Paradoxe Gerechtigkeit. Stefanie Hauck

Paradoxe Gerechtigkeit - Stefanie Hauck


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sich die Sekretärinnen nicht an seine Anweisungen. Fein! Kann es vielleicht sein, dass das nicht das erste Mal ist? Haben Sie hier vielleicht schon öfter gepicknickt?! Das hier ist kein Café, das ist eine Justizbehörde!”

      “Sir, wirklich”, stammelte Sally in blankem Entsetzen, “wirklich, es war wirklich das erste Mal, und wir werden es auch nie wieder tun.”

      “Sehr richtig bemerkt”, befand Thomas, “weil ich Ihnen beiden eine Abmahnung erteilen werde und Sie bei der nächsten Unregelmäßigkeit sofort die fristlose Kündigung erhalten.”

      Sprach’s und verschwand wieder in seinem Büro.

      Als die Tür ins Schloss gefallen war, verzog Maggie verärgert den Mund, sah Sally an und meinte: “Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag und Gottes Segen.”

      Sally verdrehte die Augen.

      “Wieso redet der eigentlich von Gott?”, murrte sie, “er hält sich doch selbst für Gott! Stell dir mal vor, er müsste die Anweisungen eines höheren Wesens respektieren! Du glaubst doch nicht im Ernst, dass er das täte!”

      “Oh, unser Dr. Gnadenlos ist sehr fromm”, hielt Maggie dagegen, “du weißt doch, er ist im Kirchenvorstand hier vor Ort.”

      “Sehr richtig”, befand Sally, “er ist im Vorstand, möglichst noch Vorstandsvorsitzender, das vermute ich schon mal eher. Und außerdem ist nicht überall christlich drin, wo christlich draufsteht. Es geht um Authentizität. Nur leider gibt es mehr Heuchler als echte Christen, die ihren Glauben ernst nehmen.”

      “Mit anderen Worten, er ist ein Pharisäer.”

      “Falsch, denn es gibt ein sehr gutes Gegenargument für diese Theorie”, erwiderte Sally und grinste breit, “er kann schon deshalb kein Pharisäer sein, weil ein Pharisäer ein Kaffee ist, der Rum enthält. Wie wir ja beide wissen, trinkt Dr. Gnadenlos keinen Kaffee, und von Rum wird ihm schlecht, davon muss er kotzen, unser Kotzbrocken.”

      Maggie hätte beinahe schallend losgelacht ob dieser Schlussfolgerung, sie konnte sich gerade noch beherrschen. Und sie wusste natürlich, dass Sally einmal die Person des Pharisäers und dann eben jene Kaffeekreation gemeint hatte, die man aufgrund des heuchlerischen Verhaltens dieser Leute so benannt hatte. Aber wenn ihr Chef sie hätte lachen hören, wäre der zurück ins Vorzimmer ge­stürmt. Und dann wären sie sofort auf die Straße gesetzt worden.

      “Und obendrein kommt Kaffee aus Kolumbien, wo die böse Drogenmafia zuhause ist”, setzte Sally noch eins drauf, “von daher können wir noch froh sein, dass er uns nicht als Helfershelfer seiner Erzfeinde bezeichnet und in Untersuchungshaft gesteckt hat, nur weil wir gerade Kaffee getrunken haben.”

      Die Sekretärinnen kicherten leise in sich hinein.

      “Gibt es eigentlich auch eine gute Eigenschaft an Dr. Gnadenlos?”, fragte Maggie lauernd zurück.

      Sally kannte die Standardantwort schon.

      “Ja, er sieht aus wie Harrison Ford”, entgegnete sie zuckersüß.

      “Und? Hat das irgendwelche Auswirkungen auf sein Verhalten?”

      “Nein.”

       Zum Glück war den beiden der Humor noch nicht vergangen. Schließlich waren sie auch Leidensgenossinnen. Beide Frauen mussten selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen. Maggies Mann war vor fünf Jahren bei einem Autounfall plötzlich ums Leben gekommen. Logischerweise ging es ihr danach sehr schlecht, und sie war krankgeschrieben. Zum Glück hatte sie damals Sally schon gut eingearbeitet, so dass die ihren Part für einige Zeit mit übernehmen konnte. Denn Thomas McNamara hatte damals aufgrund seines Arbeitsvolumens auf eine zweite Sekretärin gepocht und sie auch bekommen. Ob das nun wirklich nötig gewesen wäre, bezweifelten so einige Leute im Gericht. Aber auf der anderen Seite gönnten sie die zweite Sekretärin vor allem Maggie. Tatsache war aber auf jeden Fall, dass diese Sekretärinnenstelle schon eine Menge an Kompetenz voraussetzte, mal ganz abgesehen davon, dass sie ein hohes Maß an Fingerspitzengefühl verlangte. Denn Dr. Gnadenlos war ein sehr launischer Mann, der einige Reizthemen hatte, wofür er im ganzen Gericht berüchtigt war. Eine Sache aber durfte man ihm gegenüber auf keinen Fall erwähnen, und zwar, dass Dr. Thomas McNamara, der ach so ehrenhafte Jurist, dem Filmschauspieler Harrison Ford so ähnlich sah, als wären die beiden eineiige Zwillinge. Grundsätzlich hätte das kein Problem dargestellt, andere Männer hätten es sogar positiv für sich zu nutzen gewusst, denn Ford war ein sehr beliebter und erfolgreicher Schauspieler. Nur für Thomas McNamara stellte das ein Problem dar, denn in seinen Augen waren Schauspieler - egal wie beliebt und erfolgreich sie waren - Taugenichtse, hochbezahlte Gamm­ler und professionelle Lügner. Wahrscheinlich setzte in Thomas’ Augen die Tatsache, dass ein Schauspieler Erfolg hatte, der Sache noch die Krone auf.

      Natürlich hatte Sally damals Maggie irritiert zurückgefragt, ob Thomas das nicht längst wisse, dass er Ford so ähnlich sah, weil ihn doch bestimmt schon viele Leute darauf angesprochen hätten. Vielleicht wäre das ja auch der Grund für die permanent schlechte Laune des Richters. Darauf hatte Maggie geantwortet, dass Thomas schon ein Ekelpaket gewesen sei, bevor Ford berühmt wurde und dass jedermann in New York wusste, dass es sich bei diesem eigentlich sehr charmant aussehenden Mann nicht um den Schauspieler, sondern um den Juristen handelte. Und außerdem hatte es sich schnell herumgesprochen, welche ziemlich skurrilen Ansichten Thomas hatte. Weil er aber gnadenlos gegen Leute vorging, die ihm in die Quere kamen, wollte es sich niemand mit ihm verscherzen oder ihn unnötig provozieren. Wer wusste schon, wann man es mal persönlich mit Dr. Gnadenlos zu tun bekam. Natürlich hatten nur die New Yorker Kenntnis von dieser Abneigung des Juristen gegen Schauspieler. Fremde oder Touristen hatten ihn vielleicht mal auf seine Ähnlichkeit mit Ford angesprochen oder um ein Autogramm gebeten. Offenbar war das aber nicht sonderlich oft vorgekommen, und Thomas hatte die Leute dann angesehen, als seien sie geisteskrank und hatte sie angeschnauzt, was das denn würde und dass sie ihn gefälligst in Ruhe lassen sollten. Sally stamm­te allerdings aus Chicago, Fords Geburtsstadt, von daher hätte sie nie damit gerechnet, dass ihr neuer Chef erstens Schauspieler verachtete und zweitens überhaupt nicht wusste, dass er ausgerechnet diesem sehr prominenten derart ähnlich sah. Und weil Thomas nie ins Kino ging und so gut wie nie Filme im Fernsehen sah - das war in seinen Augen Zeitverschwendung und Volksverdummung - konnte er auch selbst keine Kenntnis darüber erlangen. Was seine Familie anging, so hütete die sich, es ihm zu erzählen, weil er auch zuhause oft launisch und reizbar war, und man musste ja nicht unnötig ins Wespennest stechen. Und in gewisser Weise konnte auch Harrison Ford sich glücklich schätzen, dass Thomas nicht wusste, wie ähnlich er und der Richter sich sahen. Denn der Jurist hätte garantiert Mittel und Wege gefunden, um den Schauspieler in irgendeiner Weise dafür zu bestrafen. Das jedenfalls behaupteten die Leute im Gericht, allerdings meinten sie es ironisch, weil eine solche Ähnlichkeit ja nicht unter Strafe stand. Ob diese Behauptung aber doch gar nicht mal so abwegig war, wäre noch die Frage gewesen.

      Sally hatte nach ihrer Scheidung ein neues Leben anfangen wollen und war von der Westküste nach New York gekommen. Sie mietete sich zunächst nur eine kleine Wohnung, weil sie ja nicht wusste, ob sie nach der Probezeit übernommen werden würde. Als sie nun gerade ihren unbefristeten Arbeitsvertrag bekam, war Maggies Mann verunglückt. Deshalb kam sie öfter bei der Kollegin vorbei und übernachtete sogar manchmal bei ihr, weil Maggie sagte, das würde ihr seelisch sehr helfen. Daraus entwickelte sich ein innige Freundschaft, und schließlich bot Maggie ihrer Kollegin an, doch zu ihr in ihr Haus zu ziehen, jetzt, wo sie eh allein dort wäre.

       Gegen 14.00 Uhr erschien nun Philip im Vorzimmer seines Kollegen. Die beiden Sekretärinnen waren in ihre Arbeit vertieft und zuckten deshalb ein bisschen zusammen, als er sie ansprach, denn sie hatten ihn gar nicht ins Zimmer kommen hören.

      “Hallo Ladys, ist er schon da?”, erkundigte sich Philip und deutete mit dem Kopf auf die geschlossene Tür.

      “Nein, er lässt sich entschuldigen, weil das Geschäftsessen noch etwas länger dauert als geplant”, erklärte Sally, “wahrscheinlich wird er gegen 14.15 Uhr da sein.”

      “Und”, horchte Philip nach, “haben Sie beide es geschafft, ihre Tatwaffen verschwinden zu lassen, ehe er ins Zimmer kam?”


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