Bachmanns Boot. Helmut H. Schulz
liegt. Dann können Sie auch rein, wenn mal keiner hier ist. Na, dann kommen Sie ins Haus, ich bin für Ordnung in solchen Dingen", sagte der Meister.
"Ich ebenfalls."
Auf dem Rückweg im Wagen dachte der Kranke nach. Er besaß jetzt ein Boot, mit einer Vorderkajüte, sieben Meter lang und zweifünfzig breit. Noch lag es im Wasser; schwerfällig wippte es unter einer Abdeckplane auf und nieder und zerrte an den Seilen, mit denen es vorn und hinten festgemacht war. Sein Boot verfügte über einen Dieselmotor. Eigentlich hatte ihn der schwere Motor zum Kauf gereizt. In den nächsten Tagen musste das Boot hinausgebracht werden nach Schönerlinde.
Alles lief ziemlich glatt, stellte der Kranke fest. Es ging ihm weder besser noch schlechter, was er bis jetzt erreicht hatte, vermittelte ihm kein anderes Selbstgefühl. Im Gegenteil. Nach den vielen Wegen, die er wegen seines Bootes gemacht hatte, fühlte er sich erschöpft. Das Ganze geriet immer stärker zum Lächerlichen, fand er. Gleichwohl würde er das Boot zusammen mit dem Verkäufer an einem der folgenden Tage nach Schönerlinde bringen müssen.
Es war Mai. Die lieblichsten Tage des Jahres standen bevor. Zuhause angekommen, fuhr Bachmann den Wagen in die Garage und ging, obwohl er sich nach Ruhe sehnte, hinüber in den Keller, wo er sein Handwerkszeug aufbewahrte. Er stand eine Weile vor der Werkbank mit dem großen Schraubstock, musterte seine Stechbeitel und die nach Größe aufgereihten Schraubenzieher und Schraubenschlüssel. Was würde er davon brauchen? Was wollte er überhaupt mit seinem Boot machen?
Wahrscheinlich musste er es zuerst einmal genau ansehen, musste es kennenlernen. Sein Boot war für ihn bis jetzt gar nichts, eine unnütze und überflüssige Erwerbung, der lächerliche Einfall, die kindische Eingebung eines kranken Mannes.
An einem Balken hing ein Spiegel, von Spinnweben überzogen. Um sich besser betrachten zu können, entfernte Bachmann die klebrigen Fäden. Sein Gesicht stieß ihn ab. Der Mann mit den dunklen Ringen rund um die Augen, der wächsernen schlotternden Haut, diese ausdruckslose Maske, das war er nicht.
Schwer atmend setzte er sich und ließ ein paar Tropfen des bitteren Medikamentes auf der Zunge zergehen.
'Also', dachte er, 'also, du bist zwanzig Jahre lang in Watte gepackt worden, hattest Büro und Mitarbeiter, die dich hassten, fürchteten oder verachteten, du wurdest hin und her gefahren und es gab wenig, was du dir nicht hättest verschaffen können. Je nach Laune hast du gelobt oder getadelt. Ein Teil deiner Vorrechte diente dazu, andere zu korrumpieren. Natürlich wurde das nie so ausgesprochen.'
Er erschrak, denn der Mann, der eben gedacht hatte, das war er ebenfalls nicht. Solange er sich erinnern konnte, war er herumgehetzt worden. Zehn oder zwölf Arbeitsstunden galten als eine normale Leistung. Was würde eigentlich bleiben von diesem enormen Aufwand? Nichts? Ein guter Ruf? Das schon gar nicht. In seiner Funktion durfte ein guter Ruf eher als ein Versagen gelten.
Mit einer wegwerfenden Handbewegung erhob er sich und ging zur Treppe seiner Wohnung.
Sein Schlafzimmer lag im obersten Stockwerk des geräumigen Hauses. Weil es beiden angenehmer war, schliefen er und seine Frau seit Jahren getrennt. Weiter befanden sich oben zwei Gästezimmer und ein Bad.
Sein Zimmer war einfach eingerichtet, mit breitem Bett, seinem Kleiderschrank, einem kleinen runden Tisch und zwei Sesseln. Vom Balkon, seinem Lieblingsplatz, konnte er in den großen Garten hinuntersehen. Während er ein frisches Hemd überstreifte und die Krawatte neu band, sah er, dass seine Frau mit der Haushälterin den Abendbrottisch auf der Terrasse deckte. Sie unterhielten sich. Ohne dass er die Worte verstand, ahnte er, was sie redeten. Wahrscheinlich sprachen sie über ihn, denn sie sahen oft zu seinem Balkon hinauf. Am liebsten wäre er oben in seinem Zimmer geblieben, aber das ging nicht. Er hätte sich nur ihren Fragen ausgesetzt, um am Ende doch hinunterzugehen und mit seiner Frau und der Haushälterin zu essen. Deshalb zeigte er sich jetzt oben auf dem Balkon. Sie riefen etwas und er nickte.
"Kommst du?", fragte die Frau.
"Gleich", er ging zur Treppe, stieg abwärts und durchquerte den Salon, ohne einen Blick für die kostbaren alten Möbel, die behagliche Sitzbank um den großen Farbfernseher und betrat die Terrasse.
Er fühlte sich von seiner Frau und der Haushälterin prüfend gemustert. Gern hätte er sein Gesicht versteckt. Er wusste, wie er aussah. Auf seinem Teller 1ag ein Zeug, das sie reduzierkost nannten, etwas das sie gemeinsam in der Küche hergestellt hatten. Ohne das Essen anzurühren, schob er den Teller weg.
"Du musst einfach was essen, Bachmann", sagte seine Frau. Wie seine ehemaligen Untergebenen nannte sie ihn beim Familiennamen: Bachmann. Immer hatte er geahnt, was hinter diesem Getue steckte, Unterwerfung, Ablehnung, Verachtung. Die Anrede: Bachmann -, bezeichnete die Entfernung zwischen ihr und ihm ziemlich gut.
"Sie sollten wirklich etwas essen, Herr Doktor", die Haushälterin mischte sich ein.
Es lohnte für ihn nicht zu antworten. Sie suchte sich immer lieb Kind zu machen, nicht nur bei seiner Frau, sondern auch bei ihm, je nach den Umständen.
"Du warst aus?"
Bachmann nickte.
"Du musst dich schonen", sagte seine Frau vorwurfsvoll.
Wieder nickte er und berechnete, wieviel Rente sie nach seinem Tode bekommen würde. Viel, jedenfalls genug, um dieses Leben weiterzuführen und zwar ohne ihn. Sie würde dann nicht mehr die Rolle seiner Krankenschwester spielen müssen.
"Du bist unvernünftig", bohrte sie weiter.
Sie hatte natürlich den Motor seines Wagens gehört.
Nun sah er sie voll an. Ihr helles Haar schien in immer gleichen Locken und Wellen zu fallen, ihre Augen hatten den leeren Blick, den Porzellanfiguren haben. Er fand nichts Besonderes an seiner Frau, außer einer tadellosen, makellosen Sauberkeit.
Sein Blick glitt ab, glitt zur Seite, weil seine Frau länger standgehalten hatte als er. Für Sekunden waren ihre Blicke wie Klingen gegeneinandergeprallt. Ohne Zweifel war sie im Augenblick die Stärkere. Diese Zeit kostete sie natürlich aus. Sie nahm Rache. Wofür nahm sie Rache? An ihrem Zusammenleben hatte sie doch zur Hälfte teil.
"Ich will mich hinlegen", sagte er.
"Gut", sagte die Frau, "der Professor meint auch, dass du nicht stundenlang herumfahren darfst."
"Aber bewegen soll ich mich auch", verteidigte sich Bachmann. Zu seinen Ärzten hatte er längst kein Vertrauen mehr, obschon sie sich Mühe mit ihm gaben, wie er einräumen musste. Er misstraute ihrem System, nicht den Frauen und Männern im weißen Kittel, für die wohl alles, was mit ihm geschah, zufällig ablief. Ob er starb oder ob er weiterlebte, hatte mit ihm als Person, als Bachmann, nichts zu tun. Erst während seines Aufenthalts im Krankenhaus war ihm bewusst geworden, wie leichtfertig er früher mit statistischen Zahlen verfahren war. Es war plötzlich nicht mehr gleichgültig, ob er oder ein anderer starb, ob sein Name auf dieser oder jener Seite der Liste erschien. Auch heute ärgerte ihn die Tatsache, dass der große Gleichmacher, wie ihn früher die Armen genannten hatten, mit ihm umgehen konnte wie mit Hinz und Kunz. Das war nicht in Ordnung, aber es ließ sich nicht ändern, nur mildern.
Ihn quälte all diese sinnlose Grübelei. Falsches und Richtiges warf er in einen Topf. Jedenfalls führte keiner seiner Ärzte wirklich das Gespräch mit ihm. Er fragte sich, was man überhaupt noch von einem Arzt erwarten durfte.
"Ich werde in nächster Zeit überhaupt viel draußen zu tun haben." Vorsichtig deutete er an, was er vorhatte, nämlich sich auf eigene Faust aus dem Dreck zu ziehen oder zu krepieren, wenn es nicht mehr zu leben lohnte.
"Schön", sagte sie, "du hast ja den Garten."
"Nicht im Garten", verärgert über ihre Begriffsstutzigkeit ging er zurück ins Haus, um mit dem Verkäufer zu telefonieren. Er erinnerte ihn an die Verabredung, das Boot gemeinsam an einen anderen Liegeplatz zu bringen. Sie fanden einen für beide günstigen Termin.
"Mit wem hast du telefoniert?" fragte sie von der Terrasse her, und als er nicht antwortete, hörte er laut seinen Namen rufen. Er zeigte sich noch einmal in der Tür.
"Du