilbahn zu seinem vor Schreck erstarrten „Boss“ sagt: „Was für eine wunderbare Katastrophe!“ und mit ihm - tanzt.

       Viel unangenehmer sind die scheinbaren Erfolge. Sie erzeugen Verlustängste am Tag und Albträume in der Nacht. Auf der Höhe meines wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolges hatte ich eines Nachts einen merkwürdigen Traum, der mich schweißgebadet aufwachen ließ. Ich träumte, dass ich mich mit vielen anderen Menschen in einem Teerloch befand. Wir waren alle von Kopf bis Fuß mit dem klebrigen Zeug bedeckt, unfähig, schnell von einem Platz zum anderen zu wechseln, weil die schwarze Masse so zäh und dickflüssig war und unsere Bewegungsfreiheit auf ein Minimum reduzierte.

      Dieser Traum symbolisierte den inneren Zustand, den ich nach den ersten 35 Jahren meines Lebens erreicht hatte. Wie ich mich aus dem „Teerloch“ befreite, habe ich in meinem Buch „Hofgang im Handstand“ beschrieben. Es war mir gelungen, aus meiner alten Energie auszubrechen und mit mir spirituell, physisch und mental im Einklang zu sein.

      Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden, sagt Kierkegaard. Erst heute begreife ich die im wahrsten Sinne des Wortes wundervollen Mechanismen, die mich dahin gebracht haben, wo ich heute bin. Jetzt bin ich soweit und kann den Sinn meines Lebens, das scheinbar viele Irrwege, aber eine präzise Richtung hatte, erahnen.

      Meine Lebensgeschichte ist in Wirklichkeit nicht von Bedeutung. Sie ist nur ein Vehikel, das ich benutze, um meinen Erkenntnissen Authentizität zu verleihen.

      Kapitel 1

      Tausend Wolken inmitten ungezählter Bäche

      Und dazwischen ein Mensch voll innerer Ruhe.

      Bei Tage streift er durch die dunkelgrünen Hügel,

      Des Nachts schläft er unterhalb der Klippen.

      Sanft gehen die Jahreszeiten an ihm vorüber,

      Gelassen, rein – ohne irdische Bande.

      Welche Freuden! – Und worauf beruhen sie?

      Auf stiller Ruhe, herbstlichem Flusswasser gleich.

      (Hanshan)

      Die letzten Meter waren grausam. Gnadenlos stach mir die Augustsonne ins Genick. Der Schweiß lief unaufhörlich in meine Augen. Meine Lungen brannten. Meine Muskulatur hatte sich aufgelöst und meine Beine waren zu Gummi geworden. Dennoch gab ich nicht auf. Ich sah das verdammte Gipfelkreuz vor mir und wollte es berühren. Der Galtenberg, auf dessen höchsten Punkt ich gerade mit letzter Kraft zu taumelte, war der erste Berg, den ich in meiner neuen Heimat bestieg. Jedem erfahrenen Alpinisten würde sein Schwierigkeitsgrad nur ein müdes Lächeln entlocken. Aber für mich Ungeübten war der hinter mir liegende sechsstündige Aufstieg über felsiges Geröll und schartige Kanten bereits eine heftige Herausforderung gewesen. Speziell die letzten hundert Meter, die mich auf den steil aufragenden bizarren Felsen des Gipfels führten, hatten mich extrem gefordert.

      Der Boden war von Eis und harschem Schnee überzogen. Mühsam kämpfte ich mich auf dem glitschigen, äußerst tückischen Untergrund vorwärts. Immer wieder hatte ich den Halt verloren und war gestürzt. Mein ganzer Körper war mit Prellungen und Blutergüssen überzogen. Jeder Schritt sandte eine Welle des Schmerzes durch mich hindurch. Doch ich gab nicht auf und ging weiter. Schweißüberströmt und nach Luft ringend erreichte ich schließlich das Gipfelkreuz. Mit zitternden Beinen umarmte ich das eiskalte Holz des mächtigen Holzbalkens. Langsam ließ ich mich am Fuße des Symbols der in Tirol allgegenwärtigen katholischen Kirche nieder.

      Mein Herz raste. Deutlich vernahm ich das Pochen des Herzschlages in meinen Ohren. Vollkommen erschöpft öffnete ich mit zitternden Händen mühsam meinen Rucksack und holte die mitgebrachte Jause heraus. Nach den ersten Bissen von einem Käsebrot mit Gurke und einem großen Schluck kühlen Weins aus einer Thermosflasche kehrten meine Kräfte allmählich zurück. Erst jetzt schaute ich mich um. Ich war umgeben von Hunderten von Gipfeln, die majestätisch und unberührt von dem hektischen Treiben der Menschen in den wolkenlosen Himmel ragten. Das atemberaubende Alpenpanorama, das sich vor mir bis zum Horizont ausdehnte, versöhnte mich sofort mit der hinter mir liegenden Strapaze.

      Mit geschlossenen Augen genoss ich die warmen Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht und dachte daran, was ich, der rastlos suchende Junge aus dem Kohlenpott, in meinem Leben bisher alles erlebt hatte, bevor ich mir vor einigen Monaten unweit von hier ein Haus mietete.

      In meinen „wilden“ Zeiten gehörte ich zu der „Dorchester-Ritz-Danieli“ – Liga, übernachtete also nur in den Suiten der besten 5-Sterne-Hotels dieser Welt, hatte Zugang zu ein paar der feinsten Jachten der Erde, flog mit eigenen Privatfliegern und speiste nur in den besten Restaurants. Ich badete an 70 % der Traumstrände dieses Planeten, hatte einen Teil der Sahara durchquert und unter anderem auf dem Wiener Opernball, dem Ball de Rose in Monte Carlo und am Faschingsdienstag auf dem Markusplatz in Venedig im sündteuren mittelalterlichen Kostüm getanzt. Ich hatte Staatsempfänge besucht und war dreimal mit einem „IATA-First-Class-Ticket-Round-The-World“ um die Erde zu allen Orten gereist, die ich kennenlernen wollte. Mein damaliger Pass war so voll mit Visa, dass keins mehr hineinpasste.

      Ich leitete mit diversen Partnern zusammen fast zehn Jahre lang vier Unternehmen gleichzeitig: ein deutsches Brokerhaus in München, eine deutsche Privatbank, einen privaten Fernsehsender und ein mit einem griechischen Multimillionär gegründetes Brokerhaus mit Sitz in Monte Carlo. Nebenbei war ich Vizepräsident der European Heritage Foundation. Ich verdiente jährlich im siebenstelligen Bereich und jettete pausenlos zu Geschäftsterminen in der ersten Klasse um die Welt. Mein Leben und mein Geschäftsimperium schien ich perfekt im Griff zu haben. Doch schließlich war ich wegen Betrugs im Knast gelandet. Vermutlich, weil ich dem Schicksal gegenüber noch eine Schuld zu begleichen hatte. Ich hatte mit der Arbeit in meinen Firmen gegen die Normen der sozialen Strukturen verstoßen und musste diese Schicksalsschuld begleichen.

      Nicht geläutert, aber mit wesentlichen, für mich damals neuen Erkenntnissen


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