Fairview - Schleichender Tod. Lars Hermanns

Fairview - Schleichender Tod - Lars Hermanns


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bereits kurz vor 10 Uhr, als William und Gordon mit den Einkäufen zurück zu Williams Haus kamen. Sie schafften zuerst die Schaukelstühle auf die Veranda, danach brachte Gordon seine Zahncreme und sein Rasierwasser nach oben und begab sich erneut ins Badezimmer. William wischte die Schaukelstühle ab, als ihm auffiel, dass er noch gar keinen passenden Tisch hatte. Doch diesen würde er sich irgendwann demnächst kaufen. Jetzt musste er erst mal die eben gezahlten $1,200 verdauen.

       State Route GA-92, Woodstock, Georgia

      Um 10 Uhr trafen sich O.C. Thomas und Michael Luther White in einem IHOP in Woodstock, einem Ort im Cherokee County. Sie aßen beide Pancakes, tranken Kaffee und unterhielten sich zunächst über die Arbeit im Cobb County. Das IHOP war ein klassisches Diner, das sich vor allem zur Frühstückszeit eignete. Hier gab es Pfannkuchen in allen möglichen Variationen, doch O.C. war nicht wegen des Frühstücks hier. Er wollte mit Deputy White sprechen.

      »Sagen Sie mal«, wechselte O.C. nun das Thema, um auf den Punkt zu kommen, »wieso wollten Sie damals unbedingt zum Sheriff Department von Cherokee County?« Er nahm einen Schluck Kaffee und ließ sein Gegenüber dabei nicht eine Sekunde aus den Augen.

      Deputy White kaute zu Ende, ehe er antwortete: »Es ist wegen meiner Freundin. Sie wohnt in Canton und arbeitet in Fairview. Ich dachte, wenn ich als Deputy in Canton arbeite, könnte ich mit ihr zusammenziehen und hätte dann einen kurzen Weg zur Arbeit.«

      »Aha, verstehe …« Sheriff Thomas trank weiter Kaffee und blickte unentwegt Deputy White an.

      »Der Posten in Cobb County ist gut, und es sind nur sieben Meilen bis zu mir nach Hause. Doch trennen mich stolze 21 Meilen von meiner Freundin; und das ist wirklich anstrengend.«

      »Deputy White, vielleicht habe ich einen passenden Job für Sie.«

      Michael White blickte erwartungsvoll auf: »Ist bei Ihnen wieder eine Planstelle frei geworden, Sir?«

      »Nein, das nicht.« O.C. bemerkte, wie das Gesicht des Deputy schlagartig enttäuscht wirkte. »Doch ich habe eine – denke ich – sehr gute Alternative für Sie.«

       Myers' Real Estate, Fairview, Georgia

      Obwohl es Samstagmorgen war, saß Cynthia Myers in ihrem Büro in der Main Street und brütete über Immobiliengesuchen und möglichen, lukrativen Neuakquisen. William hatte heute keine Zeit für sie, zumindest nicht jetzt. Daher wollte sie die Zeit effektiv nutzen und schauen, ob sich nicht etwas Geld verdienen ließe.

      Cynthia Myers war eine sehr attraktive Brünette, die sehr großen Wert auf ihr Äußeres legte. Mit immerhin 1,75 m Körpergröße, die sie zumeist mit hochhackigen Schuhen noch unterstrich, brachte sie nur knapp über 60 kg auf die Waage. Sie war sehr sportlich und ernährte sich zumeist gesund, was insbesondere hier, im Süden der USA, nicht alltäglich zu sein schien. Noch bis vor knapp zwei Wochen war sie morgens täglich joggen, und auch abends lief sie immer wieder ein Stückchen, um frische Luft zu tanken. Doch dann traf sie Chief William Justice … und dieser brachte ihr Leben durcheinander, was sie ihm jedoch nicht vorwarf. Schließlich war sie die treibende Kraft gewesen, und er hielt sich zumeist zurück. Und eben das war es, was sie so sehr an ihm reizte. Seit ihrer Scheidung 2013 liefen ihr die Männer hechelnd in Scharen hinterher. Doch keiner konnte ihr Herz gewinnen, und für einen One-Night-Stand war sie sich zu schade.

      Dann traf sie den neuen Chief, und alles wurde anders. Seine ruhige, zurückhaltende Art machte sie neugierig. Und sie spürte, dass sie ihm gefallen wollte. Er war stets höflich, baggerte sie nicht an und lief ihr nicht nach. Das war neu! Und sie spürte tief in sich ein Gefühl, dass sie in dieser Form noch nie hatte. Zunächst hatte sie nicht weiter darauf geachtet, doch bereits während der ersten Hausbesichtigung mit ihm hatte sie Gewissheit: Sie wollte diesen Mann! Und dieser Gedanke erschreckte sie ebenso sehr, wie er sie erregte. Seit 2013 hatte sie an keinen Mann auch nur einen Gedanken verschwendet. Ihr Ehemann war in jeder Hinsicht ein Versager, doch sie hatte ihn geliebt. Glücklich hatte er sie nie machen können, doch er war ihr erster und bisher einziger Mann gewesen.

      Bereits bei ihrem zweiten Treffen mit Chief Justice war sie in die Offensive gegangen. Sie hatte ihre Bluse dermaßen weit geöffnet, dass sie sich später selbst schon beinah schäbig gefühlt hat. Doch die zurückhaltende Art des Chief hatte sie nur mehr und mehr in Erregung versetzt. Als sie erfahren hatte, dass er allein war, wollte sie es genauer wissen. Er hatte ihr gesagt, dass seine Möbel erst nachgeschickt würden, und die erste Nacht wollte er bereits von Dienstag auf Mittwoch in seinem neuen Haus verbringen. So hatte sie sich dazu entschieden, alles auf eine Karte zu setzen. Sie hatte eine große Matratze per Same-Day-Delivery bestellt und als Lieferadresse Williams Haus angegeben. Da sie aus verschiedenen Gründen stets einen Nachschlüssel zu allen von ihr vermittelten Häusern besaß, konnte sie ohne Probleme die Tür öffnen, als der Lieferdienst die Matratze gebracht und nach oben in den ersten Stock getragen hatte.

      Sie hatte für sich und den Chief ein romantisches Liebesnest vorbereitet und gehofft, dass er sie nicht abweisen würde. Dieser Mann verschlug ihr schier den Atem, und dieses Gefühl tief in ihr war brachial angewachsen. Und während sie noch das Bett vorbereitet und zahlreiche Kerzen im Zimmer verteilt hatte, spürte sie, was es war. Es war Lust! Nie zuvor hatte sie solch ein intensives Verlangen danach gehabt, einen Mann in sich zu spüren. Doch allein die Vorstellung daran, wie es vielleicht sein könnte, hatte sie beinah wahnsinnig werden lassen. Sie hatte alles auf eine Karte gesetzt, und jetzt wollte sie nicht mehr zurück. Vielleicht mochte er denken, sie sei eine sexgierige Schlampe, und vielleicht schmiss er sie auch hochkant hinaus. Doch in diesem Moment, als sie das Bett herrichtete, war es ihr egal.

      Umso mehr hatte sie sich gefreut, als er ihren beinah schon aggressiven Annäherungsversuchen nicht widerstehen konnte. Sie hatte sich selbst gewundert, wozu sie alles bereit war und sich ihm gänzlich hingegeben. Cynthia hatte es genossen, wie er sie liebte und dass er wusste, wie man eine Frau glücklich macht. Er hatte Sachen mit ihr angestellt, die sie nur aus Büchern und einigen wenigen Filmen her kannte. Und er hatte ihr etwas verschafft, was ihrem Ehemann in all den Jahren nie gelungen war … Orgasmen!

      Zwischen den einzelnen Runden hatten sie immer viel miteinander geredet. Sie hatte ihm von ihrem Leben erzählt, von ihrem Beruf, von ihren Träumen und Vorstellungen. Doch auch in diesen Momenten war der Chief stets ruhig und zurückhaltend. Er sprach immer nur sehr wenig über sein Privatleben. William hatte ganz klar seine Geheimnisse, und das wiederum steigerte in ihr wieder das Verlangen nach mehr.

      Erst am Samstag darauf hatte er ihr schließlich von seiner Frau erzählt, die in Manhattan erschossen worden war. Cynthia hatte erkannt, dass er seine verstorbene Frau sehr geliebt haben musste. Und sie hatte auch erkannt, dass er jetzt noch nicht bereit für eine neue Beziehung war. Doch seit sie sich ihm das erste Mal hingegeben hatte, stellte sie sich ebenfalls diese Frage. War sie bereit für eine neue Beziehung? War sie wirklich dazu bereit, ihr ansonsten durchorganisiertes Leben wieder dem eines Mannes anzupassen?

      Da Cynthia William am liebsten jede Nacht neben sich liegen hätte, wäre ihr Antwort im Grund genommen sofort: Ja.

      Doch auf der anderen Seite genoss sie seither stets ihre Unabhängigkeit und lebte für ihre Arbeit. Ihr Ehemann hatte die USA wegen eines betrügerischen Bankrotts verlassen müssen und sich in die Karibik zurückgezogen. Sie hatte sich scheiden lassen, und sein in Atlanta praktizierender Anwalt hatte dafür gesorgt, dass die Scheidungspapiere unterschrieben zu ihr gelangten. Ihr Mann hatte ihr Schulden, ein gebrochenes Herz und den Willen, etwas auf die Beine zu stellen, hinterlassen. Also hatte sie angefangen, als Immobilienvermittlerin für einen Makler zu arbeiten, und schon ein Vierteljahr später hatte sie sich selbständig gemacht. Ihr Aussehen und ihre Empathie hatten sie schnell recht erfolgreich werden lassen. Doch es war harte Arbeit und verlangte sehr viel Zeit und Einsatz.

      Nachher würde sie zu William fahren. Er wollte ihr seinen Freund und Mentor aus New York vorstellen. Außerdem war anzunehmen, dass auch O.C. aus Canton wieder zu ihnen stoßen würde. Sie hatten letztes Wochenende einfach eine Menge Spaß zusammen, hatten viel geredet und viel gelacht. Daher nahm sie sich vor, nur bis etwa 12 Uhr mittags zu arbeiten. Danach würde sie nach Hause fahren, sich frisch machen, Wäsche für


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