Wilde Welt. Gerstäcker Friedrich
den mit Militär erfüllten Ort zu betreten? - Nirgends ließ sich ein Reiter erkennen; die Straße /19/ war vollkommen menschenleer, und nur aus einigen der benachbarten Häuser tönte der Klang von Guitarren und Liedern.
Als er in's Zimmer zurückkam, faud er die Tische schon zur Seite gerückt und die Stühle gestellt. - Die jungen Mädchen saßen an der einen Seite der Stube; dicht vor ihnen, und ihnen halb zugedreht, der argentinische Officier, die Guitarre im linken Arm und mit den Fingern der rechten Hand leicht die Saiten im Fandangotact schlagend. Drei oder vier andere Gauchos, die ihm gegenüber saßen, hielten ebenfalls Guitarren in den Händen, und suchten sie alle gleich zu stimmen, daß der Wechselgesang nicht durch einen Mißton gestört würde.
„Und spielt Ihr auch das Instrument, Seňor?" frug der Officier, als Don Diego durch die Stube schritt und, die Plätze neben den jungen Damen besetzt findend, einen Stuhl dem Soldaten gegenüber einnahm.
„Ein wenig wohl," erwiderte der Fremde, „aber meine Hand scheint sich besser mit den Schnüren von Lasso und Bolas, wie mit den dünnen Saiten der Guitarre zu befreunden. Nichtsdestoweniger ist mir der Gesang das Liebste auf der Welt."
Der Officier nickte lächelnd mit dem Kopf, und dann einige kräftige Accorde als Introduction anschlagend, begann er mit melodischer Stimme ein kleines spanisches Liebeslied, bei dem er ziemlich deutliche Blicke nach der schweigend vor sich nieder sehenden Josefa warf:
„Sag' mir, daß Du mich magst, Caramba,
Liebst von ganzem Herzen -
Lieb' ich's, wenn Du mir's sagst, Caramba,
Wollen dann singen und scherzen.
Heute wag' ich es kaum, Caramba,
Alles Dir zu verkünden.
Morgen wird wie ein Traum, Caramba,
Sorgen und Leid verschwinden. -
Sag' mir. daß Du mich magst, Caramba,
Liebst von ganzem Herzen,
Lieb' ich's, wenn Du mir's sagst, Caramba,
Wollen dann singen und scherzen."
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Eins der jungen Mädchen hatte indessen ihrem Nachbar die Guitarre aus der Hand genommen, und mit einem leisen Lächeln präludirend, sang sie mit einer glockenhellen Stimme:
„Es sprengt ein Reiter die Steppe her -
Die Hufe berührten den Boden kaum.
Er kam herüber vom weiten Meer -
Und fand in den Pampas 'nen Ombubaum.
Einen Ombu, so hoch wie er keinen gesehn.
Und oben im Wipfel in Glanz und Licht,
Da saß ein Vogel so wunderschön -
Der Reiter verlangt ihn - bekommt ihn nicht."
Rasch griff der Argentiner in die Saiten:
„Da nimmt er den Lasso und wirft ihn hinein -
Die Schlinge fliegt aus und der Vogel ist sein."
In der Ecke saß ein alter Gaucho mit wildem, wirrem Bart, den Hut fest über die Augen gezogen. Er hatte bis jetzt mit seiner Guitarre die vorigen Melodien begleitet. Jetzt that er einen schrillen Griff und antwortete mit hoher, komisch klingender Fistelstimme, die Erwiderung des Mädchens nachahmend :
„Der Lasso ist kurz, und der Ombu ist hoch;
Das erste Mal nicht, daß der Wurf ihn betrog."
Die Zuhörer lachten, aber trotzig sang der Soldat:
„Und reicht nicht der Lasso - die Bolas zur Hand,
Die bringen den Vogel gewiß in den Sand."
Da sang die eine Wirthstochter wieder:
„Ei wollt Ihr mit Bolas ein Mädchen frei'n,
So möcht' ich Euch rathen, Seňor, laßt es sein.
Eine freundliche Statt findet wohl ein gut Wort,
Aber droht mit Gewalt und - der Vogel fliegt fort."
„Und flög' er auch fort," - sang der Officier,
„laß ihn fliegen, mein Kind, Ich sitze im Sattel und folge geschwind.
Den Zügel verhängt und den Lasso zur Hand,
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Durch Dornen und Busch und den lockeren Sand,
Wohin er auch flöge, ich bleibe ihm nah.
Und setzt er sich einmal - im Nu bin da."
Da nahm Don Diego die neben ihn hingelegte Guitarre, und während keiner der anderen Gauchos es wagte, dem übermüthigen Soldaten entgegen zu treten, begann er mit leiser, aber wunderbar ergreifender und zum Herzen sprechender Stimme, die aber gegen das Erde des Verses mächtig anschwoll:
„Es war ein Vogel, so wunderschön.
Ich habe noch keinen so weiter gesehn.
Der kam von Osten, weit über das Meer,
Er brachte den Oelzweig im Schnabel her.
Sein Kleid war silbern, mit himmlischem Schein,
Er sang so lieblich - frei sollt Ihr sein!
Er brach die Ketten - des Spaniers Joch,
Er hieß „libertad" - und heißt so noch!"
,,Bravo - bravo!" jubelten die Gaucho's dem Sänger zu; der Alte mit dem greisen Bart aber griff wild in seine Saiten und sang mit voller, tönender Stimme:
„Und frei war das Volk und frei war das Land,
Das alle Stämme wie Brüder verband.
Ein Jubelschrei ging vor der Botschaft her,
Vom Atlantischen hin bis zum Stillen Meer."
Wieder griff Don Diego einige Accorde, und während ihm Alles still und schweigend lauschte und Josefens Auge besonders in wachsender Spannung an seinen Worten hing, begann der Fremde wieder, kaum die Saiten berührend:
„Da kam ein Jäger mit wildem Troß,
Der traf den Vogel mit seinem Geschoß,
Verschwunden war da der Farben Gluth,
Der Vogel zuckte jetzt roth im Blut!"9
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Die Anspielung war zu deutlich, und der argentinische Officier, dem das Blut in die Schläfe schoß, entgegnete zornig, dem Fremden ohne Weiteres in sein Lied fallend:
„Du hast ihn bezeichnet den Feigen, Gesell,
Lavalia hieß er - doch mächtig und schnell
Erschien auch der Retter in dieser Noth
Und traf jenen feigen Verräther zum Tod.
Don Manuel Rosas war es - in Lust
Jauchzt ihm entgegen jedwede Brust,
Sein Schrei aber: Nieder der Schurken Troß
Mueran los Unitarios,
Und hoch auf den Händen, vom Volk gestellt,
Trug es den hohen, den göttlichen Held-
Trug es der Pampas würdigen Sohn,
Mit dem Rufe: Viva la federacion!"
Noch hatten sich die Insassen des Zimmers nicht entscheiden können, ob sie, schon aus alter Gewohnheit, in den Landesruf mit einstimmen sollten, als Diego, von seinem Sitz emporspringend, und wild dazu seine Saiten schlagend, einfiel:
„Viva la confederacion!
Den Schrei geb' ich mit, den Verräthern zum Hohn.
Viva das Volk und des