Alarm. Erich Muhsam
lehren, leichte Schultern tragen
Und freien Sinn in übermütigen Brüsten.
Ich stoß ins Horn. Noch einmal. – Doch ich staune:
Die Menschen lachen, die ich wecken wollte,
Als ob ein Mißton in die Lüfte rollte. –
Es muß ein Sandkorn sein in der Posaune.
1912
Lumpenlied
Kein Schlips am Hals, kein Geld im Sack.
Wir sind ein schäbiges Lumpenpack,
Auf das der Bürger speit.
Der Bürger blank von Stiebellack,
Mit Ordenszacken auf dem Frack,
Der Bürger mit dem Chapeau claque,
Fromm und voll Redlichkeit.
Der Bürger speit und hat auch recht.
Er hat Geschmeide gold und echt. –
Wir haben Schnaps im Bauch.
Wer Schnaps im Bauch hat, ist bezecht,
Und wer bezecht ist, der erfrecht
Zu Dingen sich, die jener schlecht
Und niedrig findet auch.
Der Bürger kann gesittet sein,
Er lernte Bibel und Latein. –
Wir lernen nur den Neid.
Wer Porter trinkt und Schampus-Wein,
Lustwandelt fein im Sonnenschein,
Der bürstet sich, wenn unserein
Ihn anrührt mit dem Kleid.
Wo hat der Bürger alles her:
Den Geldsack und das Schießgewehr?
Er stiehlt es grad wie wir.
Bloß macht man uns das Stehlen schwer.
Doch er kriegt mehr als sein Begehr.
Er schröpft dazu die Taschen leer
Von allem Arbeitstier.
O, wär' ich doch ein reicher Mann,
Der ohne Mühe stehlen kann,
Gepriesen und geehrt.
Träf ich euch auf der Straße dann,
Ihr Strohkumpane, Fritz, Johann,
Ihr Lumpenvolk, ich spie' euch an. –
Das seid ihr Hunde wert!
1909
Weltjammer
Wie sie heulen, wie sie flennen,
Wie sie sich geschäftig rackern!
Leben heißt den armen Knackern
Jammern und nach Gelde rennen.
Schätze haben, meint der Reiche,
Macht nicht glücklich und zufrieden.
Nur die Gründe sind verschieden,
Doch die Sorge bleibt die gleiche.
Keine haben, meint der Arme,
Schafft erst recht Verdruß und Trauer!
König, Dame, Magd und Bauer –
Alles stöhnt, daß Gott erbarme.
Ich nur lache. Gräßlich öde
Dünkt mich Welt und Mensch und Leben.
Muß denn alles wimmern, beben?
Gott ist doch ein Erztragöde!
Derweil ich erhaben gähne
Ob dem Jammern und dem Weinen,
Kugelt mir aus meinem einen
Äuglein eine dicke Träne.
1906
Von meiner Hoffnung laß ich nicht,
Ich ließe denn mein Leben,
Daß einmal noch das Weltgericht
Ein Lächeln muß umschweben.
Und kann es nicht durch Gott geschehn,
Daß sich die Menschheit liebe.
So muß es mit dem Teufel gehn,
Dem sich die Welt verschriebe.
Der Teufel hol' Gesetz und Zwang
Samt allen toten Lettern!
Er leih' dem Geiste Mut und Drang,
Die Tafeln zu zerschmettern!
Am Anfang trennte Gottes Rat
Die Guten von den Bösen.
Am Ende steht die Menschentat,
Den Gottesbann zu lösen.
Stumm starrt der Weltengeist und friert,
Wo wild Begriffe toben.
Wenn einst das Wort die Tat gebiert,
Wird er uns lächelnd loben.
1902
Es schwillt die Kraft.
Mein Blut drängt vor durch Rauch und Schlacht,
Steht auch die ganze Welt verschworen
Mit Satans ganzer Höllenmacht.
Des Feinds vergiftete Geschosse
Umschwirren meine Seele wild.
Jedoch der Mut ist mein Genosse,
Und meine Liebe ist mein Schild.
Und ruht der Kampf in fernen Stunden,
Und Friede kehrt ins Herz mir ein,
Dann werden meine heiligen Wunden
Das Mal beglückter Menschheit sein.
1912
Der Revoluzzer
Der deutschen Sozialdemokratie gewidmet
War einmal ein Revoluzzer,
im Zivilstand Lampenputzer;
ging im Revoluzzerschritt
mit den Revoluzzern mit.
Und er schrie: »Ich revolüzze!«
Und die Revoluzzermütze
schob er auf das linke Ohr,
kam sich höchst gefährlich vor.
Doch die Revoluzzer schritten
mitten in der Straßen Mitten,
wo er sonsten unverdrutzt
alle Gaslaternen putzt.
Sie vom Boden zu entfernen,
rupfte man die Gaslaternen
aus dem Straßenpflaster aus,
zwecks des Barrikadenbaus.
Aber unser Revoluzzer
schrie: »Ich bin der Lampenputzer
dieses guten Leuchtelichts.
Bitte, bitte, tut ihm nichts!
Wenn wir ihn' das Licht ausdrehen,