Ich träum von dir.... Ellen Sommer
haben zu rutschen, falls die Bremsen wieder versagten. Mir war aber klar, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis ich die Suzi bei Tom unterstellen musste. Ich hoffte, dass sich die Wetterlage bis Montagabend hielt. Immerhin war es jetzt, bis auf Frühnebel, sogar trocken. Lille nahm mich in ihre Arme und küsste mich. So fing der Tag doch schon mal wirklich gut an. „Musst du am Wochenende eigentlich arbeiten?“ „Hm, heute und morgen Abend schon, aber am Sonntag hätte ich Zeit.“ Ich grinste sie an und hoffte, dass sie verstand, worauf ich hinauswollte. „Am Sonntag ist Oma bei Luise zum Geburtstag eingeladen, da habe ich auch Zeit“, jubelte Lille und ich dachte, besser konnte der Tag gar nicht werden. Das waren doch Mal Aussichten für dieses Wochenende! Die Ernüchterung kam sogleich. Sara stellte sich zu uns und rief: „Hey, ihr zwei, wenn ihr am Sonntag keine Lieder im Altenheim singen wollt, sollten wir jetzt lossprinten, sonst sind wir zu spät zur Englischstunde.“ Recht hatte sie, aber konnte man uns nicht mal ein paar Minuten Zeit am Morgen, oder irgendwann am Tag, gönnen? Ich war jetzt ziemlich genervt, nahm Lilles Hand und zog sie hinter mir her die Treppen hoch. Irgendwie hatte ich den Eindruck, wir verbrachten unsere Zeit mehr mit Rennen und Abhetzen zum Unterricht, als sonst wie. Da fiel mir ein, dass wir ja unser Referat für Bio jetzt noch gar nicht angefangen hatten, das damit am Sonntag also auch noch auf dem Programm stand.
Lille
Als ich aus der Schule heimkam, war Oma schon da und hatte es sich wirklich nicht nehmen lassen, selber schon mal die Pfannkuchen zu backen. „Du solltest dich doch schonen, Oma!“ Sie nickte. „Ich kann mich herrlich beim Kochen entspannen. Das ist für mich Schonung pur.“ Das war für mich jetzt nicht so ganz nachvollziehbar, aber gut. Sie wollte wissen, wie es in der Schule war und ich konnte sie beruhigen, dass momentan alles einigermaßen gut lief. Es war fast schon langweilig gut. Oma lächelte. „Heute Nachmittag kommen Selma und Luise und wir wollen einen Spaziergang machen. Hast du morgen Zeit für die Adventsdeko?“ Ich nickte. Ja, morgen müsste Chris sowieso arbeiten. Das wäre okay für mich. So viel, wie Oma eingekauft hatte, würden wir vermutlich wirklich den ganzen Tag brauchen, um die Sachen aufzuhängen. Aber ich hatte ja auch nichts anderes vor. „Oma, ich muss noch ein Bioreferat mit Chris vorbereiten. Das würde ich gerne am Sonntag machen, weil wir es vor dem Konzert am Montag bestimmt nicht schaffen und am Dienstag brauchen wir es schon.“ Sie runzelte die Stirn und guckte für einen Moment sehr ernst über ihren Brillenrand, sagte dann aber nichts. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich kurz die Luft angehalten hatte, sodass mein nächster Atemzug unangenehm laut in der stillen Küche klang. Ich war heilfroh, dass ich nach dem Abwasch in mein Zimmer verschwinden konnte. Das war ja Mal einfacher gegangen als gedacht. Aber irgendwas stimmte mit Oma nicht. Statt mich zu freuen, war ich irgendwie irritiert.
-6-
Chris
Nach dem Ausschlafen brachte ich endlich mein Zimmer auf Vordermann. Ich freute mich sehr auf den Nachmittag mit Lille und fand es super, dass sie gestern schon Vorarbeit zu dem Referat geleistet hatte, sodass wir mehr Zeit für uns hatten. Carlos und Matthis waren gestern Abend auch erst spät heimgekommen und so saßen wir drei total verschlafen in der Küche und tranken wortkarg unseren Kaffee. Die beiden hatten eine richtige industrielle Kaffeemaschine mit Espressomühle und Dampfstrahl, sodass man sich genialen Cappuccino machen konnte. Sie war zwar deutlich lauter als eine normale Maschine, aber danach war man dann wach. „Das ist italienische Leidenschaft“, hatte Carlos mir am ersten Morgen nach dem Einzug vorgeschwärmt. Ich war begeistert. „Magst du noch einen Toast?“, fragte mich Matthis, der gerade an der Küchentheke stand und die Toasts rausholte. „Och, ja, bevor ich mich schlagen lasse.“ Carlos grinste: „Würden wir nie tun! Wann gibt es denn jetzt eigentlich diese versprochene Pizza Diavolo?“ „Soll ich nachher welche machen?“, bot ich an, aber da fiel mir ein, dass ich dann ja noch weniger Zeit mit Lille hätte und hätte mich ohrfeigen können. „Heute ist nicht so gut, da sind wir bei Eileen eingeladen.“ Oh, das war doch mal prima. „Wie wäre es mit Mittwoch? Da muss ich nicht arbeiten.“ Und bis dahin würde ich Celias Bruder noch mal wegen des Rezepts für die Sauce anhauen können. „Mittwoch ist gut“, bestätigte auch Matthis und schob mir meinen Toast über den Tisch. Gut, dass wir das somit geklärt hatten. Ich freute mich jetzt noch mehr auf Lille und biss erstmal genüsslich in den Toast. Wie ich solches Glück gehabt hatte, bei den beiden ein Zimmer zu ergattern, war mir nach wie vor schleierhaft, aber ich war einfach nur froh, dass Lille damals die gute Idee mit dem schwarzen Brett an der Uni hatte. Matthis sprang plötzlich vom Frühstückstisch auf: „Hmmmpf.“ Carlos und ich zuckten überrascht zusammen. „Was ist denn jetzt los?“, fragte Carlos erstaunt. „Ich hatte gerade DIE IDEE für die Einrichtung von Tinas Laden. Das muss ich jetzt schnell mal aufmalen.“ Und schon verschwand er in sein Zimmer. Carlos grinste. „Ich dachte, er hätte sich auf seine Zunge gebissen“, und dann mussten wir beide lachen. Matthis war eine ganze Weile beschäftigt. Carlos und ich deckten einfach mal seine Sachen mit ab. „Kalter Toast schmeckt eh nicht mehr“, meinte Carlos, als er den Rest in den Mülleimer verfrachtete. Zu zweit waren wir schnell mit dem Küchenputz fertig. Ich verschwand auch in mein Zimmer, um noch den Rest der Hausaufgaben zu erledigen, bevor Lille kam.
Lille
Heute sah es in der Küche und im ganzen Haus schon total weihnachtlich aus bei Oma. Ich war erstaunt, dass es irgendwie ins Haus passte und gar nicht so kitschig war, wie ich gedacht hatte. Wir hatten zwar gestern den ganzen Tag gebraucht, um das Haus umzudekorieren, aber es hatte sich gelohnt. Bei 13 Grad draußen hätten zwar Ostereier besser an die Zweige gepasst, aber ich wollte mich nicht beschweren. Oma ging heute mit ihren Freundinnen Luise und Selma in ein Konzert zur Feier von Luises Geburtstag und ich war überrascht, dass sie jetzt richtig ausgehfreudig wurde. So kannte ich sie gar nicht. Ich war aber ganz froh, dass sie Ablenkung hatte und sich nicht ständig bei Chris und mir einmischte. Von Selmas Hund Seppi und Luises Enkel Boris fing sie zum Glück nicht mehr an. Vielleicht hatte er ja auch was erwähnt. Das war das schlimmste Date meines Lebens gewesen. Na ja, eigentlich war das Date ganz nett, aber den Abschiedskuss hätte er sich lieber sparen sollen, dann könnten wir heute wenigstens noch Freunde sein… Um zwei schnappte ich mir meinen Rucksack und zockelte zur Bushaltestelle. Mit dem Bus brauchte ich fast eine Stunde bis zu Chris, weil der einen riesigen Umweg fuhr, aber ich wollte Oma nicht schon wieder fragen, ob sie mich fahren konnte und dass meine Vespa derweil verschrottet war, hatte ich langsam auch kapiert. Ich hoffte, dass Chris mich nachher mit seiner Suzi heimfahren würde, denn dann hätten wir noch ein paar Minuten mehr voneinander. Irgendwie fuchste es mich, dass ich immer noch nicht genau wusste, wie das mit dem Teppich funktionierte und wieso meine Vespa kaputt war, wenn Chris doch hier derjenige war, der den Motorradunfall hatte und nicht ich. Plötzlich kam mir der erschreckende Gedanke, dass ich womöglich auch so einen Blackout hatte, wie Chris und dass ich mich nur nicht daran erinnerte, im Krankenhaus gewesen zu sein. Das würde auch erklären, wieso ich mich in diesem Krankenhausbett gesehen hatte. OH MEIN GOTT! Das war die Erklärung! Ich war zutiefst geschockt. Wieso sagte mir keiner, dass ich auch einen Unfall hatte? Ich kam völlig verstört bei Chris an. Fast hätte ich die Ausstiegshaltestelle verpasst und ich konnte gerade noch rechtzeitig aus dem Bus springen, bevor die Tür schon wieder zu ging. „Hey Lille, was ist dir denn passiert?“, fragte mich Chris, als er die Tür aufmachte. Ich schaute ihn ganz verzweifelt an und merkte, dass mir Tränen in die Augen schossen. „Hey, du! Komm doch erst einmal rein.“ Er zog mich leise an sich und zusammen durchquerten wir den Flur. Seine Zimmertür ließ er diesmal unabgeschlossen, das bekam ich aber irgendwie gar nicht richtig mit. Ich heulte, was das Zeug hielt und Chris schüttelte mehrmals den Kopf, weil ich immer noch nicht in der Lage war, irgendwas zu erklären. Nach einer gefühlten Ewigkeit, hatte ich mich zumindest so weit beruhigt, dass ich ihn um ein Glas Wasser bitten konnte. Jetzt hatte ich vom Heulen Schluckauf. Das hasste ich am allermeisten. Ich regte mich so auf, dass ich fast wieder zu weinen anfing. Chris kniete sich zwischen meine Beine, nachdem ich, völlig fertig, auf sein Bett gesackt war. „Also, jetzt erzähl mal: Ist was mit Oma?“ Ich schüttelte meinen Kopf. „Ist dir was passiert?“ Ich schüttelte wieder den Kopf. Chris dachte nach: „Hat dich jemand geärgert?“ Ich musste unter Tränen grinsen, weil ich mir jetzt total dämlich vorkam. Was war ich nur für ein hysterisches Huhn. Er hatte ja keine Ahnung. „Nein, alles nicht, Chris. Mir ist nur gerade eingefallen, wieso meine Vespa nicht mehr in Omas Garage steht – zumindest glaube ich, dass ich jetzt weiß, wieso.“ Chris zog die Augenbrauen