Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten. Gerstäcker Friedrich

Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten - Gerstäcker Friedrich


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      Gesammelte Schriften

      von

      Friedrich Gerstäcker.

      Zwanzigster Band.

      Volks- und Familien-Ausgabe.

      Das alte Haus. — Heimliche und unheimliche

      Geschichten.

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      Jena,

      Hermann Costenoble.

      Verlagsbuchhandlung.

      Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig 2020

      Das alte Haus

      Erzählung.

      Zweite Auflage.

      Heimliche und unheimliche Geschichten

      Gesammelte Erzählungen.

      Zweite Auflage.

      von

      Friedrich Gerstäcker.

      Jena,

      Hermann Costenoble.

      Verlagsbuchhandlung.

      Ausgabe letzter Hand, ungekürzt, mit den Seitenzahlen der Vorlage

      Gefördert durch die Richard-Borek-Stiftung und Stiftung Braunschweigischer Kuilturbesitz

      Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig 2020

      Geschäftsstelle Am Uhlenbusch 17, 38108 Braunschweig

      Alle Rechte vorbehalten © 2020

      Die Ahnung einer uns umgebenden fremden und geheimnißvollen Welt liegt uns einmal im Blut. Wie wenig Menschen - ja ich weiß nicht einmal, ob einer unter allen - sind ganz vom Aberglauben frei? Ein wenig davon mag auch vielleicht nicht schaden - du lieber Gott, wie nah' liegt Glauben und Aberglauben überhaupt beisammen! Es bleibt eine Art von Poesie, die uns bestätigt, daß wir nicht blos lebende Maschinen sind - ein angenehm aufregendes Räthsel, das uns der Weltgeist aufgegeben hat, und als solches mögen wir es betrachten und uns immerhin mit der Lösung ein wenig den Kopf zerbrechen. Nur Macht und Gewalt dürfen wir es nicht über uns gewinnen lassen, und - wenn wir uns nicht der Aufgabe vollkommen gewachsen fühlen, sollen wir nicht mit jenem Etwas spielen, das uns geheimnißvoll und ernst umgiebt. Es wird sonst zu einem scharfen Messer in der Hand eines Kindes.

      Friedrich Gerstäcker

      Das alte Haus

      I.

      In einer der Hauptstraßen von Hellburg stand vor noch gar nicht so langen Jahren ein steinernes, uraltes Gebäude aus früherer Zeit - wie Viele sogar behaupteten, das älteste Gebäude der Stadt - mit wunderlich geschnitzten Giebeln und Gewänden, künstlich gespannten Fenster- und Thürbogen und großen eisernen drachen- und lindwurmköpfigen Dachrinnen, die der Zeit, wie allen die Straßen aus- oder abwehenden Stürmen die langen, grimmig ausgeschnittenen Zähne gezeigt hatten, und bei heftigen Regengüssen, zum Aerger der Vorübergehenden, ganze Ströme Wassers in die Mitte der Straße sprudelten. Ueber der Thür waren zwei sonderbare Gestalten in Stein ausgehauen, die einen Türken und einen Christen vorstellten, und auch zwischen den Fenstern hatte der Baumeister, dessen Urenkel mit zu den Ahnen der jetzigen Generation gehörten, manche behelmte und bewehrte Gestalt angebracht. Nirgends aber fand sich ein Heiligenbild, nirgends ein Engelsköpfchen, das sonst mit seinen dicken Bäckchen trostbringend aus manchen Verzierungen anderer, fast eben so alter Gebäude herausbläst. Kein frommer Märtyrer mit zerrissenen Gliedern und rundem Heiligenscheine war in der ganzen Masse von Schnitzwerk zu finden; kein frommes Sprüchlein, kein Vers, kein Kreuz angebracht, selbst nicht auf dem Schilde des Ritters über der Thür.

      Wie die Dachrinnen Unthiere darstellten, die nur hinten an den Schwänzen von irgend einer wohlthätigen Macht zurückgehalten und verhindert wurden, sich auf die ruhig /8/ Vorübergehenden niederzustürzen und all' ihren zähnefletschenden Grimm an ihnen auszulasten, so trugen kleine boshafte Faun- und Teufelslarven die Fenstersimse und hier und da angebrachte Nischen-Console, und ungeschlachte, halb Thier-, halb Menschenbilder stützten, die Krallenftnger in die dürren Seiten stemmend, Erker und Balkon. Jedenfalls hatte ein wunderlicher Geschmack das Haus erbaut.

      Seit langen, langen Jahren nicht bewohnt, war es nach dem Tode des letzten, schon lange verstorbenen Besitzers, und in Folge des darob entstandenen Rechtsstreites zwischen den außer Landes wohnenden Erben, verschlossen und versiegelt worden. Darüber verging die Zeit, und wie das so mit Processen geht, erinnerten sich jetzt ganz alte Leute aus ihrer Jugendzeit noch der großen, der Thür angedrückten Siegel, zu denen sie damals mit stummer Ehrfurcht aufgeschaut. Nichtsnutzige Menschen hatten diese später einmal beschädigt - vielleicht um einen hochweisen Rath zu kränken oder den Nachtwächter zu ärgern - und jetzt waren Streifen Blech über die neu aufgedrückten genagelt worden, um sie zu schützen - denn der Proceß dauerte ruhig fort.

      Andere Nachtschwärmer klopften auch früher einmal in frechem Muthwillen mit dem alten eisernen Thürhammer an die versiegelte Pforte, daß der Ton hohl und markerschütternd durch die öden Räume schallte. Als aber bald darauf dumpfe Gerüchte die Stadt durchliefen, daß in der nächsten Nacht bleiche, entsetzliche Gestalten an das Lager jener Ruhestörer getreten wären, sie zu fragen, was sie an dem alten Hause gewollt, gingen von der Zeit an Kinder wie Erwachsene in stiller, unheimlicher Scheu an der verschlossenen Thür vorüber. Niemand belästigte das alte Gebäude weiter, und die Volkssage füllte gar bald jene düsteren, durch gelbe, schwer- seidene Gardinen dicht verhängten Räume mit unheimlichen, spukhaften Gestalten und Wesen an.

      Jahre vergingen indeß; von dem alten Hause wurde fast nicht weiter gesprochen, bis es der Nachtwächter wieder einmal in's Gerede bringen wollte. Er behauptete nämlich, und beschwor es hoch und heilig, mehrere Male Nachts zu unbestimmten Stunden Licht in einem der Fenster hinter den /9/ düsteren Gardinen gesehen zu haben; aber trotz allem Wachen und Aufpassen konnte Niemand weiter etwas Aehnliches entdecken.. Der Schimmer, den der Nachtwächter bemerkt haben wollte, war jedenfalls der Mond oder vielleicht auch der Wiederschein eines Lichtes aus der gegenüber liegenden Häuserreihe gewesen, und wer wußte überhaupt, was der außerdem halb blinde Mann da gesehen zu haben glaubte! Das Gerücht verlor sich wie es gekommen.

      Auf der rechten Seite des „alten Hauses", das dort hlnaus gar keine Fenster zeigte, lag ein dazugehörendes kleines Grundstück, von dem Rathe der Stadt benutzt, um Bauholz abzulagern. Große Haufen aufgeschichteter Bretter und Balken thürmten sich hier empor, und waren von der Straße selbst nur durch eine hohe, weiß angestrichene Planke geschieden. Nach links zu schlossen sich dagegen die anderen Gebäude der Straße dicht daran an, und das nur durch die starke Brandmauer davon geschiedene Nachbarhaus gehörte dem Regierungs- und Stadtrathe Hechner.

      Dieser hatte allerdings schon seit mehreren Jahren versucht, die an sein Grundstück stoßenden, unbenutzt liegenden Räumlichkeiten vergleichsweise und käuflich an sich zu bringen, aber ohne Erfolg. Beide Parteien schienen den geerbten Prozeß, den sie wohl verlieren, aber nicht verkaufen dürften, als eine Art Ehrensache zu betrachten.

      Das Haus des Regierungsraths Hechner mußte übrigens mit dem sogenannten „alten Hause" in früherer Zeit, wenn nicht gerade dazu gehörig, doch in unmittelbarer Verbindung gestanden haben. Auf der halben Treppe, unter der ersten Etage, befand sich nämlich noch eine alte eiserne, niedrig gewölbte und von innen verriegelte Thür. Dieser frühere Communicationsweg zeigte jedoch nach außen weder Schloß noch Drücker, nicht einmal ein Schlüsselloch, sondern nur eine glatte, mit starken Barren verwahrte Fläche, die, wenn überhaupt, nur hätte von der innern Seite geöffnet werden können.

      Aus Nachlässigkeit oder Unachtsamkeit war aber diese Thür damals nicht mit versiegelt worden; oder man hatte sie auch als mit der Wand identisch angesehen und eine ge-/10/richtliche Verwahrung derselben nicht für nöthig befunden. Beim Malen der Treppe ließ dann später der Regierungsrath die Haspen und Querbarren soviel als möglich mit Kalk bewerfen, um deren Erhabenheiten weniger auffallend zu machen, und die Thür mit der andern Wand gleichmäßig anstreichen. Wer deshalb nicht wußte, daß sich dort eine Thür befand, konnte es nicht leicht erkennen.


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