Der Sündenfall. Helmut H. Schulz

Der Sündenfall - Helmut H. Schulz


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eines Handwerkers. Im Laufe der Zeit eignete er sich gleichsam nebenher Kenntnisse über landwirtschaftliche Maschinen an, baute um, konstruierte und erhielt am Leben, was ohne ihn auseinandergefallen wäre. Mitte 1950 entstand die Genossenschaft in Groß-N., Zander konnte kein Mitglied werden, dazu hätte er einen Anteil einbringen müssen, den er nicht besaß, aber er übernahm die Reparaturwerkstatt als Leiter. Für die bäuerlichen Genossenschaftler wie für die selbstständig gebliebenen Universalbauern - bis 1960 gab es noch welche in Groß-N. - war Zander unbezahlbar, denn es mangelte an allem, jede Schraube war kostbar, jeder Reifen eine Rarität.

      In freien Stunden war Hermann Zander ein geselliger Mensch, der gern Leben um sich hatte, und gutmütig wie häufig in sich ruhende Leute mit beschränktem Aufnahmevermögen. Er wirkte männlich; bei den geltenden Wertvorstellungen auf dem Lande musste Zander auffallen. Körperbau und Gesichtsausdruck - Zander war groß und kräftig, hatte blaue Augen und dichte schwarze Brauen bei vollem, ergrautem Haupthaar - passten in die Vorstellungen der Bauern von einem Könner. Immer sauber gekleidet, mäßiger Trinker, war er auch von den Frauen geachtet.

      Zanders erste Frau und seine beiden Kinder waren in der Stadtwohnung verbrannt; diese Nachricht erhielt er während seiner Genesung im Lazarett. Nach seiner Entlassung aus der Wehrmacht versuchte er gar nicht mehr, in der Stadt ein Quartier zu bekommen, sondern ging direkt nach Groß-N.; dort fand er seine zweite Frau unter den Flüchtlingen aus dem Osten. Das Dorf musste einige Familien aufnehmen, aber die Bauern wehrten sich jäh und oft erfolgreich gegen die unliebsamen Einquartierungen. Die leer stehenden Wochenendhäuser in der Siedlung boten denen eine notdürftige Bleibe, die anderswo nicht untergekommen waren. Zander nahm eine alte Frau und deren Tochter auf. Sein Haus hatte zwei Zimmer, eine Küche und eine Veranda, die im Winter eiskalt war. An Sachen besaßen die Frauen, was in einen Koffer und in einen Persilkarton hineinging. Die alte Frau lebte nur noch ein paar Monate; sie wurde auf dem Dorffriedhof beigesetzt. Kurz danach heiratete Zander die junge Frau. Georg wurde 1946 geboren, er blieb das einzige Kind dieser Ehe.

      Maria Zander, geborene Klett, war etwas kleiner als ihr Mann, also von Mittelgröße. Ihr rundes weiches Gesicht wäre eines vom Dutzend gewesen ohne den Ausdruck heiterer Sinnlichkeit. Es ist schon vorstellenswert: Da lebte einer mit Frau und Kind so um die frühen Fünfziger in einer ordentlichen Welt, in der er sich als Herr fühlte. Frau und Sohn waren ihm zwar nicht untertan, standen aber seiner Anschauung nach in der Rangfolge unter ihm. Er herrschte; trotzdem waren sie glücklich oder doch zufrieden mit ihrem Leben. Es hätte ihnen schlechter gehen können, als es ihnen ging. Geld bedeutete beiden viel, aber nicht alles. Zu kaufen gab es ohnehin nichts. Er half, sie half, Freundschaft war noch nicht zur Beziehung verkommen, der Vorstufe zur Korruption. Sie brauchten nicht viel, wünschten nicht, was sie nicht haben konnten, und erwarben unter Anstrengung, was sie brauchten. Zum Beispiel bauten sie lange an dem Haus herum. Wem das Wort Glück zu abgegriffen ist oder unpassend für diese kümmerliche Eintracht, der möge ein anderes für den Zustand finden, in dem die Familie Zander lebte.

      Mittelpunkt ihres Interesses wurde mehr und mehr Georg; das Bürschlein regierte in Haus und Garten, wie Spätgeborene und Einzige regieren. In althergebrachter Weise fürchtete die Mutter um seine Gesundheit, obschon es keinen Grund zur Besorgnis gab. Dem Vater lag die geistige, und das heißt hier die moralische Entwicklung des Jungen am Herzen. Er sollte nicht hinter dem zu fordernden Maß an Verstand, Geschicklichkeit, an Ehrgefühl und männlichem Mut zurückbleiben. Georg aß und trank und wuchs und lernte leicht, was ihm vom Vater gezeigt wurde. Allerdings war er ohne Konkurrenz im Wohnhaus und in der häuslichen Werkstatt und späterhin auch unter den Kindern des Dorfes. Nicht immer mag diese Art Erziehung anschlagen; trägere Kinder brauchen vielleicht andere Eltern.

      Jedes Haar hat seinen Schatten, jede Ameise ihren Zorn. Daher war auch den ordentlichen Zanders kein ungetrübtes Glück beschieden, und da wir bei den Kernsprüchen sind, es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn's dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Ausgerechnet diesen Pedanten waren Nachbarn gegeben worden, die alle fünfe gerade sein ließen. Stand Zanders Haus sauber verputzt, mit neuen Schornsteinköpfen und weiß lackierten Fensterrahmen da, war der vordere Teil ihres Gartens immer gepflegt und der hintere wenigstens aufgeräumt, hielt sich das Zandersche Kleinvieh in Volieren und Ställen auf, so hing bei Behrends der Schornstein schief über dem Dachgiebel, senkte sich der Firstbalken, Ziegel lösten sich, Farbe blätterte von den Holzrahmen. Behrends Hühner suchten sich Schlupflöcher im Zaun und drangen in Zanders Garten ein; sie scharrten Pflanzen und Blumen heraus.

      Behrend hatte es mit Frau und Kindern auf ähnliche Weise in die Siedlung verschlagen wie Maria Zander, allerdings etwas später. Der aus dem Sudetenland vertriebene Bauer bekam 1946 Land aus dem Fonds der Bodenreform, erhielt eine Kuh, etwas Hausrat und Gerät. Als Landwirt, als Neubauer, wurde ihm zunächst viel geholfen, mit Geld und Saatgut. Das aber hörte bald auf, und Behrend war nicht geschickt genug, nicht genug rechnender Bauer, um sich unter diesen Bedingungen selber aus dem Dreck zu ziehen. Er war ein knochiger, kleiner Kerl von sanguinischem Temperament, liebte Bier und Schnaps. Seine beiden Söhne leisteten ihm beim Trinken Gesellschaft, als sie das Alter erreicht hatten und dem Vater als Saufkumpane beistehen konnten.

      Zuerst war die Reaktion der Zanders auf die Nachbarn nachsichtig. Dass die Hühner gelegentlich bei ihnen Schaden anrichteten, wollten sie nicht überbewerten. Zander sprach Behrend an, bat ihn, seinen Zaun zu reparieren oder die Hühner einzusperren. Behrend versprach es, lamentierte herum, er habe alles verloren und müsse sich erst wieder zurechtfinden; ihm, dem Heimatvertriebenen, fehle es an Werkzeug und Material, auch an Geld. Zander hörte sich dieses Gerede ruhig, nicht ohne Verständnis und Mitgefühl an und erbot sich zu helfen. Von gleich und sofort war bei Behrend keine Rede, dagegen viel von morgen und übermorgen. Aber er lud den Nachbarn zu einem Schluck ein, wenn man schon mal dabei war, Brüderschaft zu schließen. Es war ein Sonntag, und Zander wollte nicht für hochnäsig gelten; er trank aus der hingehaltenen Flasche. Dann wurden die Frauen gerufen. Bald aber ging jeder wieder in sein Haus. Bei den Zanders war man sich einig, daß dieser krumme Vogel nicht recht in die nördliche Gegend passe. Keineswegs könne von Freundschaft die Rede sein. Nicht von Freundschaft, aber auch nicht mehr vom Zaun wurde geredet, bis Zander eines Tages eine Rolle Draht nahm, Holzpfähle einbuddelte und die Seite zum Nachbarn sicherte. Mit Dank hatte er nicht gerechnet, war aber doch erstaunt, als sein Nachbar vieles daran auszusetzen fand, vor allem aber versicherte, er verfüge im Augenblick nicht über die Mittel, den Maschendraht zu bezahlen. Hierauf sagte Zander, er habe auch nicht mit Bezahlung gerechnet. Er lachte zwar über die Dummheit und Frechheit des kleinen krummen Kerls, aber er ärgerte sich doch und schwor sich, nie mehr in dieser Weise einzugreifen, wenn es sich vermeiden ließe.

      Der Mangel an Können und Wissen, die innere Haltlosigkeit bei Behrend, gingen bis zur Unfähigkeit zu planen. Um seine Lage zu verbessern, erfand er immer neue Rezepte; mal züchtete er Tauben, die sich einem wilden Schwarm anschlossen und auf Nimmerwiedersehen verschwanden, ein andermal kaufte er Ponys, wollte die Nachzuchten an den Zirkus verkaufen, und Ähnliches mehr, was Anlass zum Spott gab. An und für sich waren manche seiner Unternehmungen wirklich gut und hätten Geld einbringen können, wäre Behrend geduldiger gewesen. Diesem kleinen Klaus Behrend misslang stets, was dem großen Klaus Zander Gewinn einbrachte. Behrend beklagte sich viel, und Zander konnte ihm auch nicht ausweichen, dazu war der kleine krumme Kerl einfach zu komisch. Die Familien redeten kein überflüssiges Wort miteinander, aber sie redeten das Notwendige unter Nachbarn.

      Behrend trat sofort nach ihrer Gründung der Genossenschaft bei, schon deshalb, weil sie etwas Neues war und er überall mitreden wollte, aber seine Lage besserte sich vorerst nicht, es änderte sich nur etwas an dem Verkehr der Familien untereinander. Bislang hatte Zander seinem Nachbarn aus dem Wege gehen können, wenn er es wollte; ab jetzt traten die beiden in eine neue Beziehung zueinander. Was Behrend im Kleinen getan oder unterlassen hatte, das betrieb er jetzt im Großen. Nur, im Kleinen konnte Zander nachsichtig sein und die Sache mit einer Rolle Draht aus der Welt schaffen, im Großen bedeutete die Schlamperei eine schrottreif gefahrene Maschine, und da hörte für Zander der Spaß auf.

      Behrend sagte, daß sein Nachbar ein schlauer Hund sei und sich hübsch von der Genossenschaft ferngehalten habe und die Bauern zahlen lasse. Denn Zander würde als Angestellter geführt und bekäme seinen Lohn in voller Höhe, gleich, ob die Genossenschaft verdiene oder zulege.

      Plötzlich


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