Karibisches Reisetagebuch. Ludwig Witzani
ich fest, allerdings einem ewigen Dämmerlicht ausgesetzt, das den Leuten aufs Gemüt schlagen musste. Da würde auch das Bild eines prachtvollen Horizontes, das anstelle eines Fensters an der Wand hing, nicht helfen.
Eine freudige Überraschung bot das Abendessen, dessen Opulenz überraschte. Fleisch und Fisch bis zum Abwinken, Pasta, Salate, Krabben, Suppen, Vor – und Nachspeisen und durchaus trinkbare Weine standen zur Verfügung. Nur die Zahl der Tische in den Restaurants war vielleicht etwas knapp bemessen, so dass man gezwungen war, sich zu anderen Gästen an die Tische zu setzen, was allerdings kein Problem darstellte. Auf diese Weise unterhielten wir uns mit einer Reihe von Paaren und lernten, dass die Konversation unter Kreuzfahrtteilnehmern vor allem darin bestand, sich gegenseitig von seinen bereits absolvierten Kreuzfahrtreisen zu erzählen. Da wir Neulinge waren, konnten wir in dieser Hinsicht wenig anbieten, denn von Backpackerreisen durch Südamerika wollte auf der AIDAdiva niemand etwas hören. Eine Tischnachbarin erzählte, dass sie schon zwölf Kreuzfahrtreisen mit allen namhaften Anbietern hinter sich gebracht hatte, wobei sie nicht unwitzig anmerkte, dass dieses Leben von Kreuzfahrt zu Kreuzfahrt sie in einen Kugelfisch verwandelt hätte, das hieß, dass sie auf den Kreuzfahrten mächtig zunahm und in den kreuzfahrtfreien Intervallen alles wieder abhungern musste. Ihr Mann folgte dieser Erzählung ohne sichtbare Anteilnahme, weil er diese Geschichte wahrscheinlich schon hundertmal gehört hatte. Mir aber war sie neu, ich nickte artig und lachte an den richtigen Stellen, trank und trank und war nach dem Abendessen fast zu knülle, um an der obligatorischen „Rettungsübung“ teilzunehmen. Diese Rettungsübung gehörte übrigens zu den wenigen Pflichtterminen, die ein Kreuzfahrtpassagier auf keinen Fall versäumen durfte. Punkt 20:00 Uhr erklang ein markerschütterndes Alarmsignal als Zeichen dafür, dass jedermann mit seiner Rettungsweste zu einem bestimmten Ort des Schiffes rennen musste. Dort warteten bereits die Offiziere, die die Anwesenheit penibel kontrollierten, um uns nach einer Viertelstunde wieder wegzuschicken.
Der Tag endete schließlich mit dem ersten Höhepunkt unserer Reise. Langsam legte das Schiff ab, und während aus riesigen Boxen Enya-Musik erklang, fuhr die gigantische AIDAdiva in die schwarze Nacht hinein. Ein Moment der Ergriffenheit, dessen Intensität mich verwunderte. Wie schön wäre es gewesen, jetzt mit meiner Gattin einen Merlot zu trinken, doch leider war die Rotweinflasche, die ich im Koffer mit aufs Schiff geschmuggelt hatte, geplatzt und ausgelaufen. Dass ich eine Rotweinflasche mit auf ein All-Inklusive Schiff geschmuggelt hatte, zeigte einmal mehr, was für ein Kreuzfahrt-Depp ich noch war.
Seetag auf der AIDAdiva.
Aufgabenstellung: Finden Sie die freie Liege
Unsere Kreuzfahrt begann mit einem „Seetag“, während dem unser Schiff einen Tag lang von der Dominikanischen Republik quer durch die östliche Karibik zu den niederländischen Antillen fuhr. Unter „Seetag“ versteht man jene Reisetage, in denen das Schiff nur Strecke macht und nirgendwo anlegt. Die Reiseprospekte suggerieren, dass man an solchen Tagen die Beine am Pool lang legen, sich rundum entspannen und die Seele baumeln lassen kann. Das sollte sich als glatte Lüge herausstellen. Möglicherweise war man bei der Planung des Schiffes davon ausgegangen, dass ein Viertel der zweitausend Passagiere den Seetag verschlief, ein Viertel shoppte, ein weiteres Viertel aß, so dass sich dann nur noch gut fünfhundert Menschen auf dem Pooldeck drängeln würden. Diese Rechnung war natürlich irreal, denn schon am frühen Morgen unseres ersten Seetages herrschte ein hektisches Gedränge auf dem Oberdeck. So früh sie konnten, blockierten die Leute die Liegen, um auf ihnen unverdrossen, fast verstockt, in der Sonne zu braten. Mein Leben lang hat mir vor überfüllten Stränden gegraut, nun sah ich mich auf der AIDAdiva einer endzeitlichen Ballung nackten Fleisches auf engstem Raum gegenüber. Überall Bewachung persönlich beanspruchter Räume, misstrauisches Beäugen von Neuankömmlingen oder Nachbarn, die möglicherweise in den eigenen Bezirk vordringen wollten. Geräusche wie in einem Hallenschwimmbad, konterkariert von den Klängen einer karibischen Kombo, die emsig vor sich hin dudelte. Natürlich war keine Liege mehr frei, als wir nach dem Frühstück den Poolbereich betraten. Mit Mühe ergatterten wir zwei freie Stühle, mit denen wir uns an die Reling setzten und aufs Meer blickten. Dieser Anblick war schön, aber auf Dauer langweilig, so dass wir uns schon nach zwei Stunden wieder in unsere Kabinen zurückzogen.
Wer während eines Seetages auf dem Pooldeck keine Liege erhielt, konnte sich immerhin mit dem Essen trösten. Essen und Trinken konnte man praktisch den ganzen Tag, angefangen um 6:00 Uhr in der Pizzeria May beim „Kaffeetrinken für Frühaufsteher“ dann wurde zwischen 7-11 Uhr in mehreren Restaurants das Frühstück serviert. Eine der beiden essensfreien Perioden am Tag war die Zeit zwischen 11 Uhr, wenn das Frühstück endete und 12:30 Uhr, dem Beginn des Mittagessens. Am frühen Nachmittag überschnitten sich das Ende des Mittagessens und der Beginn der Kaffee- und Kuchenzeit. Zwischen dem Ende der Kaffeezeit um 17:00 Uhr bis zum Beginn des Abendessens um 18:00 Uhr war wieder essensfrei, was man dazu nutzen konnte, ausgiebig auf die Toilette zu gehen. Warme Speisen inklusive Wein in Karaffen gab es bis 21:30 Uhr, dann blieb noch die Pizzeria, die bis Mitternacht geöffnet hatte. Danach waren 6 Stunden Schlaf angesagt, ehe es um 6:00 Uhr mit dem „Kaffee für Frühaufsteher“ wieder losging.
Immerhin war es bemerkenswert, wie sich der Dresscode bei den Essterminen schon nach kurzer Zeit auf einen Mittelwert zwischen „noch nicht ganz schlampig“ und „fast zu fein“ einpendelte. Ich selbst befand mich mit meinen langärmligen Hemden fast schon im oberen Segment. Mein mitgenommenes Dinner-Jackett aber würde ganz bestimmt nicht zum Einsatz kommen.
Das abendliche Programm war erstklassig, professionell und gekonnt, aber für die Künstler unbefriedigend. Denn die Zuschauer im „Theatro“ waren zwar interessiert und gutmütig, aber über alle Maßen mit der Verdauung beschäftigt.
Eine wesentliche Einnahmequelle von Kreuzfahrtschiffen bestand im Angebot von sogenannten „Tagesausflügen“. Man erreichte eine Insel, wurde als kompakte Gruppe in einen Bus verfrachtet und nahm an einem Halb- oder Ganztagesausflug ins Hinterland, zu Kulturattraktionen, Wasserfällen oder Stränden teil. Diese Touren kosteten in der Regel zwischen 50 und 120 Dollar und gingen ganz schön ins Geld. Erfahrene Kreuzfahrt-Profis begegneten diesen Preisen durch Webseiten wie „Auf eigene Faust“ oder Ähnlichem, auf denen man bereits vor der Reise Mitstreiter suchen konnte, um mit Hilfe von einheimischen Anbietern die Inseln preiswert zu erkunden. Die Taxifahrer, die vor Ort auf solche Kreuzfahrt-Touristen warten, waren bereits kreuzfahrtadaptiert und wussten, dass sich die Kreuzfahrtteilnehmer untereinander auf Internetseiten austauschten und dass man deswegen nicht folgenlos die Sau rauslassen konnte. Wir als Kreuzfahrtneulinge mussten erst nach und nach in diesem Geschäft heimisch werden. So vollzog sich unsere Reise als eine Mischung aus selbstorganisierten Touren und gebuchten Ausflügen.
Die Geschichte
Eine Reise durch die Karibik ist ein merkwürdiges Ding. Man bereist Räume, in den nichts, aber auch gar nichts mehr an die schrecklichen Verwüstungen erinnert, die die karibische Geschichte prägten. Bridgetown auf Barbados war einer der größten Sklavenumschlagplätze der Welt, heute erinnert daran nichts mehr als die kümmerliche Skulptur eines rebellischen Sklaven am Stadtrand. Fast völlig verschwunden sind die Indianer, sowohl auf den Kleinen wie auf den Großen Antillen, und die Weißen, die heute nur noch als Minderheit etwa auf den Kleinen Antillen leben, haben nichts mehr gemein mit den brutalen Menschenschindern früherer Jahrhunderte. Geblieben sind nur das Meer, die Palmen und die Sonne, der zauberhafte Schauplatz einer blutigen Geschichte, die für die Welt weit wichtiger war, als man gemeinhin annimmt. Dazu einige kursorische, einführende Bemerkungen. Auf weiterführende Literatur wird im Anhang verwiesen.
1. Die indigenen Völker
Die Besiedlung der karibischen Inseln und vor allem der Kleinen Antillen vollzog sich in drei Schüben. Schon im 2. vorchristlichen Jahrtausend erschienen (1) die sogenannten „Ciboney“ als