Sky-Navy 18 - Rettungskommando. Michael Schenk
gelegentlich auch als Saft. So wie Blut unser ‚Lebenssaft‘ ist, ist Strom nun einmal der Lebenssaft für alle elektrisch oder tetronisch betriebenen Dinge.“
„Ich verstehe.“ Kenlor starrte düster um sich. Doch dann hellte sich sein Gesicht auf. „Wir haben dieses Schiff zu einem Mond gelockt, auf dem wir angeblich eine neue Menschenkolonie gegründet hatten. Das Schiff kam, um uns Ausrüstungen für den weiteren Aufbau zu bringen. Dazu haben auch Werkzeuge, Maschinen und sicherlich auch transportable Stromerzeuger gehört. Wir müssen die Fracht durchsuchen.“
„Immerhin eine Chance“, murmelte Pearl Stevens. „Übrigens sollten wir auch nach den kleinen Energiezellen suchen. Unsere Headsets dürften bald erschöpft sein und sie sind im Augenblick unsere einzige Fernkommunikation.“
Joana sah Kenlor ernst an. „Es gibt eine Menge Aufgaben, Hoch-Kommandant. Die Verletzten versorgen, alles Brauchbare zusammensuchen, einen Notruf ermöglichen und zudem feststellen, wo wir uns genau befinden und was uns hier erwartet.“
„Dessen bin ich mir durchaus bewusst“, knurrte Kenlor. „Willst du auf etwas Bestimmtes hinaus?“
„Unsere Chancen sind wesentlich größer, wenn wir zusammenarbeiten“, schlug Joana vor. „Wir könnten eine Art Waffenstillstand vereinbaren, bis wir gerettet werden.“
Kenlor-dos-Alonges schien tatsächlich ernsthaft zu überlegen. Doch bevor er sich zu einer Antwort durchgerungen hatte, war in Joanas Headset eine wohlbekannte Stimme zu vernehmen.
„Hoch-Kommandant, am Status der Gefangenen hat sich nichts geändert“, waren die ruhig und kalt wirkenden Worte von Primär-Kommandantin Desara-dal-Kellon zu hören. „Die Gefangenen bleiben im Frachtraum, es sei denn, ich befehle etwas anderes. Im Übrigen stimme ich zu, dass unsere Verletzten mit den Menschenmitteln versorgt werden, soweit dies möglich ist. Kenlor, du bist mir persönlich dafür verantwortlich, alle für unser Überleben nützlichen Dinge zusammenzutragen, über deren Verwendung ich mir die Entscheidung vorbehalte. Komm nun mit meinen Leibwachen in den Aufenthaltsraum. Ich habe weitere Entscheidungen zu treffen.“
„Es wird Eurem Wunsch entsprechend geschehen“, bestätigte Kenlor. Seinem Gesicht war die Erleichterung anzumerken, dass die Primär-Kommandantin wieder aktionsfähig war.
Joana warf Pearl hingegen einen grimmigen Blick zu. Sie ahnte, dass sich die Zusammenarbeit mit dem Feind nun weitaus schwieriger gestalten würde. Desara mochte eine hochintelligente Frau und fähige Befehlshaberin sein, doch sie war zugleich ihren persönlichen Gefühlen unterworfen und sie war, ohne Frage, ein unversöhnlicher Feind, der die Niederlagen nicht vergaß, welch die Menschen ihm bislang zugefügt hatten.
Kapitel 3 Konsequenzen
Sky-Base Arcturus, Sky-Navy High-Command
Während seiner Abwesenheit hatte Hoch-Admiral John Redfeather das Kommando über das High-Command und die Sky-Base Arcturus in die Hände von Admiral Carl Uddington gelegt. Uddington war ein schlanker, sehnig wirkender Offizier, der die Tradition der Navy über seine persönliche Ahnenreihe bis zur nassen Royal Navy des alten England zurückführen konnte. Er pflegte diese Erinnerungen voller Stolz und das äußere Anzeichen hierfür war der ungewöhnliche Schnauzbart, den er trug. Carl Uddington war durchdrungen von Stolz und Ehre, doch zugleich kein Narr. Er hatte jahrelang das Kommando über ein Patrouillenboot und später einen Kreuzer innegehabt, bevor ihn Redfeather in seinen Kommandostab berief. Die beiden Offiziere schätzten einander und waren befreundet, auch wenn es Uddington nie an einem gewissen „respektvollen Abstand“ fehlen ließ.
Diese Eigenschaften sorgten im Augenblick für erhebliche Missstimmung.
Carl Uddington hielt sich mit seinen Gästen im Amtsraum des Hoch-Admirals auf. Er stand vor der gläsernen Vitrine, deren indirekte Beleuchtung auf die Federhaube eines Sioux-Häuptlings fiel, denn Redfeather war der Chief der vereinigten Ethnie der Indianer. Der Anblick der Haube erinnerte Carl schmerzhaft an seinen Freund und an den Anblick, der sich ihm vor der großen Panoramascheibe des Raumes bot. Von dort konnte man einen Teil der zehn Andock-Pylone erkennen, die den zehn Kilometer durchmessenden Diskus der Raumbasis umgaben.
Arcturus war der Hauptankerplatz der Sky-Navy. Derzeit lagen hier drei der großen Trägerschlachtschiffe, fünfzig moderne APS-Kreuzer und fast einhundert Langstrecken-FLV vor Anker, die für Patrouillen und Sonderaufgaben eingesetzt wurden. An einem der Pylone hatten jedoch zwei Schlachtschiffe der Norsun festgemacht. Sie gehörten der 1200-Meter-Klasse an, was bedeutete, dass die Hantelschiffe eine Gesamtlänge von 3600 Metern besaßen. Es war Carl Uddington eine gewisse Genugtuung, dass das Flaggschiff von Gordon-Gor noch von der Masse des daneben liegenden Trägerschlachtschiffes D.C.S. Agincourt übertroffen wurde.
Mit fünf Kilometern Länge, einer maximalen Breite von eineinhalb und einer maximalen Höhe von einem Kilometer, war die Agincourt ein Zeugnis für die Leistungsfähigkeit und Stärke der Sky-Navy. Dennoch durfte dieser Gigant nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Sky-Navy derzeit nur über zwölf Trägerschlachtschiffe verfügte, von denen drei wegen Gefechtsschäden nicht einsatzbereit waren. Der Bestand an Kreuzern betrug aktuell nur zweihundertdreiunddreißig, auch wenn beständig neue Schiffe hinzukamen. So eindrucksvoll diese Zahlen auch klingen mochten, so waren sie nicht mit der Masse von Tausenden von Hantelschiffen aller Klassen zu vergleichen, die das Reich der großen Mutter der Norsun in den Kampf schicken konnte.
Als beide Völker sich erstmals begegneten, war es aufgrund eines Missverständnisses zu Kampfhandlungen gekommen. Inzwischen war man gegen einen gemeinsamen Feind, die menschenähnlichen Negaruyen, verbündet. Doch es war ein unsicheres Bündnis, welches nicht auf Augenhöhe stattfand. Vor allem nicht, wenn es den Oberbefehlshaber der Norsun-Flotte betraf, das Höchst-Wort Gordon-Gor.
Gordon-Gor war es auch, der im Augenblick den Unmut von Carl Uddington hervorrief. Der Insektoide hatte zu der Delegation der Norsun gehört, die auf der Outer-Rim-Station 47 mit den Menschen verhandelt hatte. Er war als einziger Überlebender von der Sky-Navy gerettet worden, während alle anderen in die Hände der Negaruyen gefallen waren. Man hatte das Höchst-Wort sofort zur Sky-Base Arcturus gebracht, von wo aus es sich mit der großen Mutter in Verbindung setzte. Vor einer Stunde war ein Geschwader der Norsun eingetroffen, von dem nun drei Schiffe an der Station lagen.
Gordon-Gor hatte den bisherigen Kommandanten der Schiffe zu sich befohlen und dann etwas getan, was Uddington nur als Provokation auffassen konnte: Das Höchst-Wort forderte, obwohl es sich im Schutz der mächtigen Sky-Base befand, eine Leibwache aus Bions an. Nun standen vier der künstlichen Kampfwesen rechts und links der geschlossenen Tür und das Flimmern vor den Mündungen ihrer Kampflanzen verriet, dass die Waffen aktiviert waren.
Uddington wusste, dass Gordon-Gor, im Gegensatz zu manchen anderen Norsun, ein Gegner der Menschen war und vermutete daher, dass das Höchst-Wort alles ihm mögliche unternahm, um das Bündnis beider Völker wieder zu zerschlagen. Dabei konnte Gordon-Gor allerdings nicht zu offen vorgehen, denn die Menschen besaßen durchaus mächtige Verbündete. Leider waren diese nun die Gefangenen des Feindes, darunter zwei der von den Insektoiden verehrten kleinen Mütter. So versuchte Gordon-Gor, die Menschen zu provozieren und zu erniedrigen, wo immer ihm dies möglich war, ohne den Unmut der großen Mutter zu erregen.
Uddington war in keiner glücklichen Lage. Zum einen war da die Tatsache, dass die gefangenen Delegationen gefunden und befreit werden mussten, zum anderen ein rechtskräftiges Dokument, welches das Höchst-Wort von der Station mitgebracht hatte. In diesem besiegelten die Delegationen nicht nur das Bündnis, sondern auch einen Technologie-Transfer. Im Gegenzug zu Konstruktionsunterlagen für einen neuartigen Wabenschutzschirm der Norsun, der auf der formbaren goldenen Energie basierte, wurden den Insektoiden zwei der wertvollen Hiromata-Nullzeit-Scanner zugesprochen, einer mit einer Reichweite von fünfzig, der andere mit einer von einhundert Lichtjahren.
Gordon-Gor hatte darauf bestanden, dass der Vertrag erfüllt werde. Im Augenblick begannen Techniker der Sky-Navy damit, den Fünfzig-Lichtjahr-Scanner auf dem Flaggschiff von Gordon-Gor zu installieren, während man den Hunderter verlud, um ihn zur Welt der großen Mutter zu bringen.