Die Midgard-Saga - Niflheim. Alexandra Bauer
„Hörst du, wie es singt?“, schwärmte er.
Fengur blickte kurz auf und überlegte einen Augenblick, an welchem Pilz der Fremde geknabbert haben mochte. Dann schüttelte er den Kopf und hieb weiter auf das Metall ein.
„Du hast das Eisen mehrmals gefaltet“, erkannte der Mann. Er legte eine Hand auf den Amboss und hob den Kopf. „Der Singsang des Metalls ist so klar. Alle Unreinheiten haben sich gleichmäßig verteilt.“
Der Pilz musste doch gewaltig gewesen sein, dachte Fengur. „Tu nicht so, als könntest du die Reinheit des Eisens am Klang erkennen. Jeder weit und breit weiß, dass Eyjarrs Klingen die Besten sind“, murrte Fengur, während er das Werkstück zurück unter die Kohlen schob. Zwei Mal trat er auf den Blasebalg und führte den Kohlen neuen Sauerstoff zu.
„Du bist ganz schön keck dafür, dass du einem Gott gegenüber stehst.“
„Ich weiß nicht, welchen Trick du gerade angewendet hast, um das heiße Eisen zu berühren. Aber du bist weder ein Riese, noch bist du ein Ase“, stellte Fengur klar.
„Beides Mal falsch“, triumphierte der Fremde und ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen.
„Sondern? Welcher Gott willst du denn sein?“, höhnte Fengur. Doch kaum, dass er die Frage aussprach, wehte ihm die Antwort bereits durch den Geist. Es gab nur einen Gott in Asgard, dem Wohnort der Asen weit über der Weltenesche Yggdrasil, der von Riesen abstammte und mit Feuer spielte. Er riss die Augen auf. „Loki?“
Nach Luft schnappend hörte sich Thea noch den Namen des Feuergotts ausrufen, dann verschwammen die dunklen Farben, die ihren Geist eingenommen hatten, waberten vor ihrem Blick und gaben allmählich die Sicht auf ihre Umgebung frei. Sie begegnete den erwartungsvollen Augen der alten Norne, die erneut die Hand auf Theas Stirn legte. Abermals wurde sie von der Dunkelheit verschluckt und abermals fand sie sich in der Schmiede hinter dem Amboss wieder.
Das glühende Eisen erhellte die Schmiede und spiegelte sich im Wasser des Härtefasses wider, als Fengur es endlich aus dem Feuer genommen hatte. Tage der Arbeit würden nun ihre Vollendung finden. Dies war ein feierlicher Moment, wie Fengur fand und hoffentlich einer, der keine bösen Überraschungen brachte. Die falsche Glühtemperatur würde die Klinge nach dem Eintauchen spröde und unbrauchbar werden lassen. Tage hatte er an seiner Arbeit verbracht. Er hielt inne. Seit ihrem ersten Aufeinandertreffen war Loki nicht mehr in der Schmiede aufgetaucht und in Fengur war schließlich die Erkenntnis gereift, dass ihm seine Phantasie einen Streich gespielt hatte, oder er schlicht über seiner Arbeit eingeschlafen war. Doch jetzt klang der Mann aus seinem Traum plötzlich in seinem Gedächtnis wider: Schmiede dein Schwert fertig. Wenn es soweit ist, werde ich da sein. Fengur sah sich um. Loki war nicht zu sehen. Falls es doch kein Traum gewesen war, dann hatte der Feuergott wohl das Interesse an seinem Schwert verloren. Fengur seufzte tief, warf einen letzten Blick an die Stelle, an der Loki das erste Mal aufgetaucht war und erbebte.
„Eine gute Wahl zu warten“, sagte Loki und löste sich aus dem Schatten. Er trat an Fengur heran und betrachtete das Schwert eingehend. „Du hast eine Rinne eingearbeitet. So ist es leichter, nicht wahr?“
Fengur, das Schwert unverwandt über das Härtefass haltend, nickte wortlos. Wieder pochte sein Herz bis an die Ohren. Ein Gefühl der Enge machte sich in seinem Brustkorb breit.
Loki rückte nah an Fengur heran. „Du hast Angst, es könnte spröde werden.“
Fengur konnte nur nicken.
„Kennst du Hvergelmir?“
Unverwandt hielt Fengur die Klinge über das Fass. „Die Quelle am Weltenbaum Yggdrasil. Sie versorgt alle Flüsse der Welt mit Wasser“, sagte er verunsichert.
„Und Nidhöggr?“
Fengur wurde mulmig. „Das ist … ein Drache.“
Loki hielt die Fingerspitzen vor sein Gesicht und tippte sie mehrmals aufeinander. „Ich sehe, du hast den Geschichten deiner Ältesten gut zugehört. Ich will dir helfen. Nidhöggr schläft an der Quelle Hvergelmir. Die Flamme des Drachen wird dein Schwert mit einer Magie erfüllen, die es unbezwingbar macht. Er wird es zum Glühen bringen, in der Quelle wirst du es alsdann härten. So wird die Magie von Nidhöggrs Flamme auf ewig in dem Schwert gebunden sein.“
„Ich weiß nicht …“, zögerte Fengur.
„Du bekommst das Angebot eines Gottes, dein Schwert allen anderen Schwertern überlegen zu machen und wagst es, diese einzigartige Offerte abzuschlagen?“
Unwirsch drehte sich Loki um. Er hatte schon den Behang des Eingangs zurückgeschlagen, da hob Fengur die Hand und rief den Gott an zu bleiben. Der Ase blickte diebisch über die Schulter und nickte. Aus irgendeiner Tasche seines Klappenrocks zog er ein Gewand hervor. Es war durchsetzt mit braunweißen Federn.
„Das ist ein Falkengewand. Ich habe es mir ausgeliehen“, schnarrte Loki. „Lege erst das Schwert auf den Boden.“
Fengur blickte misstrauisch, tat aber, wie ihm geheißen war und legte das Schwert vor sich ab. Loki trat hinter Fengur und knöpfte den Umhang um seine Schultern zu. Im gleichen Augenblick hatte Fengur das Gefühl von innen heraus zerrissen zu werden. Knochen und Haut schmerzten, sein Magen war ein einziger Klumpen. Einen Moment später war der Schmerz vorüber, doch das Bild der Schmiede war gewandelt. Die Farben hatten sich verändert. In einer nie gekannten Schärfe leuchtete das Feuer der Esse vor ihm. Als Fengur an sich herabsah, entdeckte er gelbe Klauen. Panisch schrie er auf, doch es war nicht seine Stimme, es war der Schrei eines Vogels – eines Falken. Hektisch flatterte Fengur auf, donnerte gegen den Rauchfang und taumelte auf den Boden. Ungeschickt flatterte er auf dem Hals rutschend voran.
Mit rollenden Augen sah Loki dem Schauspiel zu. „Wenn du es kaputt machst, wird Freya wütend werden“, kommentierte er trocken.
„Was hast du mit mir gemacht?“, rief Fengur und die Augen des Falken weiteten sich vor Schreck. Seine Stimme war nurmehr ein Kreischen.
„Willst du etwa den ganzen Weg laufen?“, erwiderte Loki.
Fengur flatterte aufgeregt mit seinen Flügeln und stürzte in eine Ansammlung von Werkzeugen, die donnernd über ihm niedergingen.
„Nun hör schon auf mit dem Unsinn und komm!“ Mit einem Mal war der Ase verschwunden. An seiner statt saß ein Adler auf dem Amboss. „Soll ich das Schwert für dich tragen?“, fragte er.
Fengur kroch unter den Schmiedegerätschaften hervor und nickte. Darauf ließ sich der Adler auf dem Schwert nieder, nahm es in die Klauen und erhob sich. Schneller als Fengur lieb war, stürzte der Adler durch den Spalt in den Fellen, die die Schmiede verschlossen. Ungeschickt polterte Fengur ihm hinterher. Vor der Schmiede tat sich ihm ein Wunder auf. Die Nacht hatte bereits Einzug in Gullbragard genommen, doch der Himmel war weit, viel größer als er ihm jemals erschienen war und erfüllt von Sternen und tanzenden grünroten Schleiern.
„Nun komm! Bewege die Flügel und folge mir“, forderte der Adler ihn auf.
„Ich kann dir nicht dorthin folgen“, verneinte Fengur von Ehrfurcht gepackt.
„Was? Wieso?“
Fengur deutete auf das Nordlicht. „Wegen der Geister. Sie schlagen mit Brandfackeln aufeinander, sie könnten mich treffen.“
„Das ist mir neu. Dachtet ihr Menschen nicht immer, es seien die Schilder der Walküren, die auf dem Weg nach Midgard sind, um tote Krieger nach Walhall zu holen?“
„Ist das so?“, fragte Fengur und duckte sich tief nieder.
Der Adler schüttelte verständnislos den Kopf. „Glaub, was du willst. Aber es wird dich weder umbringen noch mit Unglück belegen.“ Und damit flog er los, ohne auf weitere Einwände oder Anmerkungen zu warten.
Fengur zögerte, doch Loki drohte mit seinem Schwert zu verschwinden und das wog mehr als die Angst vor dem Nordlicht. Rasch bewegte er die Flügel und flatterte Loki unbeholfen hinterher. Der Adler bedachte ihn mit einem