Gold!. Gerstäcker Friedrich
sitzen, ohne ein Wort mit irgend Jemandem zu sprechen. Nur auf das Meer starrte er dann hinaus, der Richtung zu, in der er Kalifornien wußte, und die Zwischendecks-Passagiere meinten dabei, er suche sich nur einen Platz unten im Wasser aus, wo er nächstens einmal bequem hineinspringen könne.
Die ersten Tage war er allerdings, und zwar ununterbrochen, auf dem Schiff umhergegangen, die verschiedenen Passagiere zu mustern. Er sah sie dann einzeln, wie sie an ihm vorüber- oder ihrer Beschäftigung nachgingen, starr und aufmerksam an, sprach aber mit keinem, und es schien ordentlich, als ob er Jemanden unter ihnen suche. Auch hatte er sich gleich am ersten Tage die Namenliste geben lassen und sie eifrig durchstudirt. Ob er freilich irgend einen Bekannten zu finden hoffte oder fürchtete, wußte Niemand, und es war wohl natürlich, daß sich die Passagiere, mit keiner weiteren Beschäftigung, über das sonderbare Betragen des Mannes /18/ die wunderlichsten Erzählungen bildeten. Da er sich aber still und anspruchslos zurückhielt, ermüdeten sie auch endlich, sich mit ihm zu beschäftigen, und fertigten ihn zuletzt mit dem schon erwähnten Beinamen ab.
Seine Frau war ein junges liebenswürdiges Wesen von kaum achtzehn oder neunzehn Jahren, und wenn sie an Deck erschien, wich sie nie von seiner Seite. Gegen sie selber blieb er auch immer zärtlich und aufmerksam, ja er konnte dann sogar heiter sein. Nur wenn sie ihn verließ, kam der düstere, unheimliche Geist über ihn. Heute freilich schien selbst ihre Nähe den sonst so wohlthätigen Einfluß auf ihn verloren zu haben. Mit dem Land in Sicht, war eine seltsame wilde Unruhe über ihn gekommen, und wieder und wieder lief er über das ganze Deck bis vorn zum Bugspriet, starrte hinüber nach der Küste, als ob er damit ihre Ankunft dort beschleunigen könne, und kehrte dann wieder auf das Quarterdeck zurück.
An Bord befand sich noch, als Kajüts-Passagier, ein alter Herr, ein Arzt, und nur schlichtweg der Doctor genannt - der sein Kojen-Nachbar und dabei der Einzige war, mit dem er sich manchmal unterhielt. Er klagte dann über Schmerzen im Kopf und Beklemmung auf der Brust, und ließ sich leichte Mittel von dem Arzt verschreiben. Diese nahm er auch gehorsam ein, aber das Uebel besserte sich nicht, und Doctor Rascher merkte bald, daß dem hartnäckigen Unwohlsein eine tiefere, das Gemüth betreffende und berührende Ursache zu Grunde liege. Alle Anspielungen darauf blieben jedoch erfolglos. Der Patient leugnete hartnäckig etwas Derartiges zu kennen, ja wich zuletzt ängstlich jeder nur dahin zielenden Andeutung aus. Er schien entschlossen, den fremden Doctor nicht zu seinem Vertrauten zu machen, und dieser konnte ihn natürlich nicht dazu zwingen, deshalb aber auch seinen Zustand nicht verbessern.
Der Amerikaner, dessen Name Hetson war, hatte wieder eine Weile über Bord gesehen, während Ohlers ihn schweigend und kopfschüttelnd betrachtete. Endlich richtete er sich auf, hob gegen Süden, von welcher Richtung sie hergekommen waren, wie drohend die geballte Faust, murmelte einige Worte /19/ in englischer Sprache, die weder der Apotheker noch Hufner verstanden, und wandte sich dann rasch wieder, um auf das Quarterdeck zurückzukehren. Die ihn umstehenden Zwischendecks-Passagiere hatte er keines Blicks gewürdigt.
„Ob sie wohl Narrenhäuser in San Francisco haben?" sagte Ohlers, der ihm nachsah, als er langsam über den Gangweg schritt - „wäre am Ende gar keine so üble Speculation, ein solches, etwas geräumiges Institut da drüben anzulegen. Eigentlich und genau genommen ist schon die Hälfte von Denen, die überhaupt jetzt hier hinüberlaufen, halb und halb verrückt, und daß es bei den Meisten drüben zum Ausbruche kommt, läßt sich mit Gewißheit annehmen. Ich muß mir die Sache doch einmal ordentlich überlegen/'
Hetson schritt indessen auf dem Quarterdeck auf und ab. Seine Frau ging zu ihm und legte ihren Arm in den seinen, und das schien ihn zu beruhigen; wenigstens verließ er bald daraus das Deck und stieg in seine Kajüte hinunter.
Der Mittag rückte jetzt heran, und Capitain wie Steuermann hatten sich mit ihren Instrumenten an Deck eingefunden, ihre Observationen zu nehmen. Leider aber versteckte sich gerade gegen zwölf Uhr die Sonne hinter dichten Wolken, und wenn auch die Seeleute hartnäckig versuchten wenigstens einen Schein ihrer Scheibe zu bekommen, blieb doch Alles vergeblich. Auf offener See hat das nun nicht viel zu sagen; das Schiff hält eben seinen Kurs, und ein heller Tag gleicht Alles wieder aus. Hier aber, dicht vor einer fremden Küste, deren Landmarken noch Keiner von ihnen kannte, mußten sie nothwendig eine mittägige Sonnen-Observation bekommen, um genau die Breite zu erfahren, in der sie sich befanden. Die Wolken verhinderten das, und doch rückten sie, bei der jetzt immer günstiger werdenden Brise, dem Land rasch näher. Das geschah aber nur, um möglicher Weise ein oder das andere Fahrzeug zu treffen, das ihnen den Weg zeigte, wenn sie nicht die Einfahrt selber von außen erkennen konnten. Jedenfalls mußten sie den Versuch machen.
Mehr und mehr traten jetzt auch die schlossen, felsigen und vollkommen kahlen Küstenberge des Festlandes vor, und deutlich konnten sie in deren Nähe mehrere Segel erkennen. An-/20/statt aber von diesen eine Richtung zu erfahren, wurden sie nur noch mehr irre gemacht, denn einige hielten nach Süden hinunter, andere nach Norden hinauf, während einzelne sogar ihren Cours änderten und von der Küste wieder abfielen. Es war augenscheinlich, daß diese alle die Einfahrt eben so wenig kannten wie sie selber, und gleichfalls ein Schiff, das sie führe, oder den nächsten Mittag erwarten wollten.
Die Leontine änderte jetzt ebenfalls ihren Cours, den starren Uferklippen nicht zu nahe zu kommen, und die Passagiere wußten gar nicht, was sie davon denken sollten. Draußen in offener See nämlich sind sie wohl gezwungen, der Führung des Capitains zu vertrauen. Sie selber haben keinen Anhaltepunkt für das Auge, und die Seeleute waren ja dafür verantwortlich, sie richtig an Ort und Stelle zu bringen; hier jedoch wurde das ganz etwas Anderes. Hier sahen sie das Land hell und klar mit all' seinen Einschnitten und Kuppen, seinen Bergen und Thälern liegen, und daß der Capitain dort nicht geradezu anlief und Anker warf, kam ihnen unverantwortlich vor und betrog sie nur wieder so viele Stunden um ihre kostbare Zeit. Die Gefahr, die ihnen und ihrem Schiff drohte, wenn ein schweres Wetter sie in der Nähe der fremden Küste betroffen hätte, kannten sie ja nicht.
Mr. Hetson war ebenfalls wieder an Deck gekommen, und besonders schien ihn hier der Anblick der fremden Schiffe aufzuregen. Er lief zum Capitain und verlangte von diesem zu wissen, was für Fahrzeuge das wären und wo sie herkämen. Da jedoch keins derselben geflaggt hatte, ließ sich das gar nicht bestimmen, und höchstens konnte ihm der Seemann nach der Bauart einzelner und der Stellung ihrer Segel die Vermuthung aussprechen, daß es Amerikaner, Engländer, Franzosen oder Deutsche seien.
Die Sonne neigte sich dem Horizont, und die Leontine, anstatt so rasch als möglich einen Ankerplatz zu suchen, hatte ihre Segel umgebraßt und hielt so viel sie konnte von der Küste ab. Die Passagiere deshalb, die sich für eine augenblickliche Landung vorbereitet hatten, waren gezwungen, ihre „Uferkleider" wieder auszuziehen, und unverhehltes Mißvergnügen herrschte ziemlich überall an Bord. Erst mit Dunkel/21/werden war der junge Amerikaner in seine Koje hinabgegangen, und die meisten der Passagiere hatten sich ebenfalls, trotz des wundervollen und warmen Abends, in die Haupt-Kajüte zurückgezogen, um mit Kartenspielen und einer Bowle den „hoffentlich letzten" Abend an Bord zu feiern. Nur der Doctor war mit dem Steuermann oben auf Deck eine Weile hin und her geschritten, und als diesen seine Geschäfte nach vorn riefen, irgend etwas an Segeln oder Tauwerk nachzusehen, blieb der Doctor allein zurück, lehnte sich über das Deck hinaus und schaute nach dem Steuerruder nieder, das in der leicht bewegten See einen Feuerstrudel zog und in tausend und tausend Funken blitzte und glitzerte.
„Doctor," flüsterte da eine leise, ängstliche Stimme an seiner Seite.
Rasch fuhr er empor, denn an der Stimme hatte er Mrs. Hetson, die Frau des Amerikaners, erkannt.
Die junge Dame stand auch wirklich, fest in ihren Shawl gehüllt, dicht neben ihm, und erstaunt rief er aus:
„Mrs. Hetson? und was führt Sie noch so spät in der feuchten Nachtluft hier allein an Deck? - wo ist Mr. Hetson?"
„Er schläft, Doctor,"' antwortete ihm die Frau, sichtlich erregt, „und ich habe den Augenblick benutzt, Sie einmal allein zu sprechen. Ich muß Sie sprechen, muß mit Ihnen reden, so lange das noch ungestört geschehen kann, und an Land zweifle ich fast, daß mir die Gelegenheit werden wird. Ich - ich weiß nur nicht, ob Sie Geduld haben, mir eine Viertelstunde Gehör zu schenken."
„Beste Mrs. Hetson," sagte der alte Mann freundlich