Raban und Röiven Der Feuervogel. Norbert Wibben

Raban und Röiven Der Feuervogel - Norbert Wibben


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liebt das Reisen mittels magischem Sprung sehr und genießt es, hin und wieder seinen Enkel dabei begleiten zu können.

      »Ich komme ja schon. Nur nicht so hastig.« Bei den letzten Worten öffnet Finnegan die Haustür und schaut suchend umher. »Wo versteckst du dich denn?«, fragt der noch rüstige Mann erstaunt. Er fasst sich an den Kopf. »Habe ich schon Wunschvorstellungen? Ich meinte doch jetzt tatsächlich Rabans Stimme gehört zu haben.« Kopfschüttelnd schließt er die Eingangstür und geht nachdenklich ins Haus zurück, als er auch schon die Antwort auf seine Fragen hört:

      »Ich bin’s wirklich, hier im Wohnzimmer. Du willst doch nicht, dass ich draußen erscheine. Du weißt schon, wegen der Nachbarn!«

      Finnegan steht jetzt vor seinem Enkel.

      »Natürlich weiß ich das. Ich habe aber gerade noch an den Sommer gedacht und wie schön es war, als wir zusammen das Rätsel der Hekate lösen wollten. Da befürchtete ich schon, deine Stimme nur im Kopf vernommen, also mir eingebildet zu haben. Hey, ich freue mich, dass du mich besuchst.« Während dieser Rede haben sich beide zur Begrüßung umarmt. Röiven ist inzwischen zu einer Stuhllehne geflattert, von wo er den alten Mann mit lautem Gekrächze begrüßt.

      »Ich verstehe dich zwar nicht«, erwidert Finnegan, »aber ich freue mich auch, dich zu sehen.« An den Jungen gewandt fragt er: »Möchtest du einen heißen Kakao? Gut, dann mache ich uns einen. Und für deinen Freund ein paar Brocken Schokolade, richtig?« Grinsend verschwindet er, um die angekündigten Dinge zu holen, begleitet von einem begeisterten Knarzen des großen Vogels.

      »Dein Großvater kennt mich aber gut. Ich muss schon sagen. Vielleicht sollte ich ihn auch mal ohne dich besuchen, nur so, damit er nicht so einsam ist.«

      »Du bist mir der Richtige. Es wird dann nur etwas problematisch mit eurer Unterhaltung«, lacht Raban.

      »Das lässt sich leicht ändern. Ich könnte ihm ja etwas von mein…«

      »Röiven, mein Freund«, unterbricht ihn der Junge, der sofort ernst wird, »das lass bitte bleiben. Du schwächst dich doch dabei. Halt, ich weiß was du sagen willst. Ich kenne und bewundere deine Zauberkräfte, trotzdem wissen wir nicht, was auf uns zukommt. Vielleicht wird es wichtig, jeden kleinen Funken unserer Kräfte einsetzen zu können. – Und, Schokolade kannst du jederzeit von mir bekommen. Du musst nur einen Ton sagen.«

      »Einverstanden. Aber nur einen Ton sagen, hilft nicht immer.«

      »Wie, wann hätte ich darauf nicht reagiert?« Raban staunt.

      »Na, heute Morgen, ähem, nicht Morgen. Als deine Mutter uns geweckt hatte und von dem Essen sprach, das sie uns bereiten wollte. Das war, noch bevor sie davon sprach, dass … das andere Frühstück der Nachbarkatze geben zu wollen.«

      »Und da hattest du den Wunsch nach Schokolade geäußert?«

      »Ja. Ich fragte, ob ich vielleicht irgendwo ein Stück Schokolade bekommen könnte.«

      »Das habe ich dann wohl überhört. Entschuldige bitte. Vermutlich ging mir noch Minervas Vermutung durch den Kopf. Beim nächsten Mal überhöre ich das bestimmt nicht. Falls aber doch, melde dich einfach noch einmal. Oder zeige mir, wie erschöpft du bist und dringend der Stärkung bedarfst. Auf dein Torkeln reagiere ich bestimmt.« Jetzt lacht Raban, worin Röiven nach kurzem Zögern kollernd einstimmt.

      »Habe ich etwas verpasst? Ihr scheint ja recht guter Laune zu sein. So, mein gefiederter Freund, hier ist die versprochene Schokolade. Und für uns beide, Raban, heiße Schokolade mit einer Spur Zimt.« Die nächsten Minuten sitzen sie schweigend um den Wohnzimmertisch, jeder in eigene Gedanken versunken. Zuerst ist Röiven fertig, wie es auch zu erwarten war. Er klappert mit den Augendeckeln.

      »Danke, das hat mir gutgetan.« Finnegan schaut den Raben an und entgegnet:

      »Es freut mich, dass es dir geschmeckt hat.« Das klingt so, als ob er den Vogel verstanden hätte.

      »Wow«, knarzt der schwarze Vogel, »dein Großvater ist wirklich schlau. Er hat mich sicher nicht verstanden, trotzdem passt seine Antwort genau.«

      »Das ist nicht wirklich schwierig, so schnell wie du die Brocken verputzt hast. Das macht doch nur jemand, dem es gut schmeckt oder jemand, der Angst hat, nicht genug von einer Leckerei zu bekommen. In beiden Fällen passt seine Antwort.«

      »Du willst mich nur wieder necken, aber mit dem Bauch voller Schokolade bleibe ich völlig gelassen. Die gibt mir die Kraft, ruhig zu bleiben, auch wenn ein vorwitziger Knabe mich zu reizen versucht. Du kannst es ruhig nochmal probieren. Na, kommt noch etwas?«

      »Nein.« Der letzte Austausch erfolgte gedanklich, jetzt spricht Raban seine Worte aus, damit sein Großvater ihn verstehen kann. »Aber du hast Recht, mein Opa ist wirklich sehr schlau. Das hat er bewiesen, als wir das Rätsel der Hekate lösen wollten und im vorigen Jahr, als wir es mit Baran und dem Haupt der Medusa zu tun hatten.« Der Junge schaut jetzt Finnegan an, der leise hüstelt und erwidert:

      »Jetzt mal langsam. Das hatte nichts mit Schlauheit, sondern nur mit erlerntem Wissen zu tun.« Trotzdem leuchtet sein Gesicht vor Freude darüber, dass ihn sein Enkel gerade derart gelobt hat. »Kann es sein, dass du wieder ein Rätsel lösen möchtest, bei dem ich dir helfen soll. Hat es wieder mit den Griechen oder jetzt mit einem anderen Volk zu tun?« Er zwinkert seinen Enkel vergnügt an. Der Kolkrabe hüpft aufgeregt auf der Stuhllehne herum und krakelt:

      »Er ist wirklich schlau, er weiß sogar schon, dass es um ein anderes Volk geht.«

      »Röiven stellt gerade fest«, übersetzt Raban, »wie schlau du bist, da du mein Kommen richtig interpretierst. Also, es geht tatsächlich um ein Rätsel, bei dem du helfen …«

      »Halt. Ich weiß auch, worum es geht. Es betrifft die toten Tiere in den Steinkreisen und die seltsamen Zeichen auf den Steinen. Stimmt’s?«

      »Das stimmt. Das überrascht mich jetzt aber.«

      »Wirklich? Ich lese doch auch Zeitung und habe die Berichte gesehen. Da ich außerdem weiß, wie gerne du Rätsel löst, hatte ich mir schon gedacht, dass du sicher auch darüber grübelst.«

      »Nicht nur das. Ich mache mir Sorgen, dass es etwas mit den dunklen Zauberern zu tun haben könnte.« Jetzt berichtet der Junge von seinen Überlegungen und was Minerva ihm gesagt hat.

      Nach längerem Schweigen fasst Finnegan zusammen:

      »Hm. Also geht es diesmal um ein anderes Volk als die Griechen, oder sollten sie …? Nein, Minerva hat Recht. Die Steinkreise wurden lange vor der Zeit der Griechen errichtet. Aber was wissen wir über das alte Volk? Wohin sind sie damals gegangen, wenn sie weggezogen und nicht untergegangen sind? Warum sollten sie jetzt wieder hier sein, wenn sie in der Zwischenzeit woanders gelebt haben?«

      »Opa. Was weißt du über das alte Volk? Gab es unter ihnen auch Zauberer und brachten sie ihren Göttern Tieropfer dar? – Wenn das so sein sollte, könnten sie in der Lage sein, eine Zeitreise durchzuführen? Das würde erklären, warum einige der Steinkreise plötzlich für diese seltsamen Rituale genutzt wurden.«

      »Langsam, Raban. Ich weiß nichts über die Erbauer der Steinkreise oder über das alte Volk, wie Minerva sie nennt. Ich vermute, wir wissen nur deshalb so wenig über sie, weil sie keine schriftlichen Aufzeichnungen hinterlassen haben, beispielsweise durch Runen auf Steinen oder noch einfacher, als Zeichnungen. Sie müssen nicht unbedingt verschwunden sein, sie könnten sich im Laufe der Jahrtausende weiterentwickelt haben, ohne dass die Verbindung zur damaligen Zeit sichtbar geblieben ist. – Halt, sei nicht enttäuscht. – Ich weiß aber etwas über Steinkreise, also das, was heute mit ihnen in Verbindung gebracht wird. Darüber habe ich einiges in den letzten Tagen gelesen.«

      »Bitte, erzähl schon. Vielleicht trägt das zur Lösung der seltsamen Ereignisse bei.« Der Junge ist aufgeregt. Und Röiven knarzt:

      »Ich sag’s doch, dein Großvater ist schlau.«

      »Soll ich uns vorher noch eine Tasse Kakao machen? Nein?« Finnegan hat eigentlich auch


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